heißt sie, die Parfumeurin der ersten Düfte des Hauses Piguet. Sie gilt noch heute als Ikone, als ganz besonderes Talent unter den Parfumeuren – völlig zu Recht. Aber schauen wir uns Madame einmal näher an …
Cellier entstammt denselben Künstlerkreisen wie Piguet auch – sie tummelte sich ebenfalls in dem bunten Kreis aus Literaten, Malern, Theaterleuten, Musikern usw., in dem sich auch Piguet am wohlsten fühlte. Cellier, geboren 1909, ist eine Ausnahme, das sieht man schon an den bloßen Fakten: Sie studierte Chemie – in einer Zeit, in der wenige, sehr wenige Frauen überhaupt ein Studium aufnahmen, aufnehmen konnten. Nachdem sie ihr Studium absolviert hatte, heuerte sie bei Roure Bertrand an, als Parfumeurin – auch hier hatte sie einmal mehr die Nase vorn: Sie kann als erste Parfumeurin gelten, denn zur damaligen Zeit galt diese Domäne als den Männern vorbehalten. Einen kurzen „Ausflug“ machte sie Anfang der 40er Jahre zu Palmolive-Colgate (ja, die gab es damals schon!), um hernach wieder zu Roure Bertrand zurückzukehren.
Roure Bertrand sagte mir gar nichts, also habe ich mich auf die Suche im Netz gemacht: Ein Aromastoffhersteller, in Grasse ansässig, 1845 gegründet und in der ersten Zeit vornehmlich als Lieferant von Neroli-Öl bekannt. Roure Bertrand war also der Arbeitgeber, für den Cellier eigentlich lebenslang tätig war – und bei dem sie für Aufruhr sorgte: Der Starparfumeur bei Roure Bertrand war bisher Jean Carles (bekannt für Ma Griffe für Carven, Shocking für Schiaparelli, Miss Dior), dessen Arbeitsweise, wie möchte ich sagen, nicht ganz konform ging mit der von Madame … Eine dezente Untertreibung – ich denke, die beiden waren wie Feuer und Wasser: Carles, strukturiert, organisiert, pünktlich. Cellier – alles andere als das! Die beiden konnten nicht miteinander, gar nicht – die rettende Maßnahme von Roure Bertrands Chef: Cellier bekam ein eigenes Atelier in Paris, wo sie schalten und walten konnte, wie sie wollte, und ihre Kunden selbst in Empfang nehmen.
Nun, wie darf man sich Germaine Cellier so vorstellen? Während sie noch direkt im Hause Roure Bertrand arbeitete, kam sie selten vor 10 Uhr ins Geschäft und verließ dieses gegen Mittag wieder, da sie ihren Arbeitstag dann für beendet hielt. Prinzipiell hatte ich ja bereits erwähnt, dass Cellier sich, genauso wie Piguet, in Künstlerkreisen tummelte – da passte sie mit ihrem Bohemien-Leben auch bestens hin: Sie hegte eine Passion für Designerkleidung (unter anderem von Balmain), lebte in der dafür bekannten Rue Boccador und ließ sich ihre Einkäufe gerne von ihrem Pagen hinterhertragen, den sie Foujita nannte (vielleicht nach dem gleichnamigen Maler, der zu dieser Zeit en vogue war?). Darüber hinaus hatte sie drei Dackel, die auf die Namen Felix, Valentin und Kleopatra hörten, sowie einen geschwätzigen und sangestüchtigen Papagei. Und sie war als „Mutter Theresa“ ihres Viertels bekannt, weil sie wohl sehr freigiebig war und die weniger finanzstarken Nachbarn gerne großzügig unterstützte und beschenkte.
Cellier entsprach in ihrem optischen Erscheinung durchaus dem Bild, das Männer sich gerne von einer Frau machten – sie war blond, blauäugig und sehr attraktiv, darüber hinaus sehr intelligent … Ihr merkt schon, hier beginne ich zu stocken, Intelligenz schätzt nicht jeder Mann an einer Frau, und zur damaligen Zeit war das vermutlich auch kein Attribut, das überall Anklang fand … Cellier hatte aber noch mehr zu bieten: Sie rauchte wie ein Schlot. Und sie fluchte für ihr Leben gern, drückte sich am liebsten in Gossensprache aus – obgleich es ihr nicht an hochtrabendem Wortschatz mangelte. Eine Leidenschaft für Knoblauch wird ihr ebenfalls nachgesagt. Man möchte gar nicht wissen, wie sie in den Besprechungen für ihre Parfumkreationen saß – oder vielleicht doch, gerade deswegen? 😉
Wie Piguet und Cellier sich schließlich trafen, habe ich nicht ausfindig machen können – es dürfte allerdings nicht allzu schwer gewesen sein angesichts des gemeinsamen Freundeskreises. Mich erinnert die Geschichte der ersten Düfte des Hauses Piguet, das Duo Piguet&Cellier, sehr an die Geschichte von Caron, die ich in einem anderen Artikel – seht hier – vor einiger Zeit bereits skizziert habe, ich zitiere mich einmal selbst:
„Caron war schon immer ein Haus von und für Exzentriker und von dem Freigeist des federführenden Inhaberpärchens geprägt: Ernest Daltroff, Sohn aus reichem Hause, weitgereist und mit einer ausgeprägten Leidenschaft für Parfums und seine Frau und Muse Félicie Vanpouille, Modemacherin und Designerin, die seit ihrem Einstand bei Caron den, wenn man so will, PR- und Marketing-Bereich übernahm. Sie schrieb und zeichnete alle Annnoncen selbst, überlegte sich die Namen der Düfte und kreierte deren Flakons und Verpackungen. Dank ihrer Mitarbeit kamen die Geschäfte langsam in Schwung und Caron avancierte zu einem der ersten Häuser der damaligen Zeit – einem Ruf, von dem das Haus bis heute zehren kann. Ein durchschlagender Erfolg war etlichen Düften beschert, so unter anderem dem 1911 erschienen Narcisse Noir, der Stummfilmdiva Gloria Swanson gewidmet, 1919 erschien Tabac Blond, Daltroffs Huldigung an die rauchende Frau – damals mitnichten gesellschaftlich akzeptiert – , 1927 En Avion und in den Fünfzigern Coup de Fouet, der Peitschenhieb, mein Liebling – um nur einige zu nennen.“
Ihr werdet noch einiges erfahren im Hinblick auf Cellier – und zwar in den nächsten Tagen, wenn ich die Classic Collection des Hauses Piguet vorstellen werde. Mir aber ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass ich durchaus eine überaus liebenswerte Parallele zum Hause Caron sehe, die man bei Piguet heute leider nicht mehr allzu oft erwähnt: Beide Häuser huldig(t)en einem Frauenbild, das zur damaligen Zeit, vorsichtig ausgedrückt, nicht gängig war. Oder, um es direkt zu formulieren: Die Frauen, die als Patinnen für die Düfte fungierten, als Vorbilder gewählt wurden, entsprachen allem, nur nicht dem, was man(n) sich von einer Frau wünschte oder gar von ihr erwartete. Sie waren rebellische Freidenkerinnen, nonkonform und selbstbestimmt. Genau wie Cellier selbst. Für uns ist das heute ein „alter Hut“, zumindest in den westlichen Gefilden. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es immer noch Teile auf der Welt gibt, in denen man(n) Frauen diese „Rechte“ nicht zugesteht – das Recht auf Selbstbestimmung, auf Freiheit und so weiter. Und dass es noch gar nicht allzu lange her ist, dass wir es in unseren hiesigen Gefilden ebenfalls nicht hatten – man denke nur daran, wie lange es gedauert hat, bis wir einmal das Wahlrecht hatten, beispielsweise.
Dieses Bekenntnis zu einem Bild der Frau als einer ebensolchen ist nicht nur sehr sympathisch, sondern extrem progressiv, für die damalige Zeit auch enorm provokant. Und in dieser Form von einer Modernität, von der die Marke Piguet, genauso wie ihre Düfte, bis zum heutigen Tage nichts verloren hat!
Wenn Ihr neugierig geworden seid – hier gibt es noch ein paar andere weiterführende, sehr lesenswerte Artikel zu Madame Cellier:
Die bekanntesten Düfte von Germaine Cellier:
- Bandit 1944 – der Meilenstein
- Visa 1945
- Coeur Joie für Nina Ricci 1946
- Vent Vert für Pierre Balmain 1947 – ein weiterer Meilenstein: Eine Überdosis Galbanum und das erste grüne Leder auf dem Duftmarkt
- Fracas 1948 – bis heute von diversen VIPs wie Madonna, Kim Basinger, Carolina Herrera, Courtney Love, Prinzessin Caroline von Monaco, Sophie Dahl und anderen geliebt; ebenfalls ein Meilenstein – ich würde soweit gehen und sagen: DIE Tuberose
- La Fuite des Heures (Fleeting Moment) für Balenciaga 1949
- Jolie Madame für Pierre Balmain 1953 – ein weiterer Lederduft, bis heute ein Klassiker und eine Art Variation des Banditen-Themas
- Monsieur Balmain für Pierre Balmain 1964 – ein Fougère, und was für einer! Klassiker.
- Miss Balmain für Pierre Balmain 1967 – ein holziger Duft für die Damenwelt und somit eine absolute Besonderheit
- Eau d’Herbes für Hermès (60er) – wohl das erste Cologne des Hauses Hermès, allerdings gibt es nur noch äußerst spärliche Informationen dazu
Ich hoffe, ich habe Euch neugierig gemacht auf die Düfte, die dieser Tage noch folgen!
Einen schönen Abend wünscht Euch
Eure Ulrike.
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