Tränen der Freude mit Anatole Lebreton

Freunde von mir wissen es: Ich kann zwar rational, aber eigentlich bin ich ein Bauchmensch. Und ein Sensibelchen. Beides bedingt sich natürlich gegenseitig. Ich bin, das werdet Ihr festgestellt haben, wenn Ihr das Blog regelmäßig konsultiert, begeisterungsfähig, sehr. Von mir selbst denke ich, dass das eine meiner besten Eigenschaften ist: Neugierig zu sein, immer. Und mich hinreißen lassen zu können. Begeisterung entwickeln zu können, Leidenschaft. Leidenschaft bei mir zu entfachen ist nicht gerade schwer: Ich liebe Dinge, die mit Hirn und Herzblut geschaffen werden, am besten von echten Händen hergestellt sind und dann noch mit Historie überzeugen. Dinge, die durch Funktion und Form brillieren. Und – Ästhetisches. Schönheit, am liebsten zeitlose.

So kann es durchaus vorkommen, dass ich vor oder in einem Gebäude stehe und mir die Tränchen kullern. Dass ich einen Film ansehe, ein Kunstwerk, ein Buch lese oder auch Musik höre und weinen muss – ob der Schönheit der Sprache, des Designs, des Gedankens dahinter, der Inspiration. Und ich liebe es, wenn mich etwas in so einer Art und Weise berührt, zu berühren vermag. Denn ich empfinde es als selten. Selten in einem Leben und einer Welt, die sehr schnelllebig und gehetzt sind. In denen Effizienz großgeschrieben wird und Momente des Innehaltens rar geworden sind.

Anatole Lebretons anatolelebreton kleine, aber in höchstem Maße beachtungswürdige Duftkollektion hat es dieser Tage geschafft bei mir:  Sie hat mich berührt mit ihrer Schönheit, mit ihrer Kunstfertigkeit. Und das so nachhaltig, dass ich, nachdem ich abends getestet hatte und wonnig eingehüllt in die Düfte sogar nachts noch einmal von den Gerüchen derselben wach geworden bin (!) – und kurz davor war, diese und die morgige Rezension einfach um vier Uhr in der Früh zu schreiben. Davon habe ich allerdings, schläfrig wie ich trotzdem war, dann Abstand genommen.

Lebretons Düfte sind mir das erste Mal vor einigen Monaten bei meinen Internetrecherchen vor die Füße gefallen, im übertragenen Sinne. Es gab noch sehr sehr wenige Bemerkungen über die Kollektion im Netz, die wenigen, die man finden konnte, lasen sich aber mehr als vielversprechend. Meine Neugierde war geweckt, und zwar über die Maßen. Kurz vor einer Blindbestellung habe ich sie dann umgehend zu uns ins Geschäft weitergeschickt, die Links, und – ja, nun haben wir sie endlich im Sortiment und ich konnte testen … und habe mich verliebt. Hals über Kopf – so, wie ich das gehofft oder auch befürchtet hatte. In alle drei Düfte. Für mich sind sie, alle, Kaufkandidaten. Und die Kollektion damit von Null auf Hundert eines meiner Highlights des Jahres 2015 – das weiß ich schon jetzt. Es wird schwer, sehr schwer, das zu toppen!

Wenden wir uns zuallererst dem Herren hinter den Düften zu: Anatole Lebreton ist gebürtiger Franzose, geboren in der Bretagne, einer kleinen sagenumwobenen Region, von der aus er als Erwachsener aufbrach, um sein „leidenschaftliches Temperament“, wie die Beschreibung über ihn aussagt und welches ich ihm sofort abnehme, auf der Bühne auszuleben – er spielte Theater. Und verkaufte danach erlesene Tees und feine Schokoladen, etwas, das genauso wie die Liebe zu Wein, Whiskey und anderen Edel-Alkoholika meiner Meinung nach verwandt ist mit der Liebe zu Düften. Diese war selbstredend bei Lebreton ebenfalls vorhanden, er sammelt schon lange alte Parfums, betätigte sich auch als Blogger („Civette au Bois Dormant“, übersetzt: „Schlafende Zibetkatze) und wechselte dann die Seiten, lancierte 2014 seine eigene Marke. „Seine Parfums erzählen Geschichten, voller Emotionen und Begeisterung“ – das ist eines der seltenen Male in der Tat eine Beschreibung der Kollektion, die wahr und wahrhaftig ist.

„Unter den fünf Sinnen ist der Geruchssinn derjenige, der unseren urtümlichen und tierischen Instinkten noch am nächsten liegt. Das Riechen ist etwas Wildes und Freies, ein Zugang zur Welt, um sie zu berühren und von ihr berührt zu werden. In der Kunst des Riechens liegt etwas Rohes, Barbarisches und Ungezähmtes. Aber ohne Parfum fühle ich mich wiederum nackt und schmucklos.

Ich erschaffe Parfums, die Sie einkleiden und zugleich enthüllen, Sie mit dem Urtümlichen und Körperlichen verbinden. Ich liebe es, das Herz schlagen zu spüren, wenn es sich bewegt und erschaudert, durchdrungen von Fantasien und Geheimnissen. Meine Parfums sind wie ich, sie leben. Sie erzählen Geschichten und verlocken dazu fortzureisen, zu den eigenen Wurzeln zurückzukehren, zu den eigenen Empfindungen.

Ich verstehe meine Parfums als Landschaften oder Tagträume. Ein Parfum zu kreieren oder zu tragen, ist wie eine Erkundung und Reise, als Eroberer zugleich erobert zu werden. Ein Parfum aufzulegen bedeutet Vorstellungskraft zu besitzen, wie ein kleines zusätzliches, olfaktorisches ‚je ne sais quoi‘, das den Zauber ins Leben bringt.“

L’Eau Scandaleuse macht heute den Anfang – eine Tuberose und der Duft, der mich zuallererst auf die Fährte von Lebretons Düften brachte!

„Ein aufregendes und sinnliches Geschöpf durchquert das staubige Atelier eines Malers. Sie gleitet lüstern dahin, zwischen alten Ledersesseln, neu gemalten Bildern und alten Büchern.

Die fleischliche Tuberose lässt sich auf einen Tanz ein, oder ist es ein Duell mit trockenem Leder? Beide legen sich auf ein moosbedecktes Bett. Ihre animalischen Seiten geben einander wieder und verflechten sich zu einer verwegenen und sinnlichen Umarmung. Ein sinnliches, berauschendes Parfum, das skandalös übertrieben ist.“

Liest Anatole gerne? Ich bin mir sicher, dass er das tut. Diese Femme Fatale, die er hier zeichnet in der Beschreibung seines Duftes, passt nicht nur hervorragend zu einem Tuberosenduft, sondern erinnert sogleich an … die Dekadenzliteratur. An Salons, in denen Frauen federführend waren wie beispielsweise bei den Romantikern. An die Kurtisanen, die in Frankreich Herrschern und Künstlern reihenweise die Köpfe verdrehten, die Geisha-Kultur in Japan. An berühmte Romanfiguren wie beispielsweise Zolas Nana oder auch Dumas‘ Kameliendame Marguerite. Ihr seht, ich schwelge schon, bevor der Duft auf meiner Haut gelandet ist … als das aber soweit ist, findet mein Schwelgen kein Ende, ganz im Gegenteil!

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Eine unfassbare Tuberose bemächtigt sich meiner Haut, meinem Herzen und meinem Verstand: Groß, majestätisch, narkotisch – und vor allem sinnlich. Und zwar sinnlich im Sinne von körperlich, ganz klar. Keine sterile amerikanische Hochglanzoptik, die keinerlei Körperlichkeit kennt, sondern Opulenz, Laszivität, Erotik, die man riechen kann. Diese Tuberose hat latent pilzige Anmutungen genauso wie ausgeprägt animalische (Pferd, eindeutig, und Raubkatzen), sie ist mächtig, macht keine Gefangenen – und wird den einen oder anderem am Anfang „überfahren“. Denn – Tuberosen muss man für diesen Duft lieben. Und muss sie nicht nur ertragen, sondern auch tragen können, sonst tragen sie einen. Leder, Glattleder als auch Velourleder bringt sie mit sich, diese Schönheit, die ganz genau weiß, was und wen sie will. Sie erobert – um danach ruhiger zu werden, komplexer, schillernd. Lässt man sich auf diese Wahnsinnsfrau ein, entdeckt man, wie vielseitig sie ist, wie facettenreich: Sie kokettiert mit dem Leder und lockt gleichzeitig mit zartem, samtigem Pfirsich, gebettet auf Eichenmoos, kräftigem, das chyprierte Anklänge zaubert.

Vintage, wird sich der eine oder die andere fragen? Ja. L’Eau Scandaleuse ist ein Vintage-Duft, hat eine Vintage-Handschrift und verrät, dass der Parfumeur des Duftes ein Liebhaber der altehrwürdigen Großen ist – ich wette, dass Lebreton zu Hause alles stehen hat, was Rang und Namen hat, von Caron über Guerlain, Lubin, Chanel und die anderen üblichen Verdächtigen. Und dass er diese Düfte verehrt, das lässt sich seiner Handschrift deutlich entnehmen.

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L’Eau Scandaleuse erscheint mir, möchte ich Unvergleichliches dann doch vergleichen, wie der Bandit (Piguet ist gemeint) unter den Tuberosen. Ein herrlicher Tuberosenchypre mit wundervollem Leder und einem anbetungswürdigen Vintage-Charakter. Die Dietrich hätte ihn sofort getragen, und nicht nur die …

Morgen geht es mit den beiden anderen Düften weiter, die, Achtung Indiskretion, nicht minder schön sind …

Viele liebe begeisterte Grüße,

Eure Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

2 Kommentare

  1. 29. September 2015
    Antworten

    Jaaaaaaaaaaaaaa!
    Genau so und nicht anders!
    Göttlich! Aufregend! Betörend! Und durch und durch eine „alte“ Seele… Traumhaft!
    Natürlich schon bestellt – wundert auch Dich nicht, hmm? 😉

    Liebe Grüße „von nebenan“ 😉
    Evelyn

  2. Avatar-Foto
    Ulrike Knöll
    8. Oktober 2015
    Antworten

    Nee, wundert mich nicht, ganz und gar nicht 😀 😉

    Liebe Grüße zurück!

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