Harry Lehmann in Berlin …

… ist eine, wenn nicht gar die Empfehlung für jeden Duftliebhaber, wie ich gestern bereits schon angemerkt hatte im ersten Teil meiner Urlaubserinnerungen aus Berlin.

Harry Lehmanns Parfumerie öffnete ihre Pforten in den 20er Jahren, und zwar mit einer überaus pfiffigen Idee: Dem Verkauf „loser“ Parfums. Man verzichtete bewusst auf luxuriöse Umverpackungen sowie Werbung und bot dafür Qualität – auch und gerade in (wirtschaftlich) schwierigen Zeiten. Viele unterschiedliche Parfums, die, je nach Konzentration, in unterschiedlichen Abfüllmengen abgefüllt werden – entweder in den mitgebrachten Flakon oder in einen Flakon, der dort separat zu erhalten ist. Es stehen verschiedene Größen und Arten (Splash-Flakon oder Zerstäuber) zur Verfügung. Das wird damals schon so gewesen sein – und es ist heute noch ganz genau so.

Ja, Ihr lest richtig: Bei Harry Lehmann kauft man auch heute noch Parfums nach Gewicht. Und darüber hinaus sieht es dort ebenfalls vermutlich noch ziemlich genau so aus, wie es damals aussah. Das ist eine Reise wert, meine Lieben, denn das kleine, aber feine Geschäft verströmt den Charme alter Zeiten und ist hinreißend nostalgisch – so etwas findet man vermutlich nur sehr schwer ein zweites Mal!

Seit 1958 besteht das Geschäft in der Kantstraße 106, das mittlerweile vom Enkel Lehmann geführt wird, wie dem Berliner Tagesanzeiger zu entnehmen ist. Neben den Düften findet man in der anderen Hälfte des Geschäfts hochwertige Kunstblumen.

Alleine der Eingang ist schon herrlich:

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In Begleitung zweier sehr netter männlicher Freunde haben wir, meine Freundin und ich, uns ins olfaktorische Getümmel gestürzt – elf Colognes wollten erschnuppert und mehr als vier Dutzend Eaux de Toilettes und Eaux de Parfums erobert werden. Die Preise, meine Lieben, sind selbstredend unschlagbar: 100ml Eau de Cologne kosten zwischen 4 und 5 Euro (!) und die anderen Düfte liegen zwischen 3 und 6 Euro pro 10ml. Dazu kommt dann noch der Flakon nach Wahl – zwischen 2 und 4 Euro das Stück mit Ausnahme einiger Besonderheiten. Das spricht für sich – ich denke, dazu muss ich nicht mehr viel sagen, oder? Doch, eines noch: Die meisten Düfte, die man bei Frau Toni bekommt, gibt es hier auch, da diese ja ohnehin alle von Lehmann stammen. Nur – der Preis ist ein anderer, die Umverpackung natürlich auch …

Harry Lehmann Parfumerie

10 Corso Como „Harry Lehmann Parfumerie“ via Flickr – CC BY 2.0

Die reizende Dame, die uns bediente, war am Anfang doch etwas überrannt von unserer Begeisterung und unserem „Tunnelblick“, der sich auf die ganze Riege an duftenden Flaschen richtete. Dafür haben wir dann aber auch massenhaft Düfte mitgenommen, von denen ich Euch heute einige in Kurzform vorstellen möchte. Vorweg: Alle Düfte von Harry Lehmann kann man (auch) online bzw. sicherlich auch telefonisch bestellen. Es wird wohl auch ins Ausland versendet. Die Duftbeschreibungen auf der Seite sind leider spärlich und, meiner Meinung nach, zum Teil auch etwas irreführend. Außerdem werden keine Ingredienzen angegeben – diesbezüglich kann man bei Frau Toni „spickeln“ … Die Colognes kann man zu den Preisen eigentlich ungesehen kaufen – da gibt es gar nichts. Die Haltbarkeit ist, wie für Colognes bzw. deren Duftkonzentration typisch, nicht wahnsinnig, dafür kann man aber auch ständig nachsprühen.

  • No. 49 Fougère – hatte ich bereits bei Frau Toni unter dem Namen Adam & Eve Fougère gekauft: Für Freunde von Fougère-Düften ein Must-have, wirklich. Erdig-waldig und markant sowie raumgreifend, für ein Cologne sehr stark. Sehr schöne, herb-fruchtige Wacholderanklänge, ein Quentchen maskulines Leder, herrlich schillerndes Dunkelgrün und eine feine, bitter-grüne Süße, gebettet auf einer feinen pudrig-warmen Basis, der immer noch Herbheit innewohnt. Die Dietrich hätte ihn gemocht. Die Knef vermutlich auch.
  • No. 5 Boston – musste mit: Orange, herbe Orange, Bitterorange? Ganz bestimmt sogar, und zwar gehüllt in ordentlich grün-herb-(er)frisch(end)es Blattwerk. Darüber hinaus ein Hauch Moos und Unterholz, das darf auch nicht fehlen. Erinnert mich ein ganz klein wenig an Hermès Eau d’Orange Verte, welches allerdings ein wenig komplexer ist. Ein herrlicher Sommerbegleiter, unisex mit einem deutlichen Tick ins Maskuline.
  • No. 68 New York – musste auch mit: Zitrisch-krautig, frisch und erfrischend, würzig und herb, ein leichter Hauch Barbershop – und das Ganze auf einer weichen Moschus(?)basis. Hier kann man, vielmehr: Mann gar nichts falsch machen.
  • No. 65 Eau de Berlin – musste ebenfalls mit: Definitiv Eichenmoos und grünes Flechtwerk, Farn vielleicht? Yep, andere Quellen geben mir recht. Ein Zitrönchen findet sich ebenfalls noch, welche das Grün-Krautig-Waldrandige wunderschön unterstreicht. Eine subtile Süße und ein Hauch aquatische Anklänge runden das Geschehen zu einem modernen Männer-Cologne ab.

       Harry Lehmann Parfumerie

10 Corso Como „Harry Lehmann Parfumerie“ via Flickr – CC BY 2.0

Ein Teil der anderen Colognes, vielleicht auch alle, kommen das nächste Mal mit: Sandel- und Lavendelwasser halten ihr Namensversprechen. Wüstenwind ist ein schönes, vanillig-würzig-pudriges Cologne mit Anleihen von Lavendel und Rose, welches nur dort geblieben ist, weil ich irgendwann überfordert war mit dem Einkauf 😉 Wasch Eau de Cologne duftete am Stöpsel wie eine zitrusgeküsste Moschusmischung. Den Rest müsst Ihr bei Bedarf selbst testen, meine Nase hat sich an diesem Augenblick dann den Eaux de Toilettes und den Eaux de Parfums zugewandt – gekauft werden mussten:

  • NEU – Mol Intens: Gar nicht soo verrückte Moleküle … ich vermute, dass Mol Intens annähernd zu 100% aus Iso E Super besteht. Und so duftet es auch – ein Nicht-Parfum, das von anderen einmal mehr nicht als Duft wahrgenommen wird, sondern als „Ach, duftest Du gut!“, wenn deren Nasen das Molekül erschnuppern können. Holzig-floral-fruchtig-Irgendwie-und-was schillert Iso E Super und somit Mol Intens.
  • NEU – Flieder: Früher gab es wohl mal zwei Fliederdüfte im Hause Harry Lehmann. Die Nachfrage ebbte ab und man nahm sie aus dem Programm. Bis, ja bis Flieder wieder gefragt war – jetzt gibt es wieder einen. Und der duftet auf meiner Haut herrlich nach seinem Namensvetter: Blühender Flieder mit cremigen und wässrigen Facetten, dankenswerterweise nicht wirklich pudrig oder gourmandig, sondern einfach nur … Flieder mit ein paar anderen Blümelein zur Unterstützung und, wie ich meine, einem Hauch Zitrusfrüchtchen. Sehr schön!
  • No. 58 Tulpe: Zitrone und vor allem Bergamotte finden sich hier im Auftakt, die an eine zarte Zitronencreme oder auch -tarte erinnern, denn eine verhaltene Süße findet sich bereits am Anfang des Duftes und setzt sich im Duftverlauf auch fort. Eine monothematische Tulpe ist der Duft nicht – dafür ein schönes Bouquet, in dem sich frische, große Tulpenblüten finden genauso wie Veilchen und, wenn mich meine Nase nicht trügt, auch ein paar Röslein. Fein!
  • No. 87 St. Tropez: Ein Maiglöckchen, im Gegensatz zur No. 38, dem (annähernd) reinen Maiglöckchen allerdings ein wenig moderner. Hell, luzide, sauber, ein bisschen seifig und von grünem Blattwerk umrandet. Frühlingsbrise!
  • FAVORIT – No. 17 Fantasie: An Fantasie habe ich einen Narren gefressen. „Leicht, blumig, harmonisch“, wie bei Lehmann zu lesen, halte ich für eine Untertreibung … Fantasie ist Blume pur, und zwar im Plural: Kein Zweifel, mit dieser Mächtigkeit hätte er gut in die 80er gepasst. Auf meiner Haut rieche ich eine satte Teerose, darüber hinaus … Weißblüher und Nektarsüße. Vielleicht ein paar Aldehyde? Und diese betörende Rose … Wer Retro-Opulenz nicht scheut, dessen Fantasie wird hier erfüllt!
  • FAVORIT – No. 88 Bahia, bereits bei Frau Toni gekauft: Die Zutaten: Magnolie, Mandel, Kirsche, Zimt, Muskat, Zitronengras. Das liest sich alles viel gourmandiger und vor allem schwerer, als es ist. Bahia ist aber viel leichter! Zimtzuckerwatte kitzelt mein Näschen im Auftakt, von mandelig-marzipanigen Anklängen untermalt. Dazu gesellt sich eine satte Kirsche, die in Kombination mit wässriger Magnolie den Duft perfekt ausbalanciert. Ein Hauch Zitronengras spendet Frische und Muskat kontrastiert. Bahia ist ein heiterer und sinnlich-femininer Gute-Laune-Duft, der das ganze Jahr über funktioniert.
  • FAVORIT – No. 56 Valeria: Valeria duftet nach Blattwerk und vor allem Moos nach einem sommerlichen Regenschauer, nach erdigem Veilchengrün und nach herber Mandarine. Das steht Männlein wie Weiblein ganz hervorragend und ist ein echter Immergeher.

Harry Lehmann Parfumerie

10 Corso Como „Harry Lehmann Parfumerie“ via Flickr – CC BY 2.0

Irgendwann musste dann auch Schluss sein mit dem Einkaufen, aber es gibt noch einige weitere Düfte, die mir in positiver Erinnerung geblieben sind:

  • No. 10 Lindenblüte: Von „durchdringend süß“, wie bei Harry Lehmann zu lesen, kann keine Rede sein. Eine herrliche, nektarsüß-heuige Lindenblüte, natürlich und authentisch. Hätte ich nicht schon einige Lindenblütendüfte zu Hause, wäre diese sofort mitgegangen.
  • NEU – Feige: Ein herrlicher Feigling! Vanille(creme und -milch), zarte Kokosakzente und Feige satt – ein wunderbares Vergnügen! Auch hier – ich habe wirklich schon zuu viele Feigen zu Hause, sonst hätte er umgehend einen Platz in meinem Regal gefunden.
  • No. 83 Cochabamba: Ein zitrischer Schatz! Hesperiden, Zitronengras und Kräuter auf Moschus. Das geht immer und für jeden. Toller Sommerbegleiter!
  • No. 86 Potosi: Birne und Melone nebst einiger Beeren auf Tee – modern und fruchtig, ein echter Großstädter. Entwickelte sich leider, leider auf meiner Haut nicht so dolle, sonst wäre er ein Kaufkandidat gewesen.
  • No. 85 Sucre: Pfirsich und Aprikose auf Zuckerwatte mit einem Hauch Vanillecreme und, wie ich meine, ein paar zarten Blütchen im Hintergrund.
  • MUST-HAVE für das nächste Mal – No. 07 Akazie: Herb-pudrige Akazie mit honiggeküssten Akazienblüten auf holzigem Grund. Üppig, „streng“ im Sinne von markant sowie elegant. Vintage und Marlene-würdig.

Aus der Erinnerung fällt mir noch ein, dass …

  • No. 61 Bandarabas ein Vintage-Blütenbouquet mit markanter, metallisch-wässriger Hyazinthe ist
  • No. 31 L’Avion (das Flugzeug) ein Vintage-Geselle mit tollen Grasnoten ist, den ich mir allein deshalb nochmals ansehen muss
  • No. 09 Nelke das Herz eines jeden Nelkenfans hüpfen lässt: Würzig, pfeffrig, scharf, süß, rauchig und trocken – ein Knaller für jeden Liebhaber (nein, ich bin kein ausgeprägter Nelkenfan)

… mehr will mir beim besten Willen momentan nicht einfallen. Alles in allem kann ich Euch einen Besuch vor Ort aber nur wärmstens empfehlen. Oder eine Bestellung kleinerer Abfüllungen – bei den Preisen kann man wahrlich nicht viel falsch machen. Viele Düfte haben Vintage-Charakter, Retro-Charme, was aber unzweifelhaft daran liegt, dass diverse Rezepturen eben auch schon älter sind. Ich bin überzeugt davon, dass viele von Euch hier den einen oder anderen Schatz bergen können 🙂 Und vielleicht hilft meine Rezension ja auch dabei. In jedem Falle finde ich es toll, dass es solche Geschäfte wie Harry Lehmann noch gibt – und hoffe, dass es diese Parfumerie auch noch lange geben wird.

Viele herzliche Grüße,

Eure Ulrike.

P.S.: Ähnliche Parfumerien wie Harry Lehmann – Netzfundstücke:

  1. Perfumaria Alceste, Rua da Conceição 85, Lissabon; Siehe Lesenswertes dazu z.b. hier.
  2. Hové® Parfumeur, Ltd. 434 Chartres Street, New Orleans, LA 70130; Siehe Lesenswertes dazu z.b. hier.

Mehr habe ich nicht gefunden. Kennt Ihr noch ein solches Geschäft, einen Geheimtipp?

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

5 Kommentare

  1. Petra
    20. August 2015
    Antworten

    toller Bericht, Uli 🙂
    Mensch – ich war schon ein paar mal in Berlin, aber ich habs noch nie dort hin geschaft. Ich glaub, ich wäre auch völlig überfordert *lach*.
    Hab mir vor vielen Jahren mal eine ganze Ladung Proben dort bestellt und damals haben mir schon sooo viele gefallen…

    lg, Petra

  2. Margot
    21. August 2015
    Antworten

    tja, im „Mund wässrig machen“ warst Du schon immer einsame Spitze 😀
    Möglicherweise gehe ich im September einige Tage nach Berlin; schön zu wissen, dass es dort auch für kleines Geld Schätze gibt!
    Schönes WE und LG,
    Margot

  3. Ulrike Knöll
    21. August 2015
    Antworten

    Völlige Überforderung angesichts der vielen Flakons und der schönen Düfte ist vollkommen natürlich, liebe Petra – da ging es mir nicht anders 😉 Ich „brauche“ das nächste Mal auch noch das eine oder andere – vielleicht bestelle ich es auch einfach so 🙂 In jedem Fall ist es ein solch liebenswertes Geschäft – ein Besuch lohnt sich in jeglicher Hinsicht!
    –> Gell, Margot? 😉 Ich würde wirklich hinfahren, wenn ich dort Die Kantstraße ist eh einigermaßen zentral und ja – ein Must-See für Parfumliebhaber. Im übrigen bin ich ja ebenfalls Opfer meiner selbst 😉 Du siehst ja: Ich habe auch eine ganze Tasche voll mit Düften heimgeschleift 😉

    Viele liebe Grüße, Eure Uli 🙂

  4. Heidi
    23. September 2015
    Antworten

    War vor wenigen Wochen dort…liebe Uli, Dein Bericht hat meine Eindrücke wieder aufleben lassen. Sehr informativ geschrieben…
    So richtig beeindruckt hat mich auf meiner Duftreise an diesem Tag, die „MEKKANISCHE ROSE“. Ich glaube, auch darüber lohnt es sich zu schreiben.

  5. Ulrike Knöll
    28. September 2015
    Antworten

    Oh Heid, habe ich da etwas übersehen? Ich kann mich gar nicht daran erinnern?!? Ich hatte Harry Lehmann einmal angeschrieben, allerdings leider keine Antwort erhalten. Allerdings werde ich ihnen, danke fürs Erinnern, ohnehin noch einen Link zu meinen Artikeln schicken 🙂
    Was durfte denn alles bei Dir mit? *neugierigfrag*

    Viele liebe Grüße,

    Ulrike.

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