Pünktlichkeit – Fluch und Segen – es ist doch eine als urdeutsch wahrgenommene Eigenschaft, mit dem Glockenschlag zum vereinbarten Ort zur vereinbarten Zeit anwesend zu sein. Auch von der Bahn erwarten wir sie. Zeit ist Geld. Verschwendest du meine Zeit, zwingst du mich zu warten, zum Nichtstun, dann verschwendest du mein Zeitkapital.
In unserer Gesellschaft ist alles durchgetaktet. Der Wecker weckt uns pünktlich, wir fahren nach Fahrplan hierhin und dorthin. Kommen andere zu spät, empfinden wir dies als Unhöflichkeit, aber auch das zu frühe Erscheinen weckt Unmut. In vorindustrieller Zeit hat die minutengenaue Tätigkeit keine oder eine nicht so große Rolle gespielt. Man richtete sich nach dem Licht, den Jahreszeiten, den allgemeinen Umständen. Ich bin sicher niemand, der sich nach den guten alten Zeiten zurücksehnt, denn es hat sie meiner Meinung nach nie gegeben. Verlässlichkeit hat etwas für sich, man kann planen, auch mit anderen, kommt voran, kann Aufgaben effizient ausführen. Ich ärgere mich auch über Unpünktlichkeit, finde es aber auch charmant, wenn unserer permanenten Beschleunigung einmal die Luft herausgelassen wird. Entschleunigung, Innehalten, zur Ruhe kommen – das passiert meiner Wenigkeit zumindest viel zu selten.
XJ 1861 – Pünktlichkeit ist relativ
Bei XerJoff hat man sich offensichtlich Tiefenentspannung verschrieben, denn zwei der bislang drei XJ 1861-Düfte zum 150-jährigen Jubiläums des vereinten Italiens kamen vor Kurzem erst, also entspannte vier Jahre später heraus. Papier und das Vaterland sind offenbar geduldig.
Im Jahr 1861 vereinten sich die einzelnen Staaten der Apenninhalbinsel unter der Führung Königs Viktor Emanuel II. zu einem vereinten Italien. Die junge Nation war von je her Heimat von Poeten, Heiligen und Seefahrern, die mit einem besonderen Talent für Kreativität den Ruf Italiens in der ganzen Welt prägten. Das 150-jährige Jubiläum dieser Vereinigung stellte für Italien ein ganz besonderes Ereignis dar und XerJoff würdigte dieses mit der Lancierung des Duftes XJ 1861, der das künstlerische Erbe der Heimat XerJoffs perfekt in Szene setzt.
XJ 1861 — Naxos
XerJoff – XJ 1861 – Naxos wurde natürlich nicht nach der Kykladeninsel benannt, sondern nach der griechischen Kolonie in Sizilien, die bereits 735 vor unserer Zeitrechnung gegründet wurde. Der Duft beginnt – wie sollt es auch anders sein – mit zitrischen Noten: temperierte Bergamotte, Zitrone und feiner Lavendel bilden den typisch italienisch-mediterranen Akkord, doch auch schon zu Beginn zeigt sich ein warmer und weicher, leicht süßlicher Zug, der von Vanille und Tonkabohne in der Basis herrührt. Samtige Jasminnoten, würziger und wohlbemessen eingesetzter Zimt sowie Honigsüße fügen sich in pudrig wattiges Cashmeran. Eine mit dem Lavendel korrespondierende Tabaknote in der Basis stemmt sich gegen allzu viel Behaglichkeit und verschafft „Naxos“ so eine ausgewogene Mischung aus Frische und Modernität sowie klassischem Geist – eine exzellent austarierte Komposition.
Die Duftkomposition
Kopfnote: Bergamotte, Zitrone, Lavendel
Herznote: Jasmin, Zimt, Honig, Cashmeran
Basisnote: Tabak, Tonkabohne, Vanille
„Naxos“ ist unheimlich weich und elegant, in meinen Augen tendenziell eher ein Damenduft, keine Frage. Jedenfalls ein wunderbarer Duft für Freunde zitrisch-floraler-pudriger Düfte.
Renaissance
XerJoff – XJ 1861 – Renaissance – Beim Zeitalter der Renaissance, beginnend im Mittelalter, Schwerpunkt im 15. und 16. Jahrhundert, denkt man unwillkürlich an Italien, dort schienen die Größten dieser Zeit gewirkt zu haben, obwohl auch keine geringen Namen wie etwa Shakespeare oder Dürer andernorts Bedeutendes leisteten. Bei der Fülle den folgenden, italienischen Namen jedoch geht der erste Platz zweifelsohne nach Italien: Dante Alighieri („Göttliche Komödie“), der Universalgelehrte Leonardo da Vinci, Niccolò Machiavelli („Der Fürst“), der Baumeister Filippo Brunelleschi, Michelangelo („David“), der Dichter Francesco Petrarca, Giovanni Boccaccio („Das Dekameron“) und viele, viele mehr.
Bei „Renaissance“ erwacht die Antike wieder zum Leben und dieses Leben durchströmt die Nase mit herrlichen Zitrusnoten, die da Bergamotte, Limette, Mandarine und Petitgrain heißen. Auf dem Duftstreifen war es das auch, aber wer XerJoff kennt, weiß, dass man sich dort nicht mit einem dünnen Wässerchen zufriedengibt. Als würde man die Pause-Taste wieder loslassen, geht es auf der Haut weiter – dort grünt es sondergleichen. Maiglöckchen, Minze und die grünen Aspekte der Rose setzen die Frische des Auftakts nahtlos fort. Eine schöne Idee, die Renaissance – Wiedergeburt – beim Wort zu nehmen und das Wiedererwachen der Natur darzustellen, denn „Renaissance“ ist so grün wie ein Frühlingstag. Abgerundet wird das Ganze durch würzige Ambra- und weiche Moschusnoten sowie etwas Patchouli und Zedernholz. So kennt man seine Italiener. Ein gelungener grüner Zitrusduft, nach allen Regeln der Kunst.
Die Duftkomposition
Kopfnote: Bergamotte, Limette, Mandarine, Petitgrain
Herznote: Maiglöckchen, Minze, Rose
Basisnote: Ambra, Moschus, Patchouli, Zedernholz
Zefiro aus der Reihe XJ 1861
XerJoff – XJ 1861 – Zefiro scheint es seinem Bruder „Naxos“ gleichzutun und auf den ersten Blick nach Griechenland zu verweisen. Zefiro bedeutet Zephyr, ein Windgott der alten Griechen und Frühlingsbote in Personalunion. Wie kommt der gute Mann aber nach Italien, ohne nun buchstäblich hinüberzuwehen? Da wäre zum einen Sandro Botticellis „Der Frühling“, das Gemälde zeigt u. a. Zephyr, bekannter noch ist ein Madrigal, ein mehrstimmiges Gesangsstück, von Claudio Monteverdi, mit Namen „Zefiro torna“ („Zephyr, kehr zurück“). Der ebenfalls dem Barock zuzuordnende Vivaldi betitelte eine Passage in seinen „Vier Jahreszeiten“ mit „Zeffiretti dolci“ („Sanfte Zephire“). Auch der Produkttext von XerJoff verweist auf die Zeit des Barock, weswegen mir Monteverdi wie auch Vivaldi passend erscheinen.
„Zefiro“ würdigt das Erbe Roms durch seine barock anmutende Alchemie. Konzentriert in einem ausdrucksstarken und auch mysteriösen Parfum, ist es mit der Magie eines Zaubertranks verwandt. „Zefiro“ schafft es, über geheimnisvolle Pfade einen mystischen Duft zu erschaffen, der Himmel und Erde miteinander verbindet.
Zefiros barocke Ästhetik
Weihrauch ist da als geheimnisvolle Grundlage, eine Weinnote, Gewürznelke, Zimt, Honig … eine schillernde, facettenreiche und äußerst spannende Komposition. Barock? Ja, aber nicht im Sinne von verspielt oder überfrachtet. Hier ist die Lust am Leben, Wein, Blumen, Gewürze, das „Carpe diem“ – Nutze den Tag –, aber auch das Gegensätzliche, „Memento mori“ – bedenke, dass du sterben musst – Weihrauch, Nelke, Ambra, das Jenseits, die Religiosität. Beide Aspekte, diese barocke Antithetik, finde ich hier wunderbar umgesetzt. Ein entrückt scheinender, berauschender Duft mit exzellenten Gewürznoten und spannenden Gegensätzen.
Die Duftkomposition
Kopfnote: Bergamotte, Wein, Harze, Davana
Herznote: Kardamom, Nelke, Zimt, Iris
Basisnote: Honig, Weihrauch, Adlerholz (Oud), Ambra
Pünktlich zum Ende meines Berichts also mein Fazit. „Renaissance“ ist sicher der unkomplizierteste und bürotauglichste dieses Trios, pure Eleganz verströmt der weiche „Naxos“, einem geheimnisvollen Zauber verfallt garantiert auch Ihr bei „Zefiro“. Pünktlichkeit hin oder her. Das Warten hat sich gelohnt. Das unbestritten auf hohem Niveau arbeitende Haus XerJoff lässt sich nicht lumpen und hat zum Geburtstag Italiens drei standesgemäße Düfte veröffentlicht. Habt Ihr sie schon getestet?
Liebe Grüße von
Harmen
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