50 Shades of Grey – Ich habe es …

… getan: Ich habe ihn mir angesehen, den Film. Auf Englisch – sicherheitshalber. Um die Originaldialoge zu haben, denn die sind ja meist doch treffender, oft besser. Außerdem bin ich als alter Filmnerd selbstverständlich auch Fan von Filmen im O-Ton.

Bisher habe ich einen großen Bogen darum gemacht – um 50 Shades of Grey genauso wie um Twilight, jene Vampir-Romane, die den Ursprung dazu bildeten. Allerdings kommt man ja nicht umhin, sich zu informieren, wenn man regelmäßiger Leser der üblichen Medien ist und sich für Zeitgeschehen und Zeitgeist interessiert.

Den Anfang also machte Stephenie Meyers Twilight-Saga: Eine Tetralogie, erschienen ab 2005. Eigentlich für Jugendliche gemacht, war und ist die Saga aber vor allem bei Erwachsenen, genauer bei Frauen beliebt. Hauptfiguren sind Bella und Edward, sie menschlicher Natur, er Vampir. Zwei, die sich nicht haben sollten, genauso wie die Königskinder bei Ovid. Die sich trotzdem wollen und bekommen, was, mit jeder Menge Verstrickungen, für Probleme sorgt.

Ich hatte eines der Bücher einmal in der Hand, las den Satz „Er war ein großer, stolzer Vampir“ und habe es danach umgehend wieder im Regal platziert. Zu schlecht die Schreibe, der sprachliche Stil.

Ernst Stöhr, Vampir, 1899

Nicht, dass ich keine Vampire mögen würde, die mit der Twilight-Saga den allgegenwärtigen Zombiehype mehr oder weniger ablösten. Als Liebhaber der Romantik sowie der späteren Décadence-Literatur haben es mir viele davon angetan: Polidoris „Der Vampyr“, Le Fanus „Carmilla“ oder auch Maturins „Melmoth der Wanderer“, um nur einige zu nennen. Zu Jugendzeiten habe ich derlei verschlungen – und etwas später dann auch die Werke von Anne Rice in die Hand bekommen. Sie waren mir – zu mainstreamig, zu trivial. Aber sprachlich gar nicht so übel, vergleicht man sie mit der Twilight-Saga. Und – die Vampire von Madame Rice waren annähernd so erotisch wie Gary Oldman in „Bram Stokers Dracula“, Deneuve und Bowie in „Begierde“ oder auch Swinton und Hiddleston in „Only Lovers left alive“. Sie waren körperlich und, ja, hatten Sex. So, wie es sich für Vampire gehört, die immer auch für Erotik und (verdrängte) Sexualität stehen, für die (vermeintlich) dunklen Seiten in uns.

Das wiederum missfällt mir an Meyers Saga, ohne sie überhaupt gelesen zu haben. Mag es daran liegen, dass es Jugendbücher sind oder daran, dass Amerikaner für gewöhnlich gerne mal schrecklich prüde sind: Ihre Protagonisten haben selbstverständlich keinen Sex vor der Ehe. Noch nicht einmal ein bisschen. Und kommen daher wie geleckt, Wunsch-Schwiegertöchter und -söhne. Keine düsterromantischen, viktorianisch anmutenden, romantisierten Verführer. Und erst recht keine dreckigen Loser wie die Vampire in Kathryn Bigelows tollem Film „Near Dark“. Auch für eine Coming-of-Age-Geschichte gibt Twilight zu wenig her – umso großartiger sind in dieser Hinsicht, in ähnlicher Thematik beheimatet, „Let the right one in“ und „When Animals dream“. Vielmehr steht bei Meyer das ganze Vampirgedönse allzu deutlich für die ach so gefährlichen Lüste und Triebe von Teenagern, die es tunlichst zu bremsen, zu unterbinden gilt. Das ist mir dann doch alles ein bisschen zu blöd, ehrlich.

Aber kommen wir zurück zu 50 Shades of Grey – und ich habe hier die perfekte Überleitung gefunden: Einigen erwachsenen Lesern hat die Züchtigkeit der Teenies in Twilight wohl auch missfallen und so entstand, anfangs unbemerkt als eine Geschichte unter vielen, 50 Shades of Grey – als Fan-Fiction zu Twilight. Für mich eigentlich unfassbar, wie eine fast 50-Jährige Fan-Fiction zu einem solchen Machwerk schreiben und diese hernach unter dem vollkommen platten Titel „The Master of the Universe“ ins Netz stellen kann – noch dazu unter dem grenzdebilen Pseudonym „Snowqueens Icedragon“. Hauptpersonen waren damals noch – ja, genau, Bella und Edward, die später von der Verfasserin Erika Leonard (bekannt unter dem Pseudonym E. L. James) umgetauft wurden in Anastasia Steele und Christian Grey.

Obgleich sich diese beiden anhören, als seien sie einem Porno der Achtziger entstiegen, und man hoffen könnte (oder eben auch nicht), es gehe mal so richtig zur Sache – das tut es nicht, ganz im Gegenteil.

Alleine das Setting ließ und lässt mir die Nackenhaare zu Berge stehen – Stille Tage im Klischee, um Henry Miller zu verballhornen und den Spiegel zu zitieren, der eine gar herrliche Zusammenfassung zu dem ersten der drei Bände verfasste:

Darum geht’s: Klassisches Setting: Boy meets Girl. Beide tragen Namen, die sich kein Sat.1-Nachwuchs-Drehbuchautor lächerlicher hätte ausdenken können. Anastasia Steel, 21-jährige Studentin, und der sechs Jahre ältere Multimillionär und Businessman Christian Grey verfallen einander. Und ja, es ist kompliziert.

Kompliziert? Details her! Sie ist ein naives Ding mit ‚wunderschöner Alabasterhaut‘ und – Achtung! – noch Jungfrau. Er ist der Ritter auf dem weißen Pferd und auch ‚wunderschön‘ aber, oje, mit traumatischer Kindheit. Die logische Folge: Er macht das Alabaster-Bravchen zur Bondage-Sadomaso-Schlampe – mit Gerte, Karabinern, Knebeln. Das Setting bleibt aber klassisch. Die Dame: Sklavin. Der Herr: Herr. Ein Vertrag regelt sogar, was sie essen darf und wann. Sein Credo: ‚Ich schlafe nicht mit jemandem. Ich ficke … hart.‘“

Anastasia, genannt Ana, die schüchtere Literaturstudentin, graue Maus und Mauerblümchen in Personalunion, sicherlich genauso unschuldig (nach Baby/Babypuder/Penatencreme) duftend wie sie es vor ihrem Zusammentreffen mit Grey noch ist. Und Christian Grey, der erfolgreiche Businessman, knallhart und – natürlich ein gefallener Engel, der auf jemanden wartet, der ihn rettet. Vor sich selbst und vor seiner bösen Vergangenheit.

Denn, das sei bemerkt, Grey hatte keine schöne Kindheit. Auch Missbrauch klingt dabei an – durch eine ältere „Liebhaberin“, die ihn „verführte“ und hörig machte. Und damit seine jetzigen „Vorlieben“ weckte – S/M, wie uns der Film zeigen will. Hier wird nämlich in einen Topf geworfen und lustig herumgerührt, was nicht unbedingt zusammengehört – aber das scheint sowohl der Verfasserin als auch den Filmschaffenden (alles Frauen, ganz nebenbei bemerkt) egal zu sein.

Man kann das sowohl Buch als auch Film ankreiden – und das möchte ich auch tun: Alles, was gemeinhin unter den schönen Sammelbegriff BDSM (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) fällt, jener Gruppe etwas anders gearteter sexueller Vorlieben, beruht auf gegenseitigem Einverständnis und einvernehmlichem Gefallen. Und basiert keinesfalls auf Angst, wie uns der Film glauben lassen mag (Ana). Oder zwangsläufig auf Missbrauch und daraus resultierenden psychischen Problemen, ergo einer Erkrankung.

Dass es in unserer Gesellschaft unterschiedlichste krankhafte sexuelle Neigungen gibt, hat vor nicht allzu langer Zeit Steve McQueen auf sehr eindrucksvolle und reflektierte Art und Weise mit seinem preisgekrönten Film „Shame“ gezeigt. „F*ck away the pain“, wie Peaches singt – Sexsucht als Ersatz für menschliche Nähe, die herzustellen und auszuhalten nicht jedermann in der Lage ist. Anvögeln gegen die eigene Sterblichkeit. Das erinnerte sehr an Michel Houellebecq und dessen Frühwerke „Elementarteilchen“ und „Plattform“.

Eine BDSM-Beziehung ist aber nicht naturaliter krankhaft. Und wenn sie das ist, vielmehr einer der Beteiligten ganz offensichtlich eine Psychoklatsche hat, um es mal salopp zu formulieren, sollte man diese nicht trivialisieren und verniedlichen, wie es 50 Shades of Grey ganz offensichtlich auf ziemlich respektlose Weise tut.

London Luxury with a Whip

Bevor aber jetzt die Sittenwächter auf den Plan gerufen werden: Shades of Grey fehlt es genauso wie Twilight an Biss, sexuellem. Eine Entjungferung in Missionarsstellung von oben gefilmt, ansonsten nur nackte Oberkörper (zu 98% von dem an ein Peek & Cloppenburg-Model erinnernden Hauptdarsteller, der in der Tat Wäschemodel für Calvin Klein war – Jamie Dornan), ein wenig Gestreichel mit Federn, ein paar Fesselutensilien der harmloseren Natur und selbstverständlich kein Fisting oder Ähnliches (vertraglich festgelegt, versteht sich).

Dafür am Schluss dann der Klopper, im wahrsten Sinne des Wortes: Christian, von seinen Neigungen fest im Griff, möchte Ana bestrafen, was er uns in einem denkwürdigen Dialog offenbart, der sich ungefähr folgendermaßen abspielt:

Er: „Ich möchte Dich bestrafen, jetzt.“

Sie: „Ich verstehe das nicht, warum Du mir (immer) weh tun willst. Wieso? Was habe ich Dir getan?“

Er: „Mir ist danach. Der Wunsch ist nicht zu verdrängen. Und ich hasse mich dafür.“

Sie (tränenerstickt, aber bestimmt): „Dann bestrafe mich. Bestrafe mich mit Deiner schlimmsten Strafe. Mit der härtesten, die Du Dir denken kannst.“

Wer auch nur ein einziges Mal irgendeine Dokumentation über Dominas gesehen hat, sei es nun eine Spiegelreportage oder einen schmuddeligen Blick durchs imaginäre Schlüsseloch mit RTL2, dem fallen dazu sicherlich, ob nun gewollt oder nicht, eine ganze Menge Dinge ein. Und Sachen.

Ich für meinen Teil wäre nicht darauf gekommen, dass die Strafe, die in dem an ein billiges, auf edel getrimmtes Bordell erinnernden Folterzimmer (welches vor „Spielzeug“ nur so strotzt) inszeniert wird, so vollzogen wird: Mit einem Ledergürtel und sechs Schlägen auf den Hintern des Nackedeis Ana. Auch ohne großartige Phantasie wäre einem da doch ganz anderes eingefallen. Ana reicht es selbstverständlich trotzdem und sie trennt sich – vor, während und nach dem tränenreichen Nervenzusammenbruch, den sie ob Christians Abgründen erleidet.

Das ist so plakativ, platt, dämlich und hölzern wie der ganze Film, der vor Klischees nur so strotzt. Die ärgerlichsten derselben hat der Spiegel in seiner Filmkritik so hübsch unter dem Motto „F*ck Dich, Feminismus“ zusammengefasst: Ana, die ganz offensichtlich weder masochistisch noch gezwungenermaßen devot veranlagt ist, macht uns vor, dass es für die Frau von heute doch nichts Erstrebenswerteres gibt, als sich einem „Master“ zu unterwerfen und diesem die weitere (Lebens- und Sonst-was-)Planung zu überlassen. Ei wie fein. Scheiß auf die Errungenschaften der Post-Alice-Schwarzer-Generation, auf die Frauenquote und Sonstiges – herzlich willkommen zurück in den 50ern, wo die Frau noch hinter den Herd oder wahlweise auch ins (Ehe-)Bett gehörte!

Ehrlich, Dein Ernst, liebe Erika? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Traurig, wirklich traurig ist aber, dass dieser Hausfrauen(un)porno sich zu einem solchen Bestseller gemausert hat. Warum? Amypink hat es schön zusammengefasst:

„‚Fifty Shades of Grey‘ ist ein prüder Porno für prüde Menschen, die der Meinung sind, dass die holprig formulierten Team-Edward-Sexfantasien einer Frau mittleren Alters das absolute Maximum sind, was der moderne Geschlechtsverkehr zwischen zwei oder mehreren inspirierenden Individuen zu bieten hat, und auf diesem Niveau vor sich hin existieren. Wie aufregend.“

Zu den Dialogen des Films, der im Übrigen besser sein soll als das Buch, muss ich auch keine Worte verlieren – ich übergebe an Salman Rushdie:

„Fifty Shades of Grey makes Twilight look like War and Peace.“

Ein Zitat aus dem Film hat mir dann aber doch gefallen – als Christian Grey von sich selbst behauptet: „Fifty Shades of f*cked up“. Das trifft nicht nur auf ihn, sondern auch auf den Film zu. Klappe zu, Affe tot – oder eben auch nicht. Ich fürchte, bei dem Erfolg drohen uns noch die geplanten Fortsetzungen – dann aber ganz bestimmt ohne mich. Ich habe meinen Dienst getan.

In diesem Sinne: Einen wunderbaren Tag wünsche ich Euch

Eure Ulrike

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

6 Kommentare

  1. Christel
    4. März 2015
    Antworten

    Liebe Ulrike,

    vielen herzlichen Dank für gesparte Zeit, Geld, Nerven … Allmählich hat frau ja wirklich den Eindruck, um eine Auseinandersetzung mit diesen Schattierungen der Trivialliteratur nicht umhin zu kommen. Dein wunderbar spitzer Text hat mich nun aber endgültig davon überzeugt, dass ich mir das sparen kann. Dann lieber doch die alten Vampirgeschichten ausgraben und mal wieder lesen, die haben – wie Du so schön ausführst – noch Stil und ja, eine gewisse schicke Dekadenz. Und verbreiten nicht den Duft von Babypuder …

    Schönen Abend noch, Christel

  2. 4. März 2015
    Antworten

    Ich kapier nicht, warum da alle so drauf abgehen? Aber es könnte erklären, warum Männer so oft fremdgehen. Wenn DAS schon irgendwie toll und aufregend ist, und alls braven Frauen mit schamrotem Gesicht und nassem Höschen im Kino sitzen, haben sehr wenige Menschen richtig guten, geilen Sex. Von hart oder BDSM mal ganz abgesehen. Ist ja furchtbar, die Armen!!!

    Auf alle fantastischen Liebhaber in meinem Leben!

  3. Dorothea
    4. März 2015
    Antworten

    Das hört sich ja sooo was von spannend an *gähn*… Habe aber auch nichts Anderes erwartet, danke für die Bestätigung.
    Ach je, das Leben ist einfach zu kurz für schlechte Bücher – und Filme. Ich habe gerade angefangen, Euphoria von Lily King zu lesen, laut NY Times und BBC eines der besten Bücher des letzten Jahres, ein „love triangle in extremis“. Na dann bin ich ja gespannt…

  4. Simone
    5. März 2015
    Antworten

    Liebe Ulrike,
    danke, daß Du damit meine Überzeugung bestätigst, daß es Dinge gibt, die man sich nicht geben muß. Ich habe mich bislang erfolgreich gegen 50 Shades of Grey gewehrt. Sowohl als Buch als auch als Film.
    Bedenklich finde ich allerdings das Signal gerade an junge Mädchen, wenn um solche Bücher und Filme ein derartiger Hype gemacht wird. „Muß man unbedingt machen“ . Nein – muß man nicht! Soll doch jeder seine Sexualität selbst finden dürfen. Wenn die Vorlieben dann in die eine oder andere Richtung gehen, gut – aber bitte freiwillig.

  5. 25. Mai 2017
    Antworten

    Also ich bin auch der Meinung das dieser fifty shades of Grey-Streifen nichts aufregendes oder prickelndes für Leute beinhaltet die sich ihrer Sexualität voll bewusst sind und diese auch ausleben können. Für alle anderen z.B. die „altmodisch-prüde 0815 Hausfrau“ und für pubertierende Jugendliche kann er evtl. dazu anregen mal etwas anderes als bisher zu auszuprobieren…

  6. 25. Mai 2017
    Antworten

    Ich habe diesen Film auch geschaut und ich muss ehrlich sagen, wäre die Story real, ich wüsste nicht mit wem ich mehr Mitleid hätte mit der armen Maus die sich in diesen Grey auch noch verliebt oder in ihn, der sich für einen ganz tollen Hengst. Im grossen und ganzen war der Film für meine Ansicht ein Flopp, und zwar was die gesamte Story betrifft!
    Liebe Grüsse Sen

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