Am Nachbarhaus bringen gerade Arbeiter in der Gluthitze Solarplatten an und ich bin fast geneigt, ob meiner schattigen Werkbank die Zeile des bekannten Kirchenliedes „Danke für meine Arbeitsstelle“ anzustimmen. Aber nur fast. In der Tat machen ungewöhnliche Temperaturen ungewöhnliche Duftmaßnahmen erforderlich. So mag man mit frischen, aquatischen oder zitrischen Mitteln gegen den erhöhten Sonneneinfall reagieren oder aber man zieht sich maulwurfartig in die dunkle Kühle hinter heruntergelassene Rollläden zurück.
Ich muss auch an Urlaube in südlichen Ländern denken, bei denen man – ein Kulturprogramm absolvierend – auch einmal ein steinernes Gotteshaus betritt, um die religiösen Kulturleistungen längst vergangener Zeiten zu bewundern. Sollte man im Gegensatz zu manch anderen Mittouristen, oder schlimmer noch Landsleuten, auf knappe Höschen und Pommes Schranke in der Hand verzichtet und, dem feierlichen Ort angemessen, das Innere erreicht haben, so stellt sich oft ein allzu angenehmer Temperatursturz ein, der gerade an hochsommerlichen Tagen – neben all dem klerikalen Prunk – einen Vorgeschmack auf die himmlischen Freuden geben kann.
Cardinal – ich glaube, ich erspare uns den Einstieg ins katholische Machtgefüge und bleibe bei der schlichten Aussage, dass die Kardinäle die höchsten Würdenträger nach dem Papst sind. Heeleys „Cardinal“ stellt sicher nicht die Person oder das Amt des Kardinals dar, sondern – nach eigener Aussage – das Innere einer Kathedrale.
Wie sollte es auch anders sein: „Cardinal“ ist ein standesgemäßer Weihrauchduft, herrlich harzig-rauchig und erhält durch Myrrhe weitere Unterstützung. Das Erfreuliche an dieser Kreation ist, dass es nicht bei einem knarzigen, rauchigen Weihrauch geblieben ist. Nein, dieser hier besitzt eine Leichtigkeit, Helligkeit und Frische. Irgendetwas Zitrisches könnte verschwiegen worden sein oder sind es gar minzige Noten, die hier so frisch erscheinen? Wahrscheinlich glitzern einfach die Pfefferkörner in den Kopfnoten und in der Basis steht das Trio Vetiver, Ambra und Patchouli für einen weichen Ausklang, bei dem der Weihrauch aber äußerst ausdauernd erhalten bleibt.
Duftkomposition:
Kopfnote: Rosa Pfeffer, Schwarzer Pfeffer, Aldehyde
Herznote: Labdanum (Zistrose), Weihrauch, Myrrhe
Basisnote: Vetiver, Ambra, Patchouli
Mir fiel gleich Etros „Messe de Minuit“ (Bericht hier) ein, für mich nach wie vor der Referenzduft in Sachen Kirchengemäuer. Die Mitternachtsmesse ist zitrischer, krautiger und besitzt einen ganz leichten süßlichen Vanille-Einschlag, all dies ist bei „Cardinal“ nicht vorhanden, weswegen dieser wahrscheinlich auch so leicht ausfällt.
Weihrauchfreunde, die einen von Kirchenfensterlicht erleuchteten, in leichten Schwaden zum Kirchendach aufsteigenden Weihrauch entdecken wollen, sind bei Heeleys „Cardinal“ genau richtig. Also, liebe Gemeinde, lasset die Weihrauchschwenker kreisen!
Liebe Grüße
Harmen
Für mich ist „Cardinal“ MEIN Weihrauchduft, den ich besonders dann gerne benutze, wenn ich einen klaren Kopf haben will/muss. „Messe de Minuit“ konnte mich bisher irgendwie nicht so recht überzeugen, da greif ich dann doch eher zu Comme de Garcons Weihrauch (besonders gerne „Kyoto“) oder zum Mädchenweihrauch (interner Sprachgebrauch) also „Encens Chembur“ von Byredo.
Cardinal „ist“ der „richtige“ Kirchenweihrauch, der ja auch immer eine Mischung von verschiedenen Ingredienzen ist, und zwar vom Feinsten. Es gibt auch da „Billiges“.
Als neulich mein geistig behinderter Stiefsohn, 37, sehr katholisch, zu Besuch war und ich ihm als Mittel gegen vermeintliche Mücken (kleiner Trick:-D) Cardianl auftupfte, sagte er sofort entzückt: „Weihrauch!“ und an allen Tagen bei uns wollte er damit betupft werden. Bisher hatte er sich gegen jeden Parfümierungsversuch gewehrt. In seinem Zimmer im Heim stand auf der Fensterbank ein Adidas-Duft. Ein Geschenk. Er will damit nicht betupft werden, sagten die Betreuer.
Bei einer meiner nächsten Abfüllungsbestellungen ist daher unbedingt wieder ein Sprayerchen fällig.