… geht es heute weiter: Letzte Woche hatte ich mit Café Chantant beendet, jenem Feierwütigen, heute zieht es uns mit Infinito in die Einsamkeit:
„Um den kalten Winter hinter sich zu lassen, hat die Artistic Perfumery Nobile 1942 eine zarte Liebkosung entsandt, welche nach grünen Gräsern, feinen Ingwerakzenten und einem intensiven Herz aus toskanischer Zypresse duftet. Eine Auszeit unter dem sternenklaren Himmel nehmen, auf der Suche nach Inspiration, sich seinen Gefühlen und Gedanken hingeben. Vielleicht sogar am Fuße einer Zypresse, die schon Van Gogh verzauberten. Diese Momente erinnern uns oft an die berauschende Vorstellung von Verlust, und führen uns das Konzept der Unendlichkeit, welches schon so viele Schriftsteller, Philosophen und Wissenschaftler zu tiefst bewegte, vor Augen.
Die Unendlichkeit, die man gerne mal erahnt, erfühlt, wenn man sich in Naturbetrachtungen verliert. Wie in Eichendorffs Mondnacht “Es war, als hätt der Himmel die Erde still geküsst”. Oder wenn der Meisterkünstler Michelangelo Pistoletto von einem “Dritten Himmel“ spricht, „die glückliche Verbindung zwischen künstlicher und natürlicher Welt, welche ihren Ausdruck in dem mathematischen Symbol der Unendlichkeit findet“. In der grafischen Überarbeitung fügt er dem Symbol einen dritten Kreis hinzu der für die Wiedergeburt einer neuen Menschheit steht, die mit hoher Intelligenz in Einklang mit der Natur steht.“
Unendlichkeit… welch ein bedeutungsschwangeres Thema. In der Mathematik von extremer Wichtigkeit als auch in der Philosophie – hier bauen ganze Gottesbeweise auf den dazugehörigen Prämissen und Schlüssen auf. Mit Eichendorff haben sich die Leute von Nobile 1942 natürlich einen perfekten Paten auserkoren: Romantiker par Excellence und als Schöpfer des „Taugenichts“ einer der bekanntesten Autoren in Deutschland. Um Eichendorff kommt kein Schüler herum – und ich frage mich immer wieder, warum man den Kindern nicht die schönen Hintergrundgeschichten zu den Romantikern erzählt, wie ich es auch schon in der Rezension zu Goutals Nuit Étoilée schrieb, siehe hier. Auch dort hatte ich Eichendorffs Mondnacht zitiert, die ich Euch hier nochmals in Gänze zum Besten geben möchte:
Mondnacht Es war, als hätt’ der Himmel Die Erde still geküsst, Dass sie im Blütenschimmer Von ihm nun träumen müsst. Die Luft ging durch die Felder, Die Ähren wogten sacht, Es rauschten leis’ die Wälder, So sternklar war die Nacht. Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus.Die für die Romantik typische Sehnsucht ist hier in wunderbar schlichte Worte gegossen. Worte, die die Wehmut zum Ausdruck bringen, den Aufbruch, die Suche… nach Unendlichkeit, nach Ganzheit, nach Erlösung, die die Romantiker in ganz unterschiedlichen Regionen suchten (nicht alle waren religiös).
Dieses Zehrende, dieses brennende Bedürfnis, diese hingebungsvolle Melancholie – eigentlich kann ich mir diese olfaktorisch nur in einem kühlen Duft vorstellen. Einem, in dem es irgendwo raucht, gerne von Weihrauch. Diese Komponenten sind gegeben, werfen wir einmal einen Blick auf die Ingredienzen, die verwendet wurden: Kopfnote: Bergamotte, Weihrauch, Ingwer; Herznote: Zedernholz, Zypresse, Eichenmoos, Geranium; Basisnote: Sandelholz, Patchouli, Weißer Moschus, Vetiver.
Infinito ist – kühl, ein kühler Abend in einem kühlen Land. Wir befinden uns hier mitnichten auf den Malediven, genau verorten lässt sich der Duft allerdings nicht. Aber es gibt – Bäume, keine Palmen. Der Abend, die Nacht bricht herein – und zeigt sich hier salzig-dunkel, holzig, frisch und von seltsamer Ingwerherbheit fruchtig geküsst sowie von Bergamotte erfrischt. Eine schöne und aussagekräftige Komposition, prägnant, jedoch zurückhaltend. Außerdem atmet der Duft – Einsamkeit. Es ist jener Friedrichsche Beobachter, jener Einzelne, der sich in der Natur mit sich konfrontiert und/oder eins mit sich, mit ihr wird. Ein kontemplativer (Vetiver-)Duft, beruhend auf der zitrischen Herbheit der Bergamotte, einer kräftigen Ingwernote, Salz, knarzig-trockenem, aber kühlem Holz und rauchigen Anklängen. Dazu kommen Noten von Moos, die, frisch verrieben, Erdverbundenheit symbolisieren – zumindest für mich, und den Duft damit noch natürlicher wirken lassen als er ohnehin schon ist. Geranium und Zypresse sorgen schlussendlich durchgängig für grüne Anklänge mit sachtem Minzeinschlag.
Eher ein maskuliner, aber durchaus für beide Geschlechter tragbarer Duft. Und für mich ein sehr gelungener. Ebenfalls gelungen zu dem Thema und eine echte Leseempfehlung ist Rüdiger Safranskis hervorragendes Buch „Romantik – Eine deutsche Affäre“. Wenn es also gelüstet, etwas mehr über diese (nicht nur) für die (deutsche) Geistesgeschichte wichtige Zeit zu erfahren, die durch so viele Strömungen geprägt wurde und solch heterogene Motive besitzt, der möge sich dieses Buch zulegen.
Alles Liebe und einen guten Start in die Woche,
Eure Ulrike.
Danke für den Buchtipp. Bin gleich zum Buchhändler meines Vertrauens damit.
Das Buch ist toll – es ist zwar mitunter schon etwas anstrengend als „Abendlektüre“, aber es vermittelt wirklich einen tollen Einblick in diese so vielseitige Zeit. Und sprachlich ist es top. Ich bin gespannt, wie Du es findest!
Viele liebe Grüße,
Uli.