Fiorisia…

… ist Duft Nummer Zwei aus dem Hause Profumi del Forte und wird uns heute beschäftigen. Er entstammt, wie sein gestriger Vorgänger Frescoamaro, ebenfalls den Händen eines Meisters: Arturetto Landi. Diesen Monsieur hatten wir dieser Tage schon bei dem Signature-Duft von Rundholz, welcher ebenfalls von ihm ist. Heute nun folgt ein weiterer Landi, und zwar einer, der es in sich hat… Aber wenden wir uns den Zeilen zu, die im Pressematerial über Fiorisia zu finden sind:

„Aus dem Tagebuch des Chefparfumeurs: „Eine Jasminblüte, gepresst zwischen den Seiten meines Tagebuchs. Sie soll mich an ein Treffen erinnern, ein kurzer Moment, ein Augenblick im Frühling. Der Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, die Augen, die ich wohl nie wieder sehen werde. Ein Lächeln um „Lebe wohl“ zu sagen. Der Duft dieser weißen Blüte entfacht wieder die Erinnerung. Wird die Süße der Blüte ausreichen, um meinen Kummer lindern…?“

Das hört sich für mich nach Sehnsucht an. Nach Reminiszenzen, Schattenrissen einer großen Liebe, einer vielleicht zu Ende gelebten oder auch nur begonnenen. Aber einer, die geprägt hat, auf eine Art und Weise.

Mich erinnert diese Art von Sehnsucht an das japanische Ästhetikprinzip „Mono No Aware“, auch übersetzt mit „dem Pathos der Dinge“. Bezeichnet wird hiermit jenes Gefühl der Traurigkeit, jenes unbestimmte, das einen (oder zumindest mich…) gerne auch mal gerade in Momenten absoluter Schönheit durchflutet – und zwar verursacht durch das Wissen um die Vergänglichkeit der Dinge als auch der Situation(en).

Landi erinnert sich mit Fiorisia an einen Moment des Abschieds, durchflutet von großen Gefühlen der Liebe und des Kummers: In jenem Augenblick war die Endlichkeit desselben schon besiegelt, in seinem Vollzug war er bereits Vergangenheit und wirft seine Schatten dennoch in die Zukunft.

In Murakamis Werk „Gefährliche Geliebte“ gibt es eine Stelle, die genau das auf für mich eindrückliche Weise darlegt. Der Protagonist ist – erfolgreich. Hat ein gut gefülltes Bankkonto, ein paar Bars, eine schöne Frau und ein adrettes Kind. Aber er ist – unglücklich. Und zwar wegen solch einer Erinnerung, einer Erinnerung an seine erste „Liebe“ im Kindesalter:

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„Wir hielten uns nur ein einziges Mal bei der Hand. Sie führte mich gerade irgendwohin und ergriff meine Hand, wie um zu sagen: Hier lang – beeil dich! Unsere Hände waren, wenn’s hoch kommt, zehn Sekunden lang umeinander geschlossen, aber mir kam es eher wie dreißig Minuten vor. Als sie mich losließ, fühlte ich mich plötzlich verloren. Es hatte völlig natürlich gewirkt, wie sie nach meiner Hand gefaßt hatte, aber ich wußte, daß sie darauf gebrannt hatte, es zu tun. Das Gefühl, ihre Hand zu halten, hat mich nie wieder verlassen. Es war anders als bei jeder anderen Hand, die ich je gehalten hatte, anders als bei jeder Berührung, die ich je erlebt habe. Es war lediglich die kleine, warme Hand eines zwölfjährigen Mädchens, aber diese fünf Finger, diese Handfläche waren wie eine Vitrine, die absolut alles enthielt, was ich wissen wollte – und was ich wissen mußte. Indem sie meine Hand nahm, zeigte sie mir, was dieses „alles“ war. Zeigte mir, daß es hier, in der realen Welt, einen solchen Ort gab. Während dieser zehn Sekunden wurde ich zu einem kleinen Vögelchen, das in die Luft aufflatterte, in den rauschenden Wind. Vom Himmel aus, von hoch oben, konnte ich ein fernes Bild sehen. Es war so weit entfernt, daß ich es nicht deutlich erkennen konnte, aber irgend etwas war da, und ich wußte, daß ich eines Tages dorthin reisen würde. Diese Offenbarung raubte mir den Atem und ließ mein Zwerchfell beben. Ich kehrte nach Hause zurück, setzte mich an meinen Schreibtisch und starrte lange auf diese Finger, die Shimamoto umfaßt hatte. Es erfüllte mich mit Seligkeit, daß sie meine Hand gehalten hatte. Ihre sanfte Berührung wärmte mir noch tagelang das Herz. Zugleich verwirrte mich dieses Gefühl, machte mich ratlos, in gewisser Weise sogar traurig. Wie würde ich nur je mit dieser Wärme fertig werden können?“ (Quelle: Haruki Murakami: Gefährliche Geliebte, btb, München 2002)

Eine solche Erinnerung ist nie ausschließlich schön, sie ist, wenn nicht melancholisch oder schlichtweg traurig, so doch bittersüß. Und Landis Fiorisia ist ebenfalls von einer bitter-herben Süße, die in dieser Form Ausdruck nicht nur großer Parfumeurskunst, sondern auch emotionaler Tiefe ist.

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Säuerlich-saftige Johannisbeeren sind es, die im Auftakt den Ton angeben, von herber Bergamotte zurückhalten untermalt. An der generellen Säuerlichkeit ist mit Sicherheit auch die angegebene Tamarinde beteiligt, eine im asiatischen Raum sehr weit verbreitete Frucht, die mir persönlich am meisten vom Inder bekannt ist. Alleine sie herauszuriechen fehlt mir – der Vergleich und die Erfahrung, da ich sie zumeist nur in zu Mus verarbeiteter Form kenne. Dunkles Blattgrün bekränzt die Szenerie, deren Herz ganz von Blüten ausgefüllt ist: Sanft-pudrige Iriswurzel samt erdigen Anklängen, nektarhaft anmutende Ylang-Ylang-Blüten, pfeffrig-wässrig-frische Nelke (Gartennelke, keine Gewürznelke) und ausladender Jasmin von verhalten indolischer Natur. Gebettet sieht sich der Duft auf Moschusweiche, von warm-würzig-sauberen Hölzern begleitet.

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Das Zusammenspiel zwischen fruchtiger Frische, opulenten Blüten, Wärme und Zartheit ist in der Tat betörend – und, wie zu erwähnen ist, alles andere als aufdringlich oder gar „zuviel“. Insofern gleicht der Duft wirklich einer leisen, aber überaus prägnanten Reminiszenz und vermag es durchaus, den Puls dank aufwallender Gefühle ein bisschen in die Höhe zu treiben.

Diese Erinnerung ist es wert, erneut gelebt und gefühlt zu werden. Und das oben erwähnte Buch sollte man ebenfalls gelesen haben.

Viele liebe Grüße,

Eure Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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