Candour…

ist der neuste Streich aus dem Hause Humiecki & Graef, den ich Euch heute vorstellen möchte. Aufmerksame Blogleser ahnen natürlich, dass mir das eine Herzensangelegenheit ist, da Humiecki & Graef zu meinen absoluten Lieblingslabels gehören. Duft Nummer Neun ist Candour, und ich wundere mich für einen Moment, dass es schon so viele sind – schön! Wie seine Vorgänger greift auch Candour einen Aspekt aus dem breiten Spektrum der menschlichen Emotionen auf, ein Gefühl, eine Gefühlsregung, einen Seins- oder vielmehr: Gemütszustand: „Candour bringt das zum Ausdruck, was das unersetzliche Geschenk gegenseitiger Empathie, die auf einer gemeinsam geteilten Erfahrung zweier verwandter Geister fußt, meint.“

Und weiter:

„Der Name Candour (brit. Englisch: Offenheit) beschreibt den Gefühlszustand der besonderen Direktheit und den offenen Austausch zwischen zwei (verbundenen) Menschen, die die Phase des sich Vorantastens weit hinter sich gelassen haben und um ihre intuitive Sprache wissen. Die Inspiration für den neuen Duft von HUMIECKI & GRAEF ist der Augenblick, in dem sich diese beiden Menschen, deren Wege sich einst trennten, per Zufall wieder begegnen. Zu diesem Zeitpunkt herrscht an der Kreuzung dieser verschiedenen Lebenswege Offenheit, die von einer einzigen Frage bestimmt wird: Was wäre wenn? Es ist jene erfrischende und totale Klarheit dieses Momentes der Wahrheit, in dem es eine Fortsetzung geben kann oder die gemeinsame Geschichte endgültig endet. Ein Zusammentreffen von süßer Melancholie (getragen durch die eigene persönliche Geschichte) im Hier und Jetzt und voller fruchtbarer zukünftiger Versprechen – frisch und doch vertraut. Es ist Besitz ohne zu besitzen, Wissen ohne zu kontrollieren, Einsicht ohne zu urteilen, Endlichkeit und Unendlichkeit zu gleich.“

Meine eigenen Worte hätten es nicht schöner beschreiben können, empfinde ich doch die Texte zu den letzten Humiecki&Graef-Düften als sehr gelungen – wen wundert, besitzen die beiden Männer hinter dem Label, Sebastian Fischenich und Tobias Müksch eine Designagentur in Köln („Bel Epok“) und sind beide selbst studierte Kommunikationsdesigner.

Wie gewohnt hat man für die Genese des Duftes auf die Zusammenarbeit mit den beiden Parfumeuren Christophe Laudamiel und Christoph Hornetz, genannt „Les Christophs“, gesetzt. Zwei eingespielte Paare, würde ich sagen! Auf der Messe schwärmt der Vertriebsmensch immer sehr von den Briefings bezüglich der Parfumkreationen: Man brieft mit einem Begriff, der von vielen Bildern und Farben untermalt wird, aber niemals von konkreten Handlungsanweisungen. Das dürfte eben der Unterschied sein zwischen dem Parfumeurshandwerker und dem Parfumeurskünstler: Während der eine genaue Angaben benötigt, für wen der Duft ist, nach was er riechen muss, in welche Richtung er gehen soll und so weiter… kann der andere am besten arbeiten, wenn man ihm einfach nur einen Knochen hinwirft, an dem er sich abarbeiten kann – „Es werde – Licht“ oder „Von Luft und Liebe“ oder „Mach mich fröhlich!“ sind für jenen Typ vermutlich die ideale Arbeitsanweisung.

Aber kommen wir zurück zum Duft: Mir kommen gleich einige Geistesblitze in den Kopf, wenn ich mir die Beschreibung so ansehe. Zuallererst denke ich bei dieser Intimität, diese innige Verbundenheit, die zwischen den beiden Protagonisten herrscht, an folgendes Zitat von Aristoteles: „Freundschaft, das ist eine Seele in zwei Körpern.“ Ist das nicht ein schöner Gedanke? Und dann ist da dieser Moment, in dem sie sich befinden: Im Hier und Jetzt, abgekoppelt von Vergangenheit und Zukunft, und doch mit jenen verknüpft. Die Vergangenheit bestimmt ihre Bindung, ihre Vertrautheit. Und mit ihrer Entscheidung, ihrem Handeln werden sie die Zukunft beeinflussen – ihre eigene, die des jeweils anderen, die wieder anderer Menschen sowie… ihr Werden als Mensch.

Dazu fallen mir wieder ein paar philosophische Zitate ein. Fragt man mich, was mich am meisten in meinem Philosophiestudium beeindruckt hat, wird man ziemlich sicher diese Aussage von Spinoza zu Hören bekommen: Jede Bestimmung ist Negation.

Was meint er damit? Bezogen ist dieser Satz auf das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit, ein schwieriges, aber auch sehr spannendes Feld der Philosophie. Nehmen wir einmal den Tisch vor meiner Nase, unter meiner Tastatur: Damit, dass ich ihn als Tisch definiert habe, ist er – kein Stuhl, keine Katze, kein Kaffee. Ich habe ihn damit gekennzeichnet – und ihm andere Möglichkeiten des Seins verwehrt. Er ist wirklich als Tisch. Etwas weniger verschwirbelt: Indem ich diese Zeit hier, die ich an Eurem Artikel setze, als Arbeitszeit ansehe beziehungsweise sie als solche betreibe, habe ich EINE MÖGLICHKEIT, meine Zeit zu verbringen, zur Wirklichkeit gemacht – ich arbeite. Rein theoretisch hätten auch andere Möglichkeiten zur Wirklichkeit werden können – ich könnte jetzt selig mit meinen Katzen auf dem Sofa dämmern oder Shoppen gehen oder mit einer Freundin schnacken oder mich fleißig sportlich an meinem Crosstrainer betätigen. Das tue ich aber nicht – insofern sind diese Möglichkeiten negiert, weil eine andere Möglichkeit, die der Arbeit, Wirklichkeit geworden ist. Auf diese Art und Weise negiert Wirklichkeit Möglichkeiten. Und wir schaffen kraft unserer Realitäten, die naturaliter Konsequenzen nach sich ziehen. Denn selbst, wenn wir meinen, wir würden nicht handeln, entziehen wir uns. Und, wie schon Kierkegaard sinngemäß schrieb, ein kluger Kapitän würde zwar immer wieder eine Zeit lang nicht steuern, wisse aber sehr wohl, dass er schon Augenblicke später vielleicht nicht mehr in die gleichen Richtungen wie vorher lenken kann.

Wir schaffen uns (und anderen) Realität(en) – und erschaffen uns gleichzeitig selbst dadurch, werden Persönlichkeit. Ich für mich sehe in dieser Beschreibung von Candour jenen einzigartigen Augenblick: Eine Momentaufnahme, aufgeladen mit in der Vergangenheit Gelebtem, mit Gefühlen, Reminiszenzen. Und eine, ach was – viele Möglichkeiten, wie es in dieser Situation weitergehen kann und mag zwischen den beiden Beteiligten.

Offenheit – und zwar in jeglicher Hinsicht. Offenheit – zwischen den Menschen, im besten Falle. Offene Herzen, ehrliches Interesse, jener Schwebezustand zwischen dem Ich und dem Außen oder dem Anderen. Und auch – Offenheit betreffs der Zukunft, der zur Wirklichkeit werdenden Möglichkeit, die noch nicht feststeht.

Green Leaf

Humiecki & Graefs Candour setzt das auf folgende Weise um: Harmonisch und gleichzeitig kontrastreich sollte er sein, der Duft, was anfänglich noch nicht die Botschaft ist – in heftigem Grün gewandet stürmt er los, der Duft – mentholisch, minzig, süßlich und dampfend-krautig, irgendwo zwischen frisch geschnittenem Gras, Herbstlaub auf der warmen und leicht feuchten Erde, Pflanzensaft und gerade geernteten Kräutern. Galbanum zeigt sich äußerst präsent, was nicht jedem gefallen wird: Aromatisch, bitter, grün, scharf und holzig zeigt sich dieses Harz von seiner besten (und stärksten) Seite. Salbei und Lavendel tun darüber hinaus hier ihr übriges, begleitet von Kalmus- und Ingwernoten, die sich gegenseitig verstärken. Kalmus, jenem Sumpfgras, wohnt nämlich die gleiche, bitter-fruchtige Herbheit inne wie dem Ingwer. Veilchen stiftet das ihm eigene – Achtung, nur für Dich, liebe Iris 😉 – Süßgrünfruchtigstaubige, von Iris tatkräftig unterstützt mit erdig-pudrigen Anklängen. Zu diesem Zeitpunkt ist das allgegenwärtige Grün etwas in den Hintergrund gerückt, der Fokus liegt für mich – auf der Erde. Wie nasse Erde, sonnengewärmte, kommt mir der Duft vor, Erde, aus der es grünt und sprießt. Erde, die – jede Menge Möglichkeiten enthält, von denen einige bald zur Wirklichkeit werden, sich durch die dicken Schichten des Erdreiches nach oben schieben, sprießen und zu Pflanzen wachsen, blühen und wieder vergehen werden. Vergehen wie das Grün auf meiner Haut, das wie der Hauch einer Ahnung noch bis zum Endes des Duftes nah auf mir bleiben wird. Dafür tendiert der Duft nun in eine ganz andere Richtung, eine ganz andere Facettes seines Naturells gewinnt an Dominanz: Milchnoten, ganz deutliche Milchnoten, von zartem mandelig-marzipanigem Aroma durchzogen und durch Vanillecreme veredelt. Kardamomherbe Frische vermengt sich damit, während Sandelholz zart würzt und ein überaus luzides Maiglöckchen Sauberkeit spendet.

Candour ist so eigen- und einzigartig wie sein Vorgänger Blask und erinnert mich persönlich, wenn ich schon Vergleiche ziehen sollte (was zugegebenermaßen sehr schwierig ist, weil der Duft ein echtes Unikat darstellt) an eine Liebeshochzeit von Andy Tauers Pentachord Verdant und Olfactive Studios Lumière Blanche.

Mit anderen Worten: Candour ist ein Nerd. Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich Nerds liebe? Nein? Muss ich vermutlich auch nicht – es ist einfach so. Und weil Candour ein Nerd ist, sich der Thematik verpflichtet sieht, die ihm seinen Namen gab und weil er riecht, wie er riecht – erinnert er mich an einen der besten Filme dieses Jahr, der auch Eröffungsfilm in Cannes sein durfte: Moonrise Kingdom von Wes Anderson.

Anderson, auch ein Nerd, erzählt auf seine ihm eigene komplett individuelle und natürlich: nerdige Art und Weise die Geschichte, ja, eigentlich: Liebesgeschichte von zwei Kindern an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Suzy und Sam, sind beide Außenseiter – Suzy wird von ihrer überforderten Familie mittlerweile als fast hoffnungsloser Fall abgestempelt, Sam ist Waise und in irgendeinem Pfadfinderlager, wo er keinerlei Anschluss zu den anderen findet. Sie haben sich kennengelernt, die beiden. Und sind Brieffreunde geworden. Über ein Jahr lang schreiben sie sich, erzählen sich von ihren Ängsten und Sorgen, von ihren Wünschen und Träumen, von ihrer Trauer und ihrer Heiterkeit. Und planen, zu verschwinden. Gemeinsam. Und sei es nur für Stunden, Tage. Auszusteigen aus dieser Welt der Erwachsenen und überhaupt Anderen, die für sie beide so unbegreiflich anders sind und anders ticken als sie selbst. Und das tun sie dann auch…

Anderson erzählt seine Geschichte wie immer mit künstlichen, bis ins letzte Detail ausgefeilten Bildern, einer perfekten Bildsprache, einem perfekten Setting. Und in gerade dieser artifiziellen Umgebung wirken seine Charaktere so – authentisch. Wirken ihre Emotionen so greifbar, so rein. Die Leichtigkeit des Seins ist hier wie nicht anders zu erwarten schwermütig und… melancholisch, wie bei allen Anderson-Filmen. Jenem Unterfangen der Kinder wohnt die Vergänglichkeit dieses Momentes inne, und sie müssen sich entscheiden…

Ich finde, Candour passt ganz hervorragend zu diesem Film. Und ich finde, Ihr müsst ihn unbedingt sehen – schon alleine wegen der schönsten Tanzszene neben Travolta und Thurman in Pulp Fiction – Ihr könnt sie im Zeitraffer in unten angehängtem Fanvideo begutachten. Moonrise Kingdom ist gerade eben auf DVD erschienen und genau das Richtige für einen schönen herbstlichen DVD-Abend – vielleicht nach Candour duftend?

Viele liebe Grüße und ein schönes Wochenende,

Eure Ulrike.

P.S.: Eine schöne Rezension zu Moonrise Kingdom kann man in der Welt lesen – siehe hier.

P.S.²: Candour hat natürlich auch eine eigene Geschichte – die verweist auf das legendäre Liebespaar Elsa und Lohengrin, den Schwanenritter, und die Frage danach, was gewesen wäre, wenn beziehungsweise wenn nicht… Deshalb auch die Umverpackung, die die Prägung einer (Schwanen)Feder aufweist – als gutes Omen fungierend.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

4 Kommentare

  1. iris
    28. September 2012
    Antworten

    Deine Umschreibungen von CANDOUR sind so liebenswürdig, dem Duft gegenüber, dass ich gleich den Trailer von Moonrise Kingdom gesehen und die Rezension gelesen hab. Und jetzt würde ich am liebsten in ein Kino gehen, wo ich die Möglichkeit hätte, den Film zu sehen gleichzeitig Bekanntschaft mit CANDOUR zu machen.
    Ich könnte mir vorstellen, über eine gewisse Zeitspanne mit einer gewissen Stimmung diesen Duft toll zu finden, mit ihm zusammen zu sein. Aber dann auch wieder nicht.
    Im profanen Alltag also nicht.
    Aber an einem Abend, von dem man das Ende noch nicht kennt?- Uih, ziemlich heftig, wenn er so „unique“ ist, wie Du ihn beschreibst. Sicherlich blieben das Erlebnis und die Duft-Erinnerung für immer miteinander verbunden…
    Ein glitzerndes Wochenende für Dich!
    Iris

  2. Christiane
    28. September 2012
    Antworten

    Und wann kommt der Duft in die Reichweite der testwilligen Nasen (im shop ist noch kein Datum angegeben)?

  3. Susanne
    28. September 2012
    Antworten

    Danke für diese wunderschöne Rezension – macht Lust auf die Philosophen, auf den Duft, auf den Film … für mich sind die Düfte von Humiecki und Graefs noch unbekannt und haben auch bisher noch nicht „mein Näschen“ (um in Ulrikes Vokabular zu bleiben) gereizt, aber jetzt …
    Susanne

  4. Ulrike
    4. Oktober 2012
    Antworten

    Huhuu Ihr Lieben,

    freut mich sehr, dass Ihr meine Duftrezension mochtet und jetzt Lust auf Candour, Humiecki & Graef als auch auf Suzy, Sam und Moonrise Kingdom bekommen habt 🙂 Ich wäre sehr gespannt auf Eure Meinungen, sobald Ihr Euch auf Entdeckungstour begeben habt 😉

    Candour müsste dieser Tage in unserem Shop ankommen, allzu lange müsst Ihr demnach nicht mehr warten. Und natürlich sind die anderen Düfte allesamt ebenfalls einen Test wert – meine persönlichen Lieblinge sind ja, in genau der Reihenfolge: Geste, Eau Radieuse, Askew (ich könnte auch noch weitermachen…).

    Viele liebe Grüße,

    Eure Ulrike.

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