…ist eigentlich ein Begriff, der den Sachverhalt eines Pleonasmus erfüllt, genauso wie eine runde Kugel, ein weißer Schimmel oder ähnliches. Welche Schmetterlinge, die sich ihretwegen in Bäuchen tummeln, haben sich überhaupt jemals identifizieren lassen?
Natürlich dröseln seit je her Wissenschaftler aller Couleur die Liebe in ihre Einzelteile auf – oder unternehmen zumindest den Versuch. Neurobiologen brechen sie auf Hormonwallungen und Austausch von Botenstoffen im Hirn herunter, Evolutionsbiologen berauben uns unserer Freiheit, indem sie die Liebe mit dem reinen (Geschlechts)Trieb verwechseln. Psychologen beleuchten die Licht- und Schattenseiten und deren Auswirkungen auf des Menschen Psyche, Literaturwissenschaftler verfolgen die Liebesvorstellungen durch die Jahrhunderte. Kulturwissenschaftler vergleichen, während Theologen der Liebe meist Metaphysisches abzugewinnen versuchen.
Ist man selbst verliebt, interessiert einen das herzlich wenig, was die Liebe denn in der schnöden Theorie sein mag – und das ist auch gut so, denn wie mit vielen Dingen ist es mit der Liebe so bestellt, dass man sie leben und sich nicht auf das Sezieren verlegen sollte. Das hemmt, entzaubert und zerstört im schlimmsten Falle. Liebe und Verliebtsein lässt sich nicht mit schlauen Worten erklären. Und trotzdem möchte ich heute versuchen, einer von mir gehegten Liebe auf die Spur zu kommen, wenigstens annäherungsweise – es ist Thierry Muglers Womanity.
Geschaffen wurde der Duft 2010 von Mane unter der Leitung von Fabrice Pellegrin, einem alten Bekannten – Diptyques Eau de Lierre als auch Eau Mage, Eau Duelle und Do Son gehen auf sein Konto, für L’Occitane hat er einige der bekannten Grünteedüfte kreiert, zu Nelly Rodis Scent Factory steuerte er einen Duft bei, dann schuf er Juozas Statkevicius, den von vielen geliebten Schokoweihrauch, für Hermès, Esteban, Reminiscence und die Schweden von Agonist war er unter anderem ebenfalls schon tätig.
Womanity sorgte für einen einigermaßen großen Wirbel, typisch für viele Düfte aus dem Hause Mugler, und das zu Recht: Für einen Mainstreamer war und ist dieser Duft recht gewagt, ein echter Spalter sozusagen – man liebt ihn oder man hasst ihn, viel dazwischen geht vermutlich wirklich nicht. Das Bahnbrechende an ihm ist seine Idee, eine, die zwar nicht komplett neu ist, aber nicht allzu oft in Erscheinung tritt, erst recht nicht im Mainstreamsegment: Man hat hier zwei recht unterschiedliche, um nicht zu sagen komplett gegensätzliche Noten kontrastiert, nämlich Feige, grüne Feige und Kaviar:
„We wanted to break new ground by including a savory note – not oceanic, but truly savory – in a fragrance. The world knew green, oriental, floral… then with Angel we innovated with a gourmand scent. To me, femininity evokes the notion of totality, of completeness; savory and sweet all at once. So we had to find a “salty” note, create an accord, and compose a rhythmic play between sweet and savory.“
Das intendierte Ziel hinter Womanity war ein hoch gestecktes: „With Womanity, the idea was to encompass energy, tenderness, and sophistication at the same time.“ – das Projekt Womanity demgemäß hoch ambitioniert: Es startete mit einer Webseite, gerichtet an Frauen – um „the invisible bond between women” herzustellen, zu verstärken. Ob es nun einer solchen Seite bedurft hat oder nicht – ein ganz netter Versuch ist es immerhin.
Interessant an Womanity ist darüber hinaus, dass Mane eine ganz besondere und neue Methode verwendete, um die beiden Hauptingredienzen, Feige und Kaviar, olfaktorisch darzustellen – die sogenannte Molecular Extraction Technology, eine Weiterentwicklung der Head-Space-Technologien unter Verwendung von Gas. Damit konnte man sowohl die Feige in ihrer Ganzheit erfassen als auch dem Kaviar einen duftenden Körper verleihen – der Theorie nach.
Denn Kaviar vermag ich, beim allerbesten Willen, in Womanity nicht zu entdecken. Anfänglich brilliert der Duft ohnehin im Auftakt mit subtilen Hesperiden, strahlend, aber nicht über die Maßen spritzig. Zitrone, Limette, ein Hauch Grapefruit? Leuchtend und präsent sind sie, zitrisch herb und… salzig, womit bereits der Übergang geschaffen ist zum bedeutsamen Herz des Duftes: Es riecht nach Meer, und mehr noch – nach Salz, Salzwasser, Jod. Unterlegt wird diese Impression der See mit einer Süße, einer karamellisiert wirkenden. Das ist auch der einzige Aspekt, den ich an Essbarem im Zusammenspiel mit besagtem Kaviarakkord wahrnehme – jenes Salz, krustig, und keinesfalls gewöhnlich aquatisch sowie für maritime Noten ebenfalls besonders anmutend. Mich erinnert jene sich hervorragend mit der Haut verbindende salzige Zuckersüße an Karamellsorbet mit kräftigem grobkörnigem Fleur de Sel veredelt. Den Gegenpol dazu bilden Feigenholz und Feigen, frische, grüne Feigen. Deren Geschmack, weniger deren Geruch wurde hier festgehalten in einer Intensität, wie sie wohl für manchen zuviel des Guten darstellen könnte. Darin liegt jedoch auch der Reiz des Duftes – im Kontrast und in der Intensität desselben.
Es gibt ein Manko, das man dem Duft vorwerfen könnte – seine Sillage ist, trotz seiner Ausdrucksstärke, eher mittelprächtig. Und – er weist so gut wie keinen Duftverlauf auf. Für mich ist das in diesem Falle keine Schwäche, sondern der Natur der Idee geschuldet. Womanity kann ich für mich sinnbildlich am besten mit einem (vielleicht ersten?) Kuss einfangen: Es ist diese Attraktion der Gegensätze, das Spannungsverhältnis zwischen den Polen, das schwebend sich gegenseitig annähert, abstößt und sich genauso schnell wieder anzieht. Das umeinander Kreisen, die flirrende Luft, die Ungewissheit.
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, wie Hermann Hesse in einem Gedicht schreibt – auch, wenn man neugierig ist, reicht vielleicht manchmal eine Momentaufnahme. Ein Augenblick, ein glücklicher. Manchmal muss man vielleicht nicht wissen, wie es weitergeht. Und manchmal muss es vielleicht auch nicht weitergehen, denn glücklich ist der, der im Jetzt lebt. So nehme ich denn an, dass Womanity ein Augenblick ist, ein tanzender – und genieße einfach nur.
Viele liebe Grüße,
Eure Ulrike.
Liebe Ulrike – schön! Wieder mal sehr schön geschrieben!
Dem kann ich nur beipflichten. Eine tolle Rezension, wie immer 🙂
Ich kann mich erinnern, nach dem Erscheinen von Womanity mal kurz daran geschnuppert zu haben. Ich fand ihn damals schon sehr besonders und die süß-salzige Kombi ist auch das, was ich an Bois d’Iris von VC&A am reizvollsten finde (und die pudrige Iris, selbstverständlich). Ansonsten sind die beiden Düfte aber nicht vergleichbar, glaube ich, oder? Habe Womanity nicht mehr so gut in Erinnerung…
Gibt es eigentlich noch andere Düfte, die mit dem Kontrast süß/salzig spielen, auch im Nischenbereich?
Einen Duft ohne Verlauf hätte ich mir übrigens dieser Tage auch gewünscht – und zwar bei Infusion d’Iris absolue, den ich anfangs hinreißend schön fand, dessen Basisnoten aber wieder so typisch Mainstream waren 🙁
Liebe Grüße
Dorothea
Spannend zu lesen, sehr gut geschrieben. Ich lese gern deine Artikel. Womanity würde mich von der Beschreibung her, sehr, sehr reizen. Auf meinem Merkzettel ist er schon drauf.
Hallo Ihr Lieben,
vielen lieben Dank für die Komplimente 🙂 Freut mich, dass Euch der Artikel so gut gefällt!
Betreffs des Vergleiches: Bois d’Iris und Womanity haben nicht viel bzw. meiner Ansicht nach eigentlich nichts gemein 😉 Was Düfte angeht, die mit einer Ambivalenz gleich der Kombination von Süß & Salzig spielen – da gibt es einige. Exakt diese Kombination lässt mich nachdenken… PGs Bois Naufragé hat einige Akzente, die in diese Richtung weisen, Acqua di Sale von Profumum ebenfalls. Serge Lutens‘ Jeux de Peau geht für mich auch ganz klar in diese Richtung. Boho von Armando Martinez war ebenfalls solch ein Grenzgänger, dann fiele mir da noch Platinum von Profumi del Forte ein, den ich entfernt in diese Richtung einordnen würde – fette salzige Grapefruit und fruchtig-herber Rhabarber auf einer wärmeren Basis.
Mir fällt aber sicher noch etwas ein 😉
Viele liebe Grüße,
Eure Ulrike.