beschäftigen wir uns heute mit den Neuigkeiten, die uns Enrico Buccella bescherte: Den Anfang machte seine neue Kollektion Les Voiles Depliées, gestern habe ich zwei Neulinge von Cerchi Nell’Acqua rezensiert, Isotta und Ipazia, heute ist nun L’Exotique dran aus dem gleichen Haus, sowie Bayan Mulak und Hymba von Sigilli.
L’Exotique ist in der Tat so erfrischend, dass einem der Duft fast tropisch vorkommen mag – und das, obgleich er keinerlei exotische Früchtchen enthält: Mandarine, Orange, Bergamotte, Zitrone, grüne Noten und Ambra wurden verwendet. Wie Ihr es Euch denken könnt, geht es außerordentlich zitrisch zu, spritzig, dynamisch, energiegeladen wirkt jener Agrumenverbund, saftig und prickelnd. Und irgendwo in der Verbindung der Hesperiden mit dem in allerlei Grüntönen leuchtenden Blattwerk entsteht der Eindruck von – Ananas. Ich hätte schwören können, das hier eine grüne Ananas zu finden ist. Seitdem ich die Ingredienzen kenne, weiß ich, dass ich mich getäuscht habe – der Eindruck ist allerdings der gleiche wie zuvor – A-N-A-N-A-S. Das Grün wirkt bisweilen fast eukalyptusartig, was unsere Exotische in gedankliche Nähe zu Humiecki & Graefs Eau Radieuse rückt. Ein, wie ich finde, sehr passender Vergleich und eine durchaus ehrenwerte Verwandtschaft. Im späteren Duftverlauf gebärdet er sich allerdings deutlich zahmer und weicher, weshalb ich die obige Ingredienzenliste eigentlich noch mit Moschus ergänzen würde. Der Sommer kommt bestimmt – und L’Exotique könnte hier für den einen oder anderen eine gelungene Abwechslung und Bereicherung des Repertoires bieten.
Mit Sigilli verschlägt es uns jetzt in fremde Regionen – nämlich in die Mongolei und nach Namibia. Beginnen wir mit Bayan Mulak, der uns ins die nördliche Mongolei entführt: Bayan Mulak ist der Name der Einheimischen für diese Region, die sich von der Taiga bis hin zur Tundra erstreckt. Der Name heißt soviel wie „Reiche Quellen“ und verheißt somit bereits die Schönheit der Landschaft: Wälder und Wiesen wechseln sich ab, durchzogen von Bächen und Quellen, an denen die berühmten Wildpferde ihren Durst stillen.
Der Duft fängt diese Vielfalt ein: Er grünt gleich im Auftakt und evoziert das Bild einer wilden Wiese, von Kräutern und Blüten durchsetzt. Ozonige Noten symbolisieren den weiten Himmel, der sich über einem ausbreitet und Freiheit suggeriert. Winde wehen und tragen den Duft der nahen Wälder herüber, Nadelwälder, strenges Kiefernharz, das fast schon mentholisch anmutet. Anklänge von Moosen zeichnen weich, fangen die Strenge der Hölzer ab und bereiten einen sanften Hintergrund. Waldbeeren vermeine ich zu entdecken, geschützt zwischen den Moosen sprießend. Und, wenn man ganz genau aufpasst, dann weiß man auch, dass man nicht alleine in dieser Idylle ist – irgendwo dort im Unterholz knackt und knarzt es, leise, aber vernehmbar. Tiere, deren Anwesenheit sich in einer von fern kommenden würzigen Wärme niederschlägt. [Edit: Je länger der Duft währt, desto sicher bin ich mir, dass die animalischen Noten in der Basis wirklich nach Pferd duften, ähnlich wie in Giacobettis Dzing! – das nun gefällt mir außerordentlich gut.]
Wer träumt sich nicht manchmal davon in einsame, unberührte Natur? Von einer Reitreise durch die Mongolei träume ich zumindest schon lange – bis ich mir die leisten kann, nehme ich mit Bayan Mulak vorlieb. Eine nette kleine Insel im alltäglichen Wahnsinn, wie ich finde. Und da derlei Naturimpressionen in Flaschen auch häufig gesucht werden, hege ich keinerlei Zweifel, dass dieser Sigilli seine Freunde finden wird.
Mit Hymba wechseln wir nun den Kontinent und springen nach Afrika, genauer: in die Wüstenlandschaft des nördlichen Namibia. Dort haust, pardon – lebt eine halbnomadisches Volk, das den Namen Himba trägt. Die Frauen der Himba haben es Enrico Buccella mit einer ganz besonderen Spezialität angetan: Sie extrahieren aus der Pflanze Omumbiri ein Harz, dass sie für einen ganz speziellen Zweck Nutzen – sie mischen es mit Butter und roter Erde und reiben sich damit ihre Leiber ein. Vermutlich dürfte es als Sonnen- und Insektenschutz gedacht sein, hat natürlich aber auch schmückende Wirkung. In jedem Fall sehen sie damit aus wie bronzene Statuen und duften wohl so unvergleichlich harzig-milchig, dass Buccella beschloss, diesen Damen einen Duft zu widmen, für den er natürlich dort gekauftes Omumbiri verwendet.
Eine Recherche zu Omumbiri erbrachte, dass die Pflanze Commiphora wildii genannt ist und ausschließlich in Namibia zu finden ist. Der Stamm nutzt sie in obiger Manier wohl schon sehr lange, aufgefallen ist das der Industrie erst vor einigen Jahren – diverse Aromastoffhersteller forschen wohl bereits in diese Richtung. Wenn man das ganze richtig angeht, dürfte das dem Stamm natürlich auch zur Überlebenssicherung dienen – wollen wir es für Sie hoffen.
Hymba – braucht Zeit. Und ist trotz des ursprünglichen Eindrucks, den der Duft erweckt, sehr komplex. Er möchte erschlossen werden – und erlaubt einem das Stück für Stück auch. Kann ein Duft harmonisch und harsch zugleich sein? Er kann. Alleine die Myrte am Anfang, jenes klar-aromatische Kraut, duftet frisch, aber eben auch medizinsch – eine solche Wirkung hat sie ja auch. Ihre Eukalyptusanmutung wird durch die Verwendung von Zitrusfrüchten, vornehmlich Zitrone und Bergamotte weiter verstärkt. Buccella balanciert dies gekonnt mit zwei weiteren Duftfacetten aus, als da wären einmal jene Seite, die vermutlich Ausdruck der femininen Seele ist – eine weiche, skinnige, von Milch und Vanille geprägte mit Cerealien, an Lann-Ael von Lostmarc’h – und eine tiefe, warme, eine nach glimmenden Harzen duftende, holzig-rauchige. Ein Symbol für das ewig Weibliche, das Lockende? Ich kann mir schon vorstellen, dass jene Körberbemalung in der Sonne samt ihres Duftes etwas Besonderes ist – und in jedem Fall eine wesentliche Waffe, nicht nur gegen Insekten, sondern auch im Buhlen um Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts.
Hymba hebt sich wohltuend von vielen Harz- und Weihrauchdüften ab, gewinnt dieser Thematik eine neue Seite ab, beleuchtet eine andere Facette. Allerdings kommt man nicht umhin, ein Herz für Harze zu haben, wenn man Hymba mögen möchte. Dann allerdings sollte man sich mit Haut und Haaren auf diesen ungewöhnlichen Duft einlassen.
Viele liebe Grüße,
Eure Ulrike.
P.S.: Im Übrigen bin ich nicht nur immer bemüht, Fotos zu finden, die meinen Gedanken zu den Düften Ausdruck verleihen, sondern bin ebenfalls bestrebt, „echte“ Fotos zu verwenden – wir sind ja hier nicht bei der BILD-Zeitung 😉 Deshalb sind es auch „echte“ mongolische Pferde sowie „echte“ Himba-Frauen und nicht irgendwelche Afrikanerinnen.
Es gibt halt URLAUB und REISE!
Sehr verführerisch diese beiden „Reise“- Düfte für das innere Verlassen des Kontinents…
Freu mich besonders, weil ich persönlich nicht wirklich diese feinen Urlaubs-Sommerlüftlichen- Düfte brauche. Vielmehr etwas, dem ich „verfallen“ kann…
Wer Reisen liebt (wie ich), der trägt auch unbewusst mancherlei DUFTerlebnis in sich herum, Schätze allemal, besser als (fast) alle Reise-Fotos- zumindest die der kleinen Digi- Kameras. Wenn man mal ein Dufterlebnis in anderem Zusammenhang abrufen kann, tut sich, mit urplötzlichem Glücksgefühl, eine ganze Welt auf…
Apropos Fotos: (sorry für die Lobhudelei- aber was wahr ist, ist wahr!) auch da, wie bei den Bildern, die Du mit Deinen Worten „zeichnest“, hast Du ein sensibles Händchen!!! Ich genieße Deine Tagebucheinträge liebend gerne!
Schönen frisch-sommerlichen Tag für Dich…
Iris
Das ist wieder so eine Rezension, bei der man sich nach dem Lesen fühlt wie nach einer 10-minütigen Urlaubsreise.
Man glaubt, die beschriebenen Düfte tatsächlich riechen zu können. Die Körperkunst der Himba-Frauen finde ich übrigens ausgesprochen schön (wo es mich doch so vor Tellerlippen und Co. gruselt).
Den Geruch von Erde und Schlamm habe ich schon immer gern gemocht, egal ob es sich dabei um Waldboden, nassen Baggersee-Sand oder Tonerde handelt (nicht zuletzt wegen so manchem Kindheitserlebnis). Düfte mit Erde als Komponente sind wohl auch nicht allzu häufig zu finden?
Im übrigens schließe ich mich Iris an – die Bilder eurer Rezensionen sind ausnahmslos schön und machen richtig Lust, die Düfte zu testen.
Schön fände ich auch, wenn ihr immer die jeweiligen Flakons mit abbilden würdet. Man soll ja zwar kein Buch nach seinem Einband beurteilen, aber ich finde es immer interessant, wie sich die Designer-Designer die perfekte Verpackung ihrer Schätze vorstellen. Oft sind ja die Flakons selbst kleine Kunstwerke.
Liebe Grüße
Kati
herrje, ich meinte natürlich die Duft-Designer…
Oh ja, schöne Flaschen finde ich auch toll, obwohl ich natürlich auch niemals einen Duft nur wegen des Flakons kaufen würde. Vor Jahren habe ich einen Flakon Sun Moon Stars geschenkt bekommen – weil die Schenkende die Flasche soooo schön fand – den Duft habe ich kein einziges Mal getragen.
Einen sehr ausgefallenen Flakon habe ich vor kurzem erworben – es ist der über 30cm lange, schlanke Glaszylinder von IUNX Eau Blanche. Nicht praktisch, aber irgendwie cool.
@Kati – wenn Du erdige Düfte magst – vielleicht wäre Black March von CB I Hate Perfume ein Testkandidat für Dich?
Liebe Grüße
Dorothea
Liebe Dorothea –
einen Duft nur wegen seines schönen Flakons gekauft habe ich auch noch nie. Aber es kommt schon vor, daß ich auf Test-Streifzügen in Parfümerien bevorzugt zu Flakons greife, die mir optisch gefallen.
Nischendüfte sind ja in der Regel in schlichtere Flakons abgefüllt, deshalb geht man da sicher etwas neutraler ans Testen. Ist mir auch lieber so. Ich will ja einen Duft möglichst unvoreingenommen testen.
Wobei ich gegen schöne und kreative Flakons natürlich absolut nichts habe. Ich muß aber sagen, daß mir so manche Flakons von Mainstream-Düften ZU „kreativ“ sind. Ich denke da an die schräg stehenden Flaschen, asymmetrisches Glas und solche futuristischen Skulturen.
Wahrscheinlich nimmt man auch nur subjektiv wahr, wenn der Flakon zum Duft „paßt“.
Wäre ein interessantes Experiment: Ordnen Sie 10 Düfte ihren passenden Flakons zu. Da würde wahrscheinlich jeder die Düfte anders zuordnen.
Ich denke da gerade an den Duft „Silver Rain“ von LaPrairie: Der Flakon sieht aus wie ein riesiger silberner Tropfen. Man erwartet einen kühlen, metallischen Duft. Aber der Duft ist eine heiße Gewürzbombe. Da passen weder der Name noch der Flakon. Mir gefallen zwar sowohl der Flakon als auch der Duft, aber ich erwarte von einem Duft eigentlich schon, daß zumindest kein eklatanter Widerspruch zwischen Name, Flakon und Duft besteht.
Danke für den Test-Vorschlag.
Ich sehe schon, ich kann nie so viele Düfte testen wie ich gerne würde. Ich müßte in eine Parfümerie einziehen.
Liebe Grüße
Kati
Bieten Buchhandlungen nicht öfter mal Lesenächte an, wo man dann jenseits der Öffnungszeiten nach Lust und Laune in Büchern stöbern kann? Das wär’s doch – eine Schnupper-Nacht bei ALzD (man muss ja nicht gleich einziehen ;)))
Liebe Grüße
Dorothea
Irgendwie… ist mir dieser Artikel samt Kommentaren entfleucht, fragt mich nicht warum… Dabei habt Ihr hier so fleißig geschrieben, freut mich!
@ Iris: Ganz vielen Dank für das tolle Kompliment. Es freut mich immer sehr, wenn ich mit meinen Texten jemanden erreichen kann. Wenn es jemand wichtig ist, wenn jemand daran Freude hat, wenn ich eine kleine (Alltags)Insel schaffen kann, von der man zehren kann, mit der man schnell entfliehen kann für ein paar Minuten 🙂 Dankeschön!
Ich kann mir das sehr gut vorstellen, dass man als Vielgereiste(r) eine andere Offenheit gegenüber Düften an den Tag legt und Düfte natürlich NOCH MEHR mit Erinnerungen assoziiert als andere Menschen. Ganz abgesehen davon, dass ich auch nicht auf die 0815-(Sommer-)Düfte stehe, aber das dürftest Du schon bemerkt haben 😉
@ Kati: Auch Dir ein großes Dankeschön für die lieben Worte! Deine Matschleidenschaft teile ich natürlich, wie Du Dir denken kannst – ich bin auch ein „Schmuddelkind“ in dieser Hinsicht 😉
Was Deine Anregung angeht zwecks der Flakons – die nehme Ich gerne an 🙂 Und Dorotheas Anregung solltest Du rein interessehalber mal folgen: Ich mag die CB I Hate-Düfte, obgleich es wenige gibt, die ich wirklich auf der Haut tragen möchte.
Betreffs der Düfte bin ich selbst ja nicht wirklich flakonverrückt: Ich stehe auf die Puristen. The Different Company sind meine Lieblinsflakons, Le Labo, Humiecki & Graef mag ich ebenfalls sehr gerne oder zum Beispiel Odin. Allerdings finde ich es völlig ok, dass z.B. ein Teil der Franzosen, vor allem diejenigen aus älteren Häusern, etwas aufgerüschter daherkommen. Kaufentscheidend ist für mich ein Flakon niemals. Allerdings mag ich es auch nicht, wenn eine so große Diskrepanz zwischen Äußerem und Innerem besteht (und vielleicht gar nicht gewollt ist und keine geplante Ambivalenz ausdrückt). Sollte man oftmals nicht meinen, dass das häufiger passiert – zumal Flakonentwicklung und -fertigung jetzt auch nicht soo ein günstiger Posten ist…
@ Dorothea: Nightmare on Scent Street oder auch Schnüffler der Nacht oder One Night in Bruchsal… 😀 Ich glaube, ich schaue zu viele (gute und auch schlechte) Filme 😉
Ich finde aber, das hört sich ganz großartig an! Ich bin dabei, würde aber auch mein Wohnzimmer zur Verfügung stellen 😉
Viele liebe Grüße,
Eure Uli.
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