***Eilmeldung: Antiker Creed-Flakon bei Stonehenge ausgegraben!***

Man sollte nicht allen Informationen blind vertrauen, die man aus den Werbeabteilungen großer Parfummarken bekommt. Vor allem Häuser wie Creed geben sich alle Mühe, die Mächtigen, Schönen und Reichen in ihren Kontext zu rücken. Dabei wird oft zweigleisig gefahren: Zum einen werden Düfte den Königshäusern, den Monarchen und sonstigem Adel, bedeutenden Politikern oder Filmlegenden aus der Traumfabrik zugeschrieben. Zum anderen pflegt man selbst eine lange Unternehmensgeschichte, möglichst seit dem 18. Jahrhundert, die auf diese Weise die ersten Behauptungen ermöglichen soll. Diese lassen sich natürlich kaum beweisen, im Netz findet man ellenlange Diskussionen über dieses Thema, wie z. B. hier. Gezielt gestreute Gerüchte mögen in vielen Fällen eine Rolle spielen, gewitzte Werbestrategien oder aber Fakten.

Einen sehr interessanten Artikel zum Thema Fakt und Fiktion in der Selbstdarstellung von Creed und im Vergleich zu Farina kann man im Blog state of the [car]nation lesen: „making history III: the usable pasts of creed and farina

Creed zieht die Geschichtsnummer voll durch, so dürfen wir in der Duftbeschreibung von „Royal English Leather“ Folgendes lesen:

Portrait of Maria de Medici with her iPhone, after Agnolo Bronzino

Royal English Leather war der erste Duft, den Creed im Auftrag von König George III. im Jahre 1781 schuf. Creed war zur damaligen Zeit Handschuhmacher am königlichen Hof. Creed parfümierte die Handschuhe, wie es damals üblich war, sodass der König, wenn er sein Kinn abstützte, in den feinen Duft des Handschuhs gehüllt war. Der König genoss diesen Duft sehr viel mehr als jenen, den seine Besucher mitbrachten.

George III. liebte diese Handschuhe so sehr, dass er Creed darum bat, ihm einen Duft für den Körper zu kreieren. So schuf Creed den Duft Royal English Leather für seine Hoheit und begründete damit eine der berühmtesten Duftdynastien der Geschichte: Creed.

Ich nehme an, dass ich für viele spreche, wenn ich sage, dass es durchaus in Ordnung ist, Geschichte und Geschichten zu verkaufen. Zu einem gelungenen Konzept gehört sicherlich nicht nur ein handwerklich gut gemachter Duft, sondern auch die Präsentation, der Flakon, die Aufmachung, der Name und die verknüpfte Geschichte. Es gibt genügend Düfte, die sich beispielsweise das orientalische Mäntelchen „Tausendundeine Nacht“ umgehängt haben, und das ist auch gut so. Werden allerdings Geschichten gestrickt, die sich durch historische Fakten gar nicht nachweisen lassen, dürfte sich der eine oder andere leicht veralbert vorkommen.

Jean Ackerman, of Ziegfeld's Follies

„Royal English Leather“ identifiziert Octavian Coifan als hervorragenden und typischen Duft der 1920er Jahre, ganz in Cotyscher Manier. Sollte der Duft also tatsächlich 1781 entwickelt worden sein, hätte der Parfumeur ein geradezu prophetisches Genie sein müssen. Wie nennt man das, wenn man die Haut unter dem Auge mit dem Zeigefinger nach unten zieht?

comfort

Meines Erachtens hätte „Royal English Leather“ keinerlei Winkelzüge nötig, denn was mir hier auf dem Duftstreifen begegnet ist ein ausgesprochen charakteristischer Duft und das im vollkommen positiven Sinne: Zuerst nehme ich süße Mandarinennoten wahr, deren Süße aber sofort von den Ledernoten konterkariert wird, wieder einmal eine holzlackähnliche Note. Zugleich atmet noch etwas im Hintergrund, was ich zunächst einmal als schmutzig oder tierisch bezeichnen möchte.

Auf der Haut entfaltet sich der Duft besser, ist von Beginn an krautig-bitter-medizinisch. Das Leder kommt nicht in voller Pracht zum Tragen, dafür ist es zu sehr in die Gesamtkomposition eingebettet. In der Langzeitwirkung mag man noch leicht frische Einsprengsel vernehmen.

Singular

„Royal English Leather“ ist ein Duft, den man sich am besten an der passenden Frau riechen möchte. Ein wenig ledrig, verraucht und verrucht, eine „herbflorale“ Schönheit wie man sie sich in den wilden Zwanziger Jahren vorstellt. Um die Kurve wieder zu Fakt und Fiktion zu kriegen, Geschichte hin oder her, kein Werbetext dieser Welt macht aus einem schlechten Duft einen guten und umgekehrt, und auch George III. wird es nicht weiter kratzen.

Ein ausgezeichneter Duft voller Atmosphäre, den ich wieder einmal vor allem den Freundinnen von Knize Ten empfehlen möchte.

Mit wie viel Phantasie darf Eurer Meinung ein Produkttext geschrieben sein?

Unzeitgemäße Grüße
Harmen

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Harmen Biró Verfasst von:

Hallo, ich heiße Harmen, war bis vor Kurzem irgendwas­unddreißig und habe immer die Nase im Wind, um Duftschätze für Euch zu finden und hier vorzustellen. Selbst bevorzuge ich feine Lederdüfte oder Gewürzkompositionen, ohne mich da aber festzulegen. Warum auch? Es gibt ständig so viel Neues in der Welt der Düfte zu entdecken. → BIRÓ

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