…an Regen denken, evoziert der Begriff bei den meisten von uns sofort Unfarben: Grau in grau verhangen zeichnet man sich in Gedanken die Szenerie dazu, von düsteren Farben geprägt und oftmals eher trister Stimmung begleitet. Eigentlich hätte man das von Lyn Harris doch auch erwartet, oder? Wo, wenn nicht in England ist Regen trostlos, unangenehm nass und lässt einen frösteln, unabhängig von der Temperatur? Die Nase hinter Miller Harris hat sich zu ihrem Duft La Pluie, dem Regen, aber etwas ganz anderes einfallen lassen, nämlich einen „exotischen Regensturm mit vielen weißen Blüten und einem geheimen Regenwolkenakkord.“ So lautete übersetzt die Beschreibung zu La Pluie, die die Firma in ihrem Pressematerial nochmal ein wenig genauer ausführt:
„Conjuring the inky blue-black of clouds heavy with rain and the heightened sense of expectancy before a thunderstorm, this fragrance is richly suggestive of tropical showers and the balmy climate of a far away island. Top notes of bergamot Italy, tangerine, lavender and a hint of blé absolute (wheat) refresh the heart of wet, white flowers. The centrepiece is a tropical accord of ylang ylang absolute from the Comoro islands, framed by Egyptian cassie absolute, jasmine absolute and Tunisian Orange flowers. The warm and sensual base is finally revealed with vetiver bourbon and vanilla bourbon which take their name from their country of origin, the Ile de Bourbon, an old, forgotten name for the Island of Réunion.“
Nicht nur die Nacht ist aus Tinte gemacht – auch die Wolken, zumindest hier bei Lyn Harris, die beileibe nicht die erste Parfumeurin ist, welche sich von Regen und Sturm inspirieren ließ: Jean-Claude Ellena zauberte für Frédéric Malle das betörende Regenaquarell Angeliques sous la Pluie und Mark Buxton kreierte für Calé Fragranze d’Autore den mysteriösen Gewitterauftakt Roboris, sein Kollege Maurizio Cerizza die Post-Gewitter-Impression Fulgor. Bei Annick Goutal findet sich Un Matin d’Orage, ihre Interpretation eines blühenden asiatischen Gartens nach einem Platzregen im trocknenden Sonnenlicht. Für mich hängt beim Terminus des Regens die zu erreichende Latte in Anbetracht der genannten Beispiele sehr hoch – wir werden sehen, ob Frau Harris mithalten kann.
Bergamotte, Mandarine, Lavendel und Weizen sowie nasse, weiße Blüten – Ylang, Kassie, Jasmin und Orangenblüte, gebettet auf einer Basis aus Vetiver und Vanille. Das hört sich für mich nicht besonders spektakulär an – und wenn dann noch von Regen die Rede ist, befürchte ich trotz oder wegen meiner hohen Erwartung wie bei jedem solchen Duft eine mir den Atem im negativen Sinne raubende Mischung aus aquatischen Knallern aus der Synthetikküche. Die Verbindung mit weißen Blüten könnte jenes Schreckensszenario noch potenzieren…
…tritt aber nicht ein, ganz im Gegenteil: La Pluie ist anders, ganz anders. Das ist weder ein Wolkenbruch in England noch ein Gewitter über dem Strand in Phuket, wo sich rotbäuchige Engländer im Sand aalen und auch kein Unwetter über Langnese-Malle.
La Pluie ist sachter Regen, sanft. Ein feiner Schauer von fragilsten Tröpfchen, die sich anfühlen wie warmer Nebel auf der Haut. Der Duft lässt sich schlecht auseinanderfisseln, er besteht als Ganzes, als olfaktorisch gewebter, graziler Duftteppich, bereits kurz nach dem Aufsprühen. Die ersten Sekunden werden von zitrisch-prickelnd-saftigen Hesperiden dominiert, die von grünen Noten umrankt werden. Blattwerk? Ich weiß es nicht, will es nicht wissen – denn La Pluie lebt von seiner Indifferenz. Hauchzart zelebriert er sich als zauberhaftes Nichts auf der Haut, das so viel mehr ist als das Gegenteil von Etwas: Feinste grüne Töne vermengen sich mit floralen Noten, einer subtilen Süße, einer unausgesprochenen Wässrigkeit sowie einer vanilligen Wärme mit Cerealienanmutung, die mich bisweilen an Lostmarc’hs Lann-Ael erinnern. Luftige Lavendelvanille für einige Augenblicke, dann wird mir wieder grün vor Augen, bevor tropische Blüten vor mir aufblitzen. Einige Momente vermag ich pudrige Iris zu entdecken mit erdfeuchten Wurzeln, bis sie sich meines Blickes wieder entzieht und in einer cremigen Frische entschwindet.
La Pluie wird kein Duft sein für jedermann: Er wird vielen zu leise sein, zu unentschlossen. Dabei ist gerade das, wie ich finde, sein großer Trumpf: Ich liebe seine Unbestimmtheit. Finde, dass es viel mehr solche Parfums geben sollte. La Pluie stellt für mich die Sorte olfaktorisches Nichts dar, an der sich viele Parfumhersteller orientieren sollten, wenn sie einmal einen sauberen, kleinen, feinen Duft kreieren wollen, an der überparfumierten Welt krankend. Aus diesem Vorsatz entstehen nämlich allzu oft ziemlich charakterlose, flache Kandidaten – etwas, das man von La Pluie absolut nicht behaupten kann. Ein exzellentes Beispiel für einen transparenten, leichten Duft, der nichtsdestotrotz oder gerade deswegen über eine ganze Menge Aussagekraft verfügt.
Habt Ihr sie schon getestet, die beiden Miller Harris-Düfte? Sie sind ja schon eine ganze Zeit auf dem Markt. La Pluie könnte ein wunderbarer Kandidat für das Frühjahr werden – mal sehen, ob ich dauerhaft widerstehen kann…
Viele liebe Grüße,
Eure Ulrike.
Auf diesen Duft bin ich durch Isabelle aufmerksam geworden. Merci beaucoup, chère Isabelle.
La Pluie. Dieser Duft ist sicher nicht für jemanden gemacht, der auffallen möchte. Er ist leise und sehr hautnah. Der Anfang ist angenehm frisch, die Herznote kam auf meiner Haut sehr intensiv hervor. Und anschliessend die Vanille. Weich und schön.
Dieser Duft wird die Mitmenschen nicht „erschlagen“ und den Atem rauben. Ein sanfter Duft, der frau vor allem für sich trägt.
Barbara
La Pluie ist soo toll, oder?