Wenn sogar ein Luca Turin Bestnoten zückt, sollte man zumindest einmal aufhorchen. „New York“ von Patricia de Nicolaï ist ein echter Spalter, wie mir eine kurze Recherche bestätigt. Ich bin mir relativ sicher, dass es die Kombination aus einer kräftigen Zitrone mit Patchouli ist, die da die Geister scheidet, denn nach einem spritzig-zitronigen Auftakt folgt ein krautig-pfeffriger Einschlag. Dieser wird sogleich von erdig-warmen Patchouli-Ambra-Tönen flankiert, dunkel und bissig anmutender Vetiver im Verbund mit Eichenmoos unterstreicht diesen Eindruck noch. Die Zitrone bleibt ungewöhnlich lange präsent. Die würzige Komponente setzt sich aus pfeffrig-holzigen Tönen zusammen, manch einer mag hier noch Gewürznelke oder Thymian oder gar Paprika vernehmen, Lavendel spielt in jedem Fall eine Rolle – ganz klar lässt sich das nicht auseinanderziehen. Als Duftnoten gibt die Herstellerin folgende an: Kopfnote: Zitrone, Petitgrain, Bergamotte, Lavendel, Beifuß; Herznote: Piment, Pfeffer, Patchouli, Zedernholz; Basisnote: Vanille, Leder, Ambra.
Ein komplexer Charakter ist New York von Nicolaï. Verschiedenste Facetten leuchten im Duftverlauf auf, neuartige und mutige Nuancen, kräftig, bissig und leuchtend, aber auch von erdiger Dunkelheit erfüllt… all dies jedoch eingebettet in das klassische Gewand eines Chypre.
1989 bereits erschienen hätte New York aber durchaus auch einige Jahrzehnte älter sein können. Ich bringe diesen klassisch anmutenden Duft nun nicht direkt mit der pulsierenden Metropole New York zusammen, außer vielleicht wenn wir in die alten sepiafarbenen Zeiten Little Italys zurückkehren, wie man sie aus dem Kino kennt, wo elegant gekleidete Herren Geschäften aller Art nachgingen. „New York“ ist kein hipper Stadtduft und soll es vermutlich auch gar nicht sein. Die Komplexität scheint der Schlüssel zu seinem Verständnis zu sein. Ein Schmelztiegel verschiedener Assoziationen, heller und dunkler Elemente, Neues und Altes koexistiert, Kulturen vermischen sich, doch all dies im Rahmen der Stadt, welche die zugegebenermaßen fließenden und durchlässigen Grenzen markiert. Es sind natürlich die sizilianischen Zitronen, die mich auf die Little-Italy-Fährte brachten, und die Kräuter und Gewürze der Südländer. Doch der so versiert angetäuschte Chypre hat noch etwas mehr zu bieten, als die Tradition seiner Gattung zu repetieren. Wer Chypres an und für sich nicht mag, steigt vermutlich bei den vieldeutigen Einsprengseln vollständig aus, deren Deutung von Zimt bis Paprika reicht. „New York“ sperrt sich einem leichten Verständnis und lässt sich auch durch einen dritten Blick nicht durchschauen.
Wäre „New York“ ein Mensch, dann ein Charakter, dem es gleichgültig ist, ob man ihn mag oder nicht, der aber mehr zu bieten hat als lässige Selbstgefälligkeit. Man muss sich länger mit ihm beschäftigen, um ihn schätzen zu lernen und vielleicht auch ein bisschen mit ihm kämpfen, bis man ihn mag. Ich muss noch ein bisschen kämpfen, so viel Ehrlichkeit verdient „New York“.
Ganz viele Grüße von
Harmen
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