Les Eaux Extravagantes heißen sie, die drei neuen Variationen alter Klassiker des Hauses Maître Parfumeur et Gantier, die soeben erschienen sind. Gestern hattet Ihr bereits das Vergnügen mit dem jungen Mann, Eau pour le jeune Homme – heute ist Damenwahl angesagt mit Vocalise und ihrer neuen Duftschwester.
Vocalise das Original hat eine sehr schöne Beschreibung:
„Inspired from the Belcanto divas who voice extreme passions bordering on insanity, Maître Parfumeur et Gantier created Vocalise, a romantic red fruit and vanilla symphony.“
Belcanto steht für eine bestimmten Gesangsstil, der einer besonderen Technik bedarf und vor allem in Opern bis Mitte des 19. Jahrhunderts präferiert wurde. Als ideale Belcanto-Sänger galten, nebenbei bemerkt – Kastraten. Für die ist Vocalise aber nicht gemacht, ich denke da eher an – Norma, jene tragische Oper Bellinis, die neulich irgendwo als „Luxusdroge der Opernfreunde“ bezeichnet wurde. Und Maria Callas mit ihrer anbetungswürdigen Verkörperung der Norma, die alte Belcantotradition wieder aufleben ließ.
Norma ist eine Druidenpriesterin, die ihren Landsleuten im von Römern besetzten Gallien den richtigen Weg weisen soll – Krieg oder nicht ist hier die Frage. Norma wiegelt anfänglich in ihren Ritualhandlungen ab, ist aber gedanklich ohnehin schon in einer Zwickmühle und manövriert sich im Laufe der Oper auch noch ordentlich in moralische Dilemmata hinein: Sie hat eine heißblütigen Affäre mit Pollonius, einem Römer, aus der bereits zwei Kinder hervorgegangen sind. Eins kommt zum anderen – Pollonius verliebt sich neu, geht fremd, Norma erfährt es, weil er sich ausgerechnet eine ihrer Novizinnen herausgepickt hat. Der Hass einer Frau ist genauso leidenschaftlich wie ihre Liebe: Sie hetzt ihr Land in den Krieg, die Gallier gewinnen und gedenken, ihren Sieg angemessen zu feiern – mit dem Tode eines Römers, den sie dabei erwischten, das Tempelheiligtum betreten und entweiht zu haben. Kein anderer als Pollonius ist es natürlich. Und Norma – die zwischenzeitlich schon durch ein Wechselbad der Gefühle gehen durfte, ihre Kinder umbringen wollte, die Geliebte auf ihre Seite ziehen konnte, die dem fremden Mann bereits entsagte und erneut verkuppeln wollte, erfolglos – lässt einen Scheiterhaufen für eine untreue Priesterin errichten, auf dem sie dann nicht die Novizin opfert, sondern nach einem Geständnis zusammen mit ihrem Pollonius, dessen Herz buchstäblich in alter Liebe entflammt, in den Tod geht.
Casta Diva, eine der berühmtesten Arien des 19. Jahrhunderts, ist das letzte Zwiegespräch Normas mit sich selbst (ok, und mit der Göttin) vor ihrem Tod, das mich jedes Mal sehr berührt:
Vocalise nun fügt sich, wie ich meine, durchaus perfekt in das Thema ein: 1988 geschaffen und wie viele (Damen)Düfte von Laporte für MPG auf angenehme Art und Weise ein bisschen Oldschool, zeigt sich Vocalise überaus feminin. Im Auftakt allerdings darf erstmal Beerenobst ran, und zwar in Rot, Violett, Pink und Blau. Spritzig-säuerliche Johannisbeere, Himbeere und Erdbeere vernimmt meine Nase, meine Haut offeriert auch einen Hauch Stachelbeere, der allerdings aus der Liaison mit der fruchtigen Rose stammen kann. Diese umgarnt hell die Früchtchen, bis man sich alsbald auf einem mehr als üppigen Lager wälzt: Vanille, wohin das Auge blickt, in ihrer Süße würzig-warm durch Sandelholz und Ambra untermalt, während Moschus das Bettchen noch ein wenig weicher macht.
Weiblich, sehr. Ein wenig divenhaft, ja. Betörend auch. Und vor allem – einen Tick melancholisch, was wiederum perfekt zu unserer Norma passt. Es ist mir fast unmöglich zu glauben, dass man eine solche Tiefe (oder auch: Untiefe) in einem Duft ohne Patchouli schaffen kann – Vocalise beweist es. Was wäre eine echte Dame ohne ein bisschen Drama?
Vocalise Extravagante ist vom Naturell her wesentlich frischer und fruchtiger. Die Beerennoten sind dominanter, anfänglich, bis der Duft sein zartes, grün-florales Herz öffnet: Von Sandelholz sanft getragen wird ein Bouquet von an cremig-leichten Jasmin erinnernden Ylang-Ylang-Blüten, die den Hintergrund bilden zu einer kühnen, schönen und melancholischen Rose. Im Gegensatz zum Original ist diese Königin hier weniger versöhnlich, sondern metallischer (man denke vielleicht an Rossy de Palmas Eau Protection von État Libre d’Orange), was einen furiosen Kontrast bildet zu der cremig-empfindsamen Vanille, die für meine Nase einen leisen Schimmer Aprikose enthält.
Ich kann mich in diesem Falle nur sehr schwer entscheiden, welches Exemplar mir besser gefällt: Beide Düfte haben ihre ganz eigenen Reize und sind, trotz der vorliegenden Verwandtschaft, ihrer Aussage nach schon unterschiedlich. Habt Ihr schon getestet?
Viele liebe Grüße,
Eure Ulrike.
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