… wenn einem von einem Tag auf den anderen der Geruchssinn verloren ginge? Eine spannende Frage – denn allzu häufig wird er vollkommen unterschätzt, der Geruchssinn. Man vergisst oft die Korrelation zwischen Geruch und Geschmack, dass der Verlust des einen den annähernd kompletten Verlust des anderen bedingt. Dass damit der Genuss eingeschränkt ist – und zwar jeglicher sinnlicher, nicht nur der des Essens. Dass Menschen, die nicht mehr riechen können, nicht nur sich, sondern auch andere nicht mehr riechen können. Und so einen Teil ihrer selbst verlieren, meist gefolgt von einem Verlust von Selbstsicherheit. Dass Erinnerungen vergehen, erlöschen, für immer, unwiderruflich, unwiederbringlich. Anosmie wird es genannt und ist für manchen ein Suizidgrund, wie Luca Turin in einer seiner Duftnoten für das Magazin der Neuen Züricher Zeitung einmal beschrieb. Sieben Jahre vorher widmete sich das Magazin, das monothematisch jeden Monat ein anderes Thema abhandelt, dem Motiv der Düfte – dort ist, abgesehen davon, dass das ganze Magazin sehr interessante Artikel bereithält, auch ein Artikel über Geruchsverlust zu finden.
Jahrhundertelang wurde die Nase unterbewertet. Augen und Ohren, Sehen und Hören, galten als Primärsinne, alles andere folgte unter ferner liefen. Diese Einteilung, vielmehr Wertschätzung der Sinne, ihre Hierarchie hat(te), das muss ich sicher nicht erwähnen, großen Einfluss: Auf Welt und Weltzugänge, auf das Miteinander, auf Denken, Fühlen und Handeln. Eine solche Rangordnung der Sinne führt zu einer spezifischen Gewichtung und somit letztendlich – zu einem Verlust von Aufmerksamkeit, von Sensibilität, von Wahrnehmung und Möglichkeit. Philosophisch und somit auch kulturwissenschaftlich ist das alles hoch spannend – wer sich dafür interessiert, kann sich einmal die Werke von Gernot Böhme ansehen, der als Begründer einer neuen ganzheitlichen Ästhetik (= Wahrnehmungslehre), der Aisthetik gilt. Oder man sieht sich gleich die hervorragende Schrift der Wiener Philosophieprofessorin Diaconu an: „Tasten – Riechen – Schmecken – Eine Ästhetik der anästhesierten Sinne“. Diese zeichnet, Böhmes Einfluss aufweisend, die Kulturgeschichte jener Sinne nach – nicht ohne auf Aktuelles einzugehen wie die Parfumeurskunst, Tätowierungen, die Slow-Food-Bewegung und ähnliches, denen sie ganze Kapitel widmet. Anspruchsvoll, aber wahnsinnig spannend und insofern sehr empfehlenswert.
Ein bisschen eingängiger ist da sicherlich „The Perfect Sense“, der morgen seinen Kinostart in Deutschland hat. Ich habe den Film schon vor Monaten auf einem Filmfest gesehen und war sehr angetan – seitdem hängt hier ein kleines gelbes Post-It an meinem PC, und ich habe auf den deutschen Filmstart gewartet, um ihn Euch zeitnah vorstellen zu können. Ich bin nämlich der Ansicht, dass er nicht nur sehr lohnenswert ist, sondern auch ziemlich genau unser Thema hier trifft und somit exakt das Richtige für den einen oder anderen von Euch sein dürfte.
Perfect Sense ist – die melancholische Skizze eines Weltuntergangs. Apokalypse Now. Im Vergleich zu anderen Filmen, die sich um eine ähnliche Thematik ranken, beginnt der Anfang vom Ende hier aber nicht im Außen. Es finden sich weder Kriege noch ein tödlicher Virus, keine Zombies und keine trostlosen Planeten, die unabwendbar auf die Erde zurasen. Der Untergang des Abendlandes kommt auf vergleichsweise leisen Sohlen und mit kleinen Schritten – aus dem Inneren des Menschen selbst: Zuerst sind es überbordende Gefühle, die die Menschen anfallartig befallen. Trauer, die in großen Tsunamiwellen über sie hineinbricht. Traurigkeit ob aller gemachter Fehler und erlittener Verluste. Eine, die die Menschen plötzlich überfällt, sie hilflos in ihren emotionalen Zusammenbruch schlittern lässt – um darauf folgend ihren Geruchssinn zu verlieren. Ist der erst einmal eingebüßt, schwindet auch der Geschmackssinn.
Vor dem Hintergrund dieser Katastrophe, gegen die nichts auszurichten ist, weil es keine Heilung gibt, zeichnet Regisseur David Mackenzie eine Liebesgeschichte. Eine, die so viel sagt – über den Menschen, über die Liebe, über Humanität.
Es geht um Michael, gespielt von Ewan McGregor, und Susan, die von Eva Green verkörpert wird. Susan ist Epidemologin, widmet ihr Leben der Forschung und wohnt dem Ausbruch der rätselhaften Seuche bei. Michael, Single aus Leidenschaft, kocht in einem teuren Gourmetrestaurant, dessen Hinterhof sich direkt unter Susans Wohnzimmerfenster befindet. Zufällig laufen sie sich so über den Weg und Michael lädt Susan zum Essen ein, weil niemand Essen gehen möchte, der Laden leer und die Vorratskammern voll sind.
Natürlich verschont die Krankheit unsere beiden Protagonisten auch nicht – und gerade in diesem Moment liegt der Reiz der Geschichte: In dem Ringen der beiden. Gleich den Kugelwesen im Mythos des Aristophanes, von dem ich schon einmal erzählte, klammern sich die beiden aneinander und versuchen, sich etwas zu bewahren. Ihre Welt aufrechtzuerhalten, die um sie herum aus den Fugen gerät, einen Anker zu finden und festzuhalten in diesem sich auftuenden Chaos, das sich immer und immer wieder in animalisch anmutenden Aussetzern der Menschen zeigt, aus ihnen hervorbricht. Besonders hervorzuheben hier der Moment, in dem sie in der Badewanne sitzend den Genuss des Essens imitierend Rasierschaum und Seife verspeisen, um unter Verwendung der Haptik und des Auditiven, der Geräusche Verlorenes verzweifelt wiederherzustellen.
Ein trauriger Film, trotz allem bitter-süß und in wunderschönen epischen Bildern verpackt. Einer, der den Spagat schafft, trotz der melodramatischen Handlung nicht kitschig zu erscheinen. Sprich: Einer, in den auch die Herren ruhig (mit)gehen können 😉
Vielleicht ja was für Euch, für die nächste Zeit, das nächste Wochenende?
Liebe Grüße,
Ulrike.
Schreibe den ersten Kommentar