Muguet Blanc, der zweite Duft aus der Collection Extraordinaire aus dem Hause Van Cleef & Arpels, ist, wie es scheint, hochumstritten und wird kontrovers diskutiert: Ein Duft, der die Geister scheidet. Wieso? Dem möchte ich ein wenig auf den Grund gehen…
In Lena Brombachers Blog Olfactorialist ist das Blümchen auf Platz Sechs ihrer Frühlingslieblinge gelandet mit folgender Begründung:
„Dieser liebliche Maiglöckchenduft läutet den Frühling ein. Fröhlich und leicht, verspielt und grün. Der Duft ist wie der Flakon – elegant und schlicht, denn Parfumeur Antoine Maisondieu war es wichtig, das Maiglöckchen auf möglichst puristische Weise zu präsentieren.“
Patty von Perfume Posse zeigt sich ganz hin und weg von Muguet Blanc:
„It is breathtaking, its opening the perfect note soaring into the air on a cold winter day, something that feels like it shouldn’t exist, contrasts of cold and sweet and wood — conjuring up spring in your head where no spring exists. As it dries down, it warms and softens into the skin and loses the chilliness. Notes of lily of the valley, peony, neroli and cedar are pretty simple, but rendered elegant. It’s a stunnah. And this last and lasts and emotes fairly loudly. The first time I spritzed it on, the whole house knew in 3 minutes that a new perfume had arrived, they were all looking for it. Several hours in, it’s still wafting and drifting and just being lovely.“
Octavian Coifan äußerst sich in seinem Blog 1000 Fragrances für meine Begriffe eher neutral, spricht aber an, was eigentlich des Pudels Kern, das Problem am Maiglöckchen ist: Dessen Geschichte, vielmehr: dessen legendäre Vorgänger:
„A lily of the valley is today a challenge for a perfumer, not because it is very easy to obtain the major accord but this flower has a strong legacy – the (now) lost perfume Diorissimo. It is also a challenge because lily of the valley became the standard of clean notes and it is widely used in functional perfumery […].“
Resultierend daraus folgt als Ergebnis seiner Rezension:
„Muguet Blanc from Van Cleef & Arpels Collection Extraordinaire is a symphony of clean for a luxury Laundromat to be used as an concentrated option to Aqua Universalis (Maison Francis Kurkdjian).“
Für Nowsmellthis hat Muguet Blanc komplett verloren:
„For my part, Muguet Blanc represents nearly everything that makes me sad about modern perfumery. It’s gorgeous, yes, but also clean, even brutally so. The subtle animalic touches that make Diorissimo both spring-like and sexy are entirely absent— Muguet Blanc is too beautifully done (and expensive) to be an air freshener, but if you wanted a really, really nice air freshener and didn’t mind paying premium, it would do the trick. It’s clean as a whistle. Muguet Blanc does something else that is unique to modern fragrance, and that I’ll have a hard time putting into words. It’s diffusive and radiant: it moves through space in a very 3 dimensional way while maintaining a sense of lightness and transparency. But at the same time, it feels utterly flat. Diorissimo sparkles and dances — it has a kind of depth and movement about it. Muguet Blanc fills the room, then just sits there, beautiful but lifeless.“
Bei privaten Parfumliebhabern ist die Bandbreite des Echos ähnlich breit – so liest man bei Parfumo.de etwas von „zart nervig“ oder von einem „ordinären Maiglöckchen“, bei der amerikanischen Makeupalley.com ist dagegen von „Just Heaven“ die Rede oder schlicht vom Ende einer langen Suche: „Oh Muguet Blanc! where have you been all my life?“
Mir leuchtet ein, woher diese extreme Gespaltenheit kommt: Einerseits ist Maiglöckchen eine jener Ingredienzen, die schlicht nicht jeder mag. Manche assoziieren es mit Omas Wäsche, attestieren ihm ein angestaubtes Image. Das kann es haben, muss es aber nicht – wenn es gut interpretiert ist. Trotz allem – entweder man mag es oder eben auch nicht. Andererseits ist es eben für die, die Maiglöckchen mögen, meist dann schon gleich lieben, nicht einfach, einen neuen Duft bestehen zu lassen – muss dieser sich doch mit den ganz Großen messen lassen, allen voran der Maiglöckchenklassiker schlechthin, Diorissimo von Dior, aber auch Muguet du Bonheur von Caron. Hier sind die Schmerzen groß, da beide Opfer des Reformulierens geworden sind, was sie zu Schatten ihrer selbst werden ließ – das macht es einem neuen Maiglöckchen auch nicht einfacher.
Aber wenden wir uns dem eigentlich Objekt zu: Die Nase hinter Muguet Blanc ist Antoine Maisondieu, überaus talentiert und verantwortlich für Düfte wie Féerie, auch Van Cleef & Arpels, diverse Düfte für État Libre d’Orange, Gucci Rush for Men, Funny für Moschino, einiges für Burberry, Magnolia Nobile für Acqua di Parma, Monocle Scent Two: Laurel und Stephen Jones für Comme des Garçons, darüber hinaus arbeitete er für Lanvin, Paul Smith, Quiksilver, Armani und andere.
Maisondieus Maiglöckchen ist eine strahlende, eine reinweiße, luzide, übermächtige Blüte. Eine, die von Wässrigkeit durchzogen ist, von taubenetztem Blattwerk flankiert wird und durch ihre ozonig-luftigen und metallischen Akzente eine fast überirdisch kühle und saubere Ausstrahlung hat. Pfingstrose unterstreicht die aquatischen Anklänge, während Neroli anonym Fruchtigkeit generiert, die mich in diesem Zusammenhang eher an Birne denken lässt. Die Basis ist von watteweichem Moschus, von sanften Hölzern abgerundet.
Ich muss sagen, dass ich beide Seiten verstehen kann: Ich kann den Vorwurf nachvollziehen, der, überspitzt gesagt, Muguet Blanc in all seiner Perfektion Seelenlosigkeit vorwirft. Denn schlechtes Handwerk kann man Maisondieu nun wahrlich nicht nachsagen, der Duft ist exzellent gemacht.
Nur – ist er, wie vieles, Geschmackssache. Bei mir ist er eingezogen. Wieso? Weil ich ein Maiglöckchenfan bin. Und weil ich der Ansicht bin, dass es Tage in meinem Leben gibt, an denen ich mich in perfekter, strahlend-sauberer Schönheit sonnen möchte, einer oberflächlichen, die weder Tiefgang noch Kanten hat. Die einfach nur schön ist in ihrer hervorragenden gemachten Art und Weise. Lässt man sich darauf ein, dann trägt einen Muguet Blanc über all die irdischen Unwegbarkeiten und Scheußlichkeiten, die die Welt so zu bieten hat, hinweg und stimmt einen – fröhlich. Ich brauche das hin und wieder.
Ihr auch?
Liebe Grüße,
Eure Ulrike
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