Den bösen Wolf aus den Grimmschen Märchen dürfte fast jeder seit der Kindheit kennen. Vielleicht geht es dem einen oder anderen wie mir. Als Kind wurden mir von den Großeltern selbsterlebte Schauergeschichten über Wölfe erzählt, wie sie ihnen im Winter im Wald begegneten, wie die Pferde, die den Schlitten zogen, Angst bekamen und wie man ihnen nur mit Mühe und Not entkommen war. Genauso wenig wie meine Vorfahren in den Verdauungstrakt eines Wolfes gelangten, genauso überzogen ist wohl auch die Furcht vor Wölfen, die in der Regel den Menschen meiden und sich schlimmstenfalls am Vieh vergreifen, irgendwie auch verständlich, wo es doch so lecker und fertig angerichtet auf der Weide steht. Zumindest scheint es auch in Deutschland einen Neuanfang mit den scheuen Fleischfressern zu geben, die man hierzulande einst erbarmungslos ausgerottet hatte.
Dem bösen Wolf, der es im Märchen auf Rotkäppchen abgesehen hat, ist auch ein Duft aus dem Hause L’Artisan Parfumeur gewidmet, der den Namen „Méchant Loup“ trägt. Bertrand Duchaufours Komposition beginnt mit pfeffrig-würzigen Noten und Lakritze im Kopf, geht über in Haselnussnoten und Zedernholz und klingt mit Eichenmoos, Guajakholz, Honig und Myrrhe aus. Klingt erst einmal nicht gerade böse oder verwegen, deswegen bin ich gespannt, mit welcher Art Wolf wir es hier zu tun haben.
Ich folge den Spuren des Wolfes: Auf dem Duftstreifen wirkt der Duft diffus: ich nehme zwar durchaus die Gewürze und auch die Basis wahr, aber so richtig aufschlüsseln will er sich nicht. Die Haut soll mal wieder Klarheit bringen: Und siehe da, sofort strömt mir ein Lakritze-Waldhonigduft entgegen, der von Nussigkeit begleitet wird. Zedernholz mit sauberen und frischen Anklängen rundet das Bild ab. Diese Duft ist aber keineswegs sonderlich süß. Würzige Noten und die Charakteristika des Honigs ohne dessen Süße in Zusammenspiel mit Lakritze ergeben einen äußerst interessanten Herrenduft. Aber Vorsicht ist geboten. Ich rate dringend zu einem Test auf der Haut. Bei mir dreht der Duft nach einer Weile in eine ganz ungute, leicht ranzige Richtung ab. Sehr, sehr schade, wo er doch so vielversprechend anfing.
Welche Art Wolf liegt uns mit „Méchant Loup“ vor? Dieser Wolf ist kein Wolf im Schafspelz, sagen wir eher ein kultivierter Zeitgenosse. Da ist nichts Animalisches. Vielleicht ist es aber auch einfach ein Duft, der die schmeichelnden Worte an Rotkäppchen imitiert? Der böse Wolf ist ja gerade deswegen so gefährlich, da er sich nicht als böse zu erkennen gibt:
Rothkäppchen versprach der Mutter recht gehorsam zu seyn. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rothkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf, Rothkäppchen aber wußte nicht, was das für ein böses Thier war, und fürchtete sich nicht vor ihm. „Guten Tag, Rothkäppchen.“ – „Schön Dank, Wolf!“ – „Wo willst du so früh hinaus, Rothkäppchen,“ – „zur Großmutter.“ – Was trägst du unter der Schürze? – „die Großmutter ist krank und schwach, da bring ich ihr Kuchen und Wein, gestern haben wir gebacken, da soll sie sich stärken.“ – „Rothkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?“ – „Noch eine gute Viertelstunde im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, das steht ihr Haus, unten sind die Nußhecken das wirst du ja wissen“ sagte Rothkäppchen. Der Wolf gedacht bei sich, das ist ein guter fetter Bissen für mich, wie fängst dus an, daß du den kriegst: „hör Rothkäppchen, sagte er, hast du die schönen Blumen nicht gesehen, die im Walde stehen, warum guckst du nicht einmal um dich, ich glaube, du hörst gar nicht darauf, wie die Vöglein lieblich singen, du gehst ja für dich hin als wenn du im Dorf in die Schule gingst, und ist so lustig haußen in dem Wald.“
[zum ganzen Text]
Dass die Geschichte doch noch gut ausging, wissen wir ja. „Méchant Loup“ ist meines Erachtens ein Duft für beide Geschlechter, ungewöhnlich, aber alltagstauglich, vielleicht auch ein Duft für jemanden, der mit Gourmanddüften liebäugelt, aber vor der oftmals ausgeprägten Süße zurückschreckt.
Auf der einen Seite hätte es sicherlich wildere und damit auch interessantere Interpretationen dieses Themas geben können, auf der anderen Seite passt der Duft aber auch gut in ein Märchen. Eine geschlossene Welt mit klaren Gut-Böse-Zuordnungen, mit einfachen und nachvollziehbaren Figuren. Spannend wird es, wenn man diese Welt verlässt und sich überlegt, was sie zu bedeuten hat. Werden in diesem Märchen kleine Kinder vor Sittenstrolchen gewarnt? Roald Dahl, der es mit seinen absurd-komischen Kurzgeschichten wie „Küsschen, Küsschen“ zu Weltruhm brachte, dreht den Spieß um und lässt in seiner Interpretation des Märchens Rotkäppchen den Wolf erschießen, um sie letztlich mit seinem Pelz im Wald umherzustolzieren zu lassen. Der arme Wolf!
Wer kennt und schätzt den Wolfsduft?
Es grüßt wölfisch
Harmen
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