Gestern widmeten wir uns Annick Goutals „Eau d’Hadrien“, dem Duft, welcher Kaiser Hadrian zugeeignet ist und vor allem Marguerite Yourcenars Werk „Mémoires d’Hadrien“.
Bei „Eau d’Hadrien“ erwies sich die Duftkomposition als treffendes Abbild des Kaisers, der sinnierend zwischen Zitronenbäumen sitzt, Erinnerungen nachhängt und sich inmitten dieses südländischen Paradieses manch erfreuliche aber auch wehmütige Frage stellt. Heute werde ich mir „Les Nuits d’Hadrien“ ansehen.
Was mich wohl erwartet? Ein grübelnder Hadrian, der schlaflos im Bett liegt oder wie ein Schatten ruhelos durch die Korridore seiner Villa wandert? Ist es ein Kaiser, der sich in nächtlichen Gelagen die Sinnenfreuden des Lebens schmecken lässt? Die Villa Adriana, der Altersruhesitz Hadrians, gehört übrigens zum UNESCO Weltkulturerbe und wirkt selbst auf Bildern pompös und äußerst beeindruckend.
Kommen wir nun endlich zum Duft mit den folgenden Noten:
Kopfnote: Bergamotte, Zitrone, Mandarine; Herznote: Zypresse, Basilikum, Kumin, Wacholderbeeren, Ylang-Ylang; Basisnote: Vanille, Sandelholz, Patchouli, Ambra, Weißer Moschus
Bei „Les Nuits d’Hadrien“ haben wir es nicht sofort mit einer frisch augeschnittenen Zitrone zu tun, wobei aber die Anwesenheit der Hesperiden völlig fraglos ist. Die würzigen Noten sind jedoch schon im Auftakt präsent und geben ihm einen herberen Zug, sagen wir: eine grüne Zitronenschale. Auf der Haut bestätigt sich dieser Eindruck: ein frischer Auftakt voller zitrischer Aspekte wird sogleich von würzigen-frischen, aber auch grünen Noten der Zypresse und des Basilikums abgelöst. Obwohl die Basis mit ihren Kandidaten durchaus einen schweren Nachklang vermuten lassen könnte, stellt sich dieser nicht ein.
Ganz offen gesagt ähneln sich „Eau d’Hadrien“ und „Les Nuits d’Hadrien“ ungemein und sind sicher als Variationen eines Themas zu verstehen denn als eigenständige Düfte. Im direkten Vergleich erweist sich „Eau d’Hadrien“ als ein wenig leichter, „Les Nuits d’Hadrien“ hingegen hat durch seine reichhaltigere Basis einen hölzernen, sauberen und weichen Ausklang.
Die Unterschiede sind meines Erachtens nicht gerade fundamental. „Les Nuits d’Hadrien“ ist keine Abendvariante seines großen Bruders, viel mehr eine Spielart, die sich eine breitere Basis erlaubt. Von Schwere, Melancholie und dergleichen keine Spur. In der Historia Augusta, einem Sammelwerk mit den Biographien der römischen Kaiser, heißt es, dass Hadrian vor seinem Tode ein Gedicht geschrieben haben soll, das da lautet:
animula vagula blandula,
hospes comesque corporis
quo nunc abibis? in loca
pallidula rigida nubila –
nec ut soles dabis iocos.Kleine Seele, schweifende, zärtliche,
Gast und Gefährtin des Leibs,
Die du nun entschwinden wirst dahin,
Wo es bleich ist, starr und bloß,
Und nicht wie gewohnt mehr scherzen wirst …
Diese Zeilen drücken Schicksalsergebenheit aus, Bescheidenheit und ein heiteres Gemüt. Um auf meine Frage zurückzukommen, ob Hadrian nachts rastlos durch seine Villa strich… Ich denke dieses Gedicht wie auch Annick Goutals Duft beschreiben einen Geist, der mit sich selbst in Einklang ist, sowie mediterrane Freuden, die niemals oberflächlich werden und tiefsinnige Anklänge, welche jedoch niemals die Heiterkeit des Südens auch nur annähernd verdrängen können.
Liebe Leser, was meint Ihr zu diesem Duftduo?
Liebe Grüße
Harmen
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