Kennt Ihr das auch? Manchmal gibt es sie einfach, diese Düfte oder auch ganze Häuser, die einen aus manchmal sehr bewussten Gründen, oft aber auch aufgrund von völlig unreflektierten Ursachen nicht brennend interessieren, für eine Zeit (ein sehr dehnbarer Begriff, ich weiß…) unter den Tisch fallen, aus dem Radar entschwinden. Und irgendwann fällt man dann über jenen Duft oder eben auch einen Duft jenes Hauses, wie es der Zufall so will – und schämt sich. Weil man ein Juwel verpasst hat, manchmal sogar viel zu lange. Weil man sich fragt, wieso. Und keine triftigen Antworten auf diese Frage kennt.
Eines dieser Häuser bisher war bei mir – ich gestehe: Nobile 1942. Einen Grund dafür gibt es keinen, nein. Oder, vielleicht, wenn ich einen an seinen Haaren herbeiziehen sollte – die zum Teil hochkomplizierten Namen der Düfte: Vespriesperidati beispielsweise – ich kann es mir mit meinem kläglichen, aus dem Französischen abgeleiteten Rudimentärverständnis der italienischen Sprache einfach nicht merken, sorry. Aber das kann ja eigentlich kein Grund sein, trotzdem nicht. Rückblickend kann ich lediglich sagen, dass die Dame von der Messe überaus nett und sympathisch war und dass ich die damalig erschienene Kinderkollektion Alla Corte del Re ebenfalls sehr ansprechend fand und niedlich von der Idee her. Darüber hinaus hatte ich auch ständige Erinnerungen: Die liebe Margot, die einige aus den Kommentaren kennen dürften, hat mich mehrfach daran erinnert und immer wieder dazu animiert, ich solle doch mal oben genanntes Düftchen testen und am besten gleich rezensieren. Des weiteren steht auch eine unbestritten sehr hübsche Abfüllung des Lavendelduftes Lavanda Nobile in meinem Duftschränkchen, die ich mir aus aktuellem Anlass doch noch sehr viel genauer unter die Nase klemmen werde.
Den aktuellen Anlass stellen zwei Neuveröffentlichungen des Hauses dar, die ich dieser Tage ausführlich getestet habe – und siehe da, zwei Perlen: Die Rede ist von Chypre 1942 Fragranza Suprema und Muschio Nobile. Zugegeben, keine besonders auffälligen Namen, ich weiß – wartet es aber ab meine Lieben!
Chypre 1942 hat folgende Ingredienzen: Kopfnote: Bergamotte, Mandarine, Orangenblüte; Herznote: Tuberose, Jasmin, Damaszener Rose, Styraxharz; Basisnote: Moschus, Ambra.
Während der Duft sich auf meiner Haut alsbald erwärmt, zeigt er sich als auf dem Teststreifen noch länger in fruchtigen Hesperidenträumen verharrend. Hernach galoppiert jenes prachtvolle Düftchen schnell los ins von der Basis erhitzte Herz, ausladend von Blüten geziert: Jasmin, Tuberose und edle Damaszener Rose tun ihr übriges, ein altbewährtes Team – verführerisch, betörend, einlullend und gleichzeitig mit frischen Akzenten beschert, die einen schönen Gegenpol zu der warmen Harzbasis darstellen, die sich von moosigen Anklängen und Leder umrahmt sieht.
Chypre 1942 ist ein orientalisch angehauchter Chypre voller Eleganz, ein Bouquet ausladender Blüten, dessen Charakter deutlich weißfloral geprägt ist, von Ledernoten gesäumt, von rauchig-warm schwelender Harzsüße und würzigem Ambra getragen. Für mich von 0 auf 100 eines der besten Pferde im Stall der klassischen Chypredüfte und ein wirklich exzellenter Vertreter seiner Gattung.
Das ist auch der Duft, der sich hinter dem schlichten Namen Muschio Nobile verbirgt – und das aus meiner Feder, bin ich doch nicht gerade als großer Moschusliebhaber bekannt. Ein paar nenne ich mein Eigen, genauer: Anamor All that matters, Etro Musk und Narciso Rodriguez Musc Collection EdP Intense, das war es dann fast auch schon. Meist sind sie mir zu weich, kuschelig und – nun, unaussagekräftig, die Kandidaten. Und einen richtig dreckigen Moschus, der mich aus den Socken haut, den habe ich leider noch nicht gefunden – da bleibe ich so lange bei Malles erotischem Musc Ravageur, meinem letzten Moschus.
Muschio Nobiles Ingredienzen: Kopfnote: Bergamotte, Mandarine, Kardamom, Lavendel; Herznote: Lavendel, Maritime Noten, Guajakholz; Basisnote: Weißer Moschus, Ambra, Tonkabohne, Benzoeharz, Eichenmoos.
Die Zutaten habe ich jetzt verraten – um sie sofort sträflich zu vernachlässigen, denn eigentlich sind sie mir völlig gleich: Frisch aufgesprüht rieche ich noch ein paar Spritzer Hesperiden, eine sachte zitrische Fruchtfrische, danach geht der Duft aber in ein großes Ganzes über, das ich persönlich nicht mehr auseinanderklamüsert bekomme. Vielleicht muss ich das aber auch einfach mal nicht tun. Ich rieche nur Kuschelmuschel, rieche Moschus, federleicht und hauchzart, sauber und überaus seidig weich, mit sanfter Vanillefärbung und – Madeleines. Frisch gebackene, saftige Madeleines. Vielleicht habe ich zuviel Proust gelesen, dessen Ich-Erzähler in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ seitenlang über den Geschmack von in Tee getunkten Madeleines schwärmt, die ihn an seine Kindheit erinnern (siehe hier), ich weiß es nicht – für mich ist Muschio Nobile wie ein olfaktorischer Kuss, Geborgenheit vermittelnd und Sicherheit sowie große Zuneigung. Muschio Nobile ist wie nach Hause kommen. Und stimmt so glücklich.
Normalerweise not my cup of tea – dieser Duft muss aber sehr sicher her. Und der Rest der Nobile 1942-Kollektion wird demnächst ebenfalls beäugt, mal sehen, was ich sonst noch für Knaller übersehen habe, schändlichst.
In diesem Sinne – beschämte, verschämte und schwärmerische Grüße,
Eure Ulrike.
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