So dichtete Mörike in seinem Gedicht „Er ist’s“, das 1829 entstand und eines der bekanntesten Frühlingsgedichte sein dürfte. Ich habe es zu Schulzeiten gehasst. Mittlerweile hat sich das gewandelt, wie sich so vieles wandelt im Laufe der Jahre. Auch wenn mich die letzten beiden Tage diesbezüglich nicht überzeugt haben – lassen wir uns nicht trügen: Der Frühling hat Einzug gehalten. Und ich habe mich mit Freuden am letzten Sonntag zu einem Ausflug nach Esslingen begeben, der Stadt, in der ich meine Jugend verbracht habe. Aus der ich nicht schnell genug verschwinden konnte, nach dem Abitur. Und die ich heute wieder sehr gerne mag. Ein paar Stunden im herrlichen Biergarten auf der Esslinger Burg, mitten in den Zinnen derselben, bei ein paar Tassen Kaffee, herrlichem Käsekuchen, einer Zeitung und einem guten Freund – und das alles in der wunderbaren Frühlingssonne. Manchmal geht Zufriedensein ganz einfach, man mag es kaum glauben…
Diesem zuträglich ist natürlich immer die passende Garderobe, vor allem und gerade auch: die olfaktorische. Welche Düfte sind denn für Euch gerade Eure Frühlingsboten, welche Düfte zaubern Euch Frühlingsgefühle?
Ich habe einen alten Favoriten wieder hervorgekramt, besser gesagt gleich zwei: Diptyques Philosykos sowie Premier Figuier von L’Artisan Parfumeur. Dass Philosykos einer meiner Lieblinge und meine absolute Lieblingsfeige ist dürfte dem geneigten Leser unter Euch nicht entgangen sein, hatte ich vor einiger Zeit auch einmal ein Feigenspecial geschrieben – siehe hier und hier. Daraus darf ich mich einmal selbst zitieren:
„Was macht Philosykos denn so einzigartig? Einen Tag in Griechenland möchte er einfangen, der Duft. Das nun, ein Sommertag in einem mediterranen Land ist nun eine allgegenwärtige Impression und Inspiration für Feigen- und auch viele andere fruchtige Parfums.
Philosykos riecht aber nicht nur mediterran, sondern läßt auch stimmungstechnisch die Sonne aufgehen – zumindest bei mir. Der Duft macht mich glücklich. Er hat eine wahnsinnig relaxte Ausstrahlung, ein kontemplatives Moment, das einen nochmals durchatmen und zur Ruhe kommen läßt.
In der Kopfnote ist Philosykos grün-fruchtig, eine saftige, halbreife Frucht samt dunkelgrüner Feigenblätter. Die Fruchtsüße kommt langsam hindurch, honiglich-süß ohne überbordend zu sein. Für meine Nase liegt dieses Früchtchen definitiv in der Sonne, und zwar auf einem Bett von verhalten würzigem Heu samt einiger getrockneter Blüten darin. Ich rieche sonnenwarmes Heu mit Honig – ähnlich, wie ich es in Parfum d’Orsays wunderschönem Lindenduft Tilleul wahrnehmen kann. Ein Tupfer Zeder sorgt für holzige Akzente, die einem den Eindruck des ganzen knorrigen Baumes im Sommersonnenlicht vermitteln, während dezente erdige Noten für die nötige Bodenhaftung sorgen.“
Und Premier Figuier fand natürlich auch bereits Erwähnung, war es doch auch der erste „Feigling“ überhaupt:
„Dem ersten gebe ich auch zuerst die Ehre oder vielmehr: meine Nase. Premier Figuier (1994) ist gemeint, der, als erster Feigenduft geltend, eine ganze Welle an Parfums nach sich zog, die als Hauptprotagonist oder auch in einer Nebenrolle eine Feige ihr Eigen nannten. Giacobetti, die Parfumeurin, bekennt sich zur Feige als ihrem Glücksbaum und benennt Kindheitserinnerungen an einen warmen Sommer unter Feigenbäumen als Inspiration für ihren Duft.
Und in der Tat vermag es Premier Figuier die Feige, den Baum als Ganzes gekonnt einzufangen: das blattgrüne Laub, welches einem förmlich entgegenrankt genauso wie das sonnenwarme Holz und die Früchte, zum Teil noch grün und milchig, zum Teil aber auch schon satt-reif. Garniert mit einem Hauch Kokos sowie unterlegt von einer Ahnung süß-warmer Mandel und etwas Sandelholz ist Premier Figuier ein gelungenes und bis heute innovatives mediterranes Stillleben. Bemerkenswert auch, daß die Kokosnoten sehr gekonnt ausbalanciert sind und durch die feine, herb-süße Feigenfrucht sowie die grünen Noten eine gelungene Abrundung erfahren. Der Duft könnte insofern auch denjenigen gefallen, die um eine allzu präsente Kokos normalerweise einen Bogen zu machen pflegen.“
Beide Düfte stammen von derselben Meisterin – Olivia Giacobetti ist gemeint. Zwischenzeitlich hatte ich mit dem Gedanken gespielt, einen der beiden wieder abzugeben, da sie doch eine Ähnlichkeit aufweisen – aber ich habe mich davon verabschiedet, da sie eben doch auf den zweiten Blick sehr unterschiedlich sind und ich mitlerweile auch alle zwei Wochen meine Meinung ändere, welcher mir den nun besser gefällt. Bis vor einiger Zeit war das ganz klar: Der etwas herbere Philosykos mit seinen Honig-Heu-Noten. Momentan präferiere ich Premier Figuier, die grüne Milch-Feige mit dem Hauch Kokos, den selbst ich, die ich sonst diesem Nüsschen eher abgeneigt bin, ertragen und sogar genießen kann.
Vielleicht liegt es daran, dass ich gerade einen anderen Duft mit Heu bevorzuge? Neben dem oben erwähnten Lindenblüten-Dauerbrenner Tilleul, der mich schon seit Jahren begleitet, liebe ich gerade Bigarade Concentrée von Jean-Claude Ellena aus der Frédéric Malle Edition:
„BIGARADE CONCENTRÉE imparts a bitter freshness. Its overdose of hesperidic notes combined with a touch of rose expresses a unique natural transparency ; a woody base of hay and cedar adds lusty warmth. BIGARADE CONCENTRÉE: A lasting natural freshness.“
Ellena, Hausparfumeur bei Hermès und Eigentümer von The Different Company (deren Düfte er zusammen mit seiner Tochter Céline zaubert), ist ja berühmt-berüchtigt für seine zarte Transparenz sowie seine Reduktion, seine Konzentration auf Wesentliches. Bei Bigarade Concentrée macht er da auch keine Ausnahme, allerdings stellt Bigarade in einer Hinsicht etwas sehr Besonderes dar, was Chandler Burr, seines Zeichens Duftkolumnist der New York Times, eindrucksvoll in einer Rezension beschreibt:
„But it is Ellena’s Bigarade Concentrée that plays brilliantly with darkness. Bigarade smells like a person trapped in a complex weather system, the wonderful scent of a guy’s armpit and a woman’s humid skin washed in fresh rainwater and ozone (Malle doesn’t waste time gendering his scents, and Bigarade is for both women and men). It is a masterful juxtaposition, and smelling Bigarade is like looking down into a well of cool, black water. Your retinas expand from the strange pleasure of this scent.“
Für mich hat Bigarade Concentrée nichts mit Armbeugen gemeinsam, Regen und frische Luft bei gleichzeitiger Hitze nehme ich aber ebenfalls wahr. Bigarade Concentrée ist für mich zugespitzte Ambivalenz, ist Licht und Schatten an einem Ort, ein bisschen wie die Schatteninsel im Hochsommer, die man irgendwo im Garten entdeckt hat, oder eine Sonnenfinsternis im Sommer. Hesperiden, flirrend, samt eines ozonigen Hauchs und Wässrigkeit, seltsam tiefdunkler Farbigkeit. Bitterorange als eben diese – bittere Orange. Herbe Fruchtigkeit. Eine luzide-metallische, kühle Rose. Und warmes Heu. Der Duft ist ein wahres Vergnügen.
Das sind natürlich noch längst nicht alle meine Frühlingslieblinge – der Rest folgt morgen. Trotz allem interessiert mich natürlich jetzt schon, was Euch gerade begleitet!
Liebe Grüße,
Eure Ulrike.
Danke für die tolle, absolut zutreffende Beschreibung vom Malle. Der für meine Nase einzig verwegene zitrische Duft und gerade deshalb so grandios! Gestehe, dass ich etwas brauchte, bis ich ihn liebte, aber er ist ein lauer Sommerabend pur nach einem sonnigen Tag am Strand und viel Meerwasser auf der Haut 😉
LG und happy day,
Stefan
Huhuu lieber Stefan,
freut mich, dass Dir die Rezension gefällt 🙂
Und yep, ich bin natürlich auch verliebt in den schönen Bigarade – herzlichen Dank an die „Spenderin“, falls diese mitliest 😉
Deine Beschreibung hört sich so nach Urlaub an – den hätte ich dringend mal wieder nötig *nöhl*
Liebe Grüße zurück,
die Uli.
Liebe Ulrike,
da ist er wieder, der Philosykos von Diphtyque, den du mir vor geraumer Zeit einmal empfohlen hast, als ich, von Malones „Wild Fig and Cassis“ auf den Geschmack gebracht, auf der Suche nach der schönsten Feige war – die ich mir auch sogleich gekauft habe.
Er ist für mich kein reiner Frühlingsduft, sondern ein klassischer Immergeher. Das mag einerseits daran liegen, daß ich ihn das erste Mal auf einer -wirklich- schönen und feierlichen Beerdigung im Oktober getragen habe (ich weiß nicht, ob es auch außerhalb Bayerns Sitte ist, Beerdigungen richtig lustig zu feiern, sofern natürlich der Verstorbene älter als 80 war, selbst kein Kind von Traurigkeit war und ihn viele viele nette Menschen gekannt haben)… andererseits auch daran, daß ihn meine Nase nicht als frisch-fruchtig empfindet, sondern eher als samtig-cremig – und damit ein Interpret nicht nur der warmen Jahreszeit.
Ein toller Duft, vielleicht mit der schönste in meiner Sammlung – dessen Besitz ich letztlich dir zu verdanken habe. 🙂
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
Katharina
Ach, Bigarade C. – ich hab‘ diese wunderschöne bitterkeit sonst in keinem anderen parfum gefunden.
Plus : ich muss unbedingt Tonka Vetiver (Hermessence) schnüffeln gehen !
Huhuu Ihr beiden,
@ Katharina: Das freut mich aber sehr, dass ich Dir zu einem solchen Liebling verholfen habe! In der Tat, ein sehr sehr schöner Duft. Und ich finde auch, dass es ein Immergeher ist.
@ Das stimmt, das gibt es sehr selten. Und der Vetiver Tonka ist in jedem Falle einen Test wert!
Liebe Grüße zurück,
die Uli.