Die Schöne und das Biest: Sex Pistols

[Update] Der Duft „Sex Pistols“ wurde mittlerweile in „Malaise of the 1970s“ umbenannt, siehe Blog von État Libre d’Orange.

Mariela


Einen Duft, der nach einer der einflussreichsten Bands des europäischen Punk-Rock der 1970er Jahre benannt ist, bekommt man als Rezensentin ja nicht alle Tage auf den Tisch. Richtig gefreut darüber hat sich jedoch mein 13-jähriger Sohn. Jeden Tag nach der Schule war seine erste Frage, ob das Päckchen mit den neusten Proben endlich da sei. Zugegeben, die heiße Sex Pistols-Phase ist schon vorbei und darüber bin ich nicht unfroh. Er neigt stets dazu, seine aktuelle Lieblingsband so exzessiv zu hören, dass die restlichen Familienmitglieder dankbar sind, wenn so eine Phase sich dem Ende zuneigt. Wer hört schon gern aus dem Munde des eigenen Kindes, ein fröhliches Singen, man sei ein “Anarchist-e” und der “Antichrist-e”. In diesem Falle war er natürlich prädestiniert als erste Testperson.

Wie auch immer, gestern wurden dann die Sex Pistols vor der Schule aufgesprüht und seine aktuellen Lieblinge Timbuktu und Puma Animagical (!) hatten Pause. Die ersten Adjektive, die ihm dazu eingefallen sind waren „männlich“ und „würzig“. Ihm gefiel der Duft, was mich nicht überraschte. Ob er objektiv war? Ich würde sagen: Nein – denn mit diesem Namen und diesem Design hat der Duft natürlich sowieso schon gewonnen.

Aber er war nicht die einzige Testperson. Ich war dann doch auch neugierig. Die Duftnoten in der Analyse: Kopfnote; Zitrische Noten, Aldehyde, schwarzer Pfeffer. Herznote; Backpflaume, Leder. Basisnote: Ambra, Ambroxan, Patchouli, Heliotrop.

Er hat schon recht, mein Sohn, es riecht wirklich erst mal sehr „männlich“, was von den sehr präsenten zitrischen Noten kommt. Die Würzigkeit liegt natürlich am Pfeffer. Nicht schlecht für seine junge Nase, vielleicht kann ich ihn doch hin und wieder mal Testperson einsetzen?

Die Ledernote ist in diesem Fall als solche zu erkennen, allerdings doch anders als gedacht. Ganz sanft begleitet sie die anderen Ingredienzen und hält sich dabei vornehm im Hintergrund. Die Backpflaume hätte ich nicht erkannt, ist sie meiner Nase nach nur als süßliche Frucht zu identifizieren und Patchouli kann ich zwar auf dem Teststreifen riechen, allerdings nicht auf meiner Haut. Ambroxan verleiht dieser Mischung eine unwahrscheinlich skinnige Note, die sehr anziehend, ja geradezu sexy wirkt. Ich bin nicht sicher ob das der richtige Duft für die Schule ist…

Was genau das alles mit den Sex Pistols zu tun haben soll erschließt sich mir nicht. Muss es vielleicht aber auch nicht. Obwohl, Sid Vicious, der Bassist besagter Band, trug eigentlich immer eine Lederjacke mit nichts drunter 😉 und vielleicht hatten die Punks, ähnlich wie die Waver als waschechte Post-Punks, auch eine Vorliebe für Patchouli. Vielleicht ein bisschen an den Haaren herbeigezogen, aber wie Ihr seht, mit ein bisschen Fantasie und popkulturellem Halbwissen kann man sich alles zurechtlegen.

Ein zweifellos schöner und tragbarer Duft, der sicherlich seine Fans finden wird. Ob man allerdings ohne diesen vorbelasteten Namen nicht vielleicht mehr Menschen erreicht hätte, sei dahingestellt.

Liebste Grüße,
Mariela

Harmen

Wir kommen nun immer weiter in unserer Reihe von État Libre d’Orange-Düften, und das Prinzip bleibt glasklar: provokative Namen treffen auf Düfte, die natürlich auch verkauft werden wollen und deshalb oft nur entfernt an die angekündigten Sensationen erinnern. Das Problem bei dieser Art der Vorgehensweise ist natürlich auch, dass man oft ein wenig enttäuscht wird.

Es ist wohl das Schicksal jeder Jugendszene, früher oder später ausverkauft zu werden. Ob Techno-, Grufti-, Hippie- oder Grunge-Szene – irgendwann verschwimmen die Grenzen zwischen breiter Masse und Kommerz derart, dass die Grundidee – die Absonderung vom Mainstream – verloren geht. Das hat oft zur Folge, dass Elemente dieser Subkulturen massentauglich wieder aufgewärmt werden. Man denke nur an die T-Shirts von den Ramones, Motörhead und Black Sabbath bei H&M inklusive Nietenbändern und anderen Subkultur-Accessoires… und auch die Sex Pistols wurden vom schwedischen Kleiderladen nicht verschont – was ich damit meine, ist z. B. hier treffend illustriert.

Ich muss zugeben, dass État Libre ohne Zweifel das Parfumhaus ist, dass der Grundhaltung des Punks noch am ehesten entspricht. Wart Ihr schon einmal auf einem Punkkonzert? Hatten État Libre wirklich den Mut, das erste Parfum herauszubringen, das Bier, Schweiß, Leder, Kotze, Tabak und Haarfärbemittel zitiert? Oder handelt es sich um einen Duft für die H&M-Girlies mit strasssteinverzierten Pistols-Shirts? Wir werden sehen:

Auf dem Textstreifen und auch auf meiner Haut kommen zuerst die zitrischen Noten und süßlichen Aldehyde zur Geltung. Nachdem sich diese etwas gelegt haben, treten Pfeffer und auch Leder deutlich hervor, nach einiger Zeit ahnt man den Patchouli weit im Hintergrund. Ein durchaus angenehmer Duft, keiner der Kandidaten drängt sich auf, das Leder gibt eine etwas bittere Einfärbung, die aber nie unangenehm wird. Sex Pistols ist ein Duft für Männlein und Weiblein, absolut alltagstauglich und gerade durch die zitrischen Noten mit einem frischen und sauberen Untergrund. Bei meiner Testperson, der Euch bekannten Stephanie, zieht der Duft sogar ins Buttrige und Seifige. Ich mag den Duft, eine runde und gelungene Komposition!

Was hat dieser Duft aber mit den Sex Pistols zu tun? Ich kann mir nicht helfen, aber von Punk-Rock in der Flasche kann überhaupt nicht die Rede sein. Es drängt sich eher der Verdacht auf, dass man hier auf den oben erwähnten und vermutlich schon abgefahrenen Rocker-Zug (nach „Punkow“? ;-)) aufzuspringen versucht – oder viel schlimmer noch – das Ed-Hardy-Publikum anvisiert!? Ich möchte diesem wirklich gelungenen Duft kein Unrecht tun, aber er ist wie David Beckham: ein paar Böse-Buben-Tattoos und Punkzitate treffen auf Boy Band. Ich bin gespannt, was Ihr von dem Duft haltet!

Mit einer kleinen musikalischen Ausleitung verabschiede ich mich
Euer Harmen

PS: Der erste Bobby, der ins Bild läuft, sieht ein bisschen aus wie der aktuelle schwedische König – und der kann ja auch feiern 😉

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Bildquellen: Produktbild vom État Libre-Blog; Sex Pistols – God Save The Queen (1977) by Vibracobra23, on Flickr

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