Der Mythos des Sisyphos oder: Die Vergessenen I

Mich hat es zwar noch nicht in die Unterwelt verschlagen, jedoch komme ich mir trotzdem häufig vor wie einer, der dort fleißig und verzweifelt gleichermaßen seine (Straf)Arbeit verrichtet – der gute alte Sisyphos. Direkt neben meinem Schreibtisch steht er, der kleine Bürocontainer, der nur für Düfte reserviert ist und mehrere Schubladen besitzt, die noch abgearbeitet werden wollen: Voller Duftproben, die der Rezensionen für Euch harren. Düfte, die ich Euch noch vorstellen mag, ganze Firmenkollektionen, die ich noch beschreiben möchte und natürlich jene Schublade mit den Neuheiten, die sich nimmer leeren möchte. Kaum habe ich sie um eine Handvoll Düfte erleichtert kommen sogleich mindestens doppelt so viele Neue hinzu und ich habe stets ein schlechtes Gewissen, obgleich ich mich bereits daran gewöhnt habe, hier nicht zu einem Ende kommen zu können – vielleicht ja auch ganz gut so, oder? 😉

In jedem Falle ist diese kleine Schublade mal wieder prall gefüllt und es gibt noch soo viel, was ich Euch dieser Tage noch erzählen mag. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, unter dem Titel „Die Vergessenen“ in loser Reihenfolge Kurzrezensionen von denjenigen nicht mehr ganz neuen Parfums zusammenzufassen, die schon viel zu lange auf eine Vorstellung warten mussten.

Creeds Aventus ist einer davon: Einem historischen Eroberer gewidmet versprechen uns die Engländer hier einen Herrenduft, der die Herzen der Damen genauso erobert wie sein Vorbild. „Fruit Rich and Fresh“ soll er darüber hinaus sein – ein Blick auf die Ingredienzen bestätigt dies: Kopfnote: Schwarze Johannisbeere, Bergamotte, Apfel, Ananas; Herznote: Rose, Birke, Jasmin, Patchouli; Basisnote: Moschus, Eichenmoos, Ambra, Vanille.

Im Auftakt präsentiert sich der Engländer in der Tat sehr fruchtig – feinste grüne Apfelnoten, ein Hauch Fruchtsäure von der Johannisbeere und eine sehr appetitlich-satte Ananas, wie man sie ähnlich erwachsen aus Maître Parfumeur et Gantiers Bahiana kennt. Die vorherrschende Fruchtigkeit wird alsbald von einer weiteren Facette ergänzt, die sich wie ein roter Faden als zweites Thema durch den Duftverlauf zieht: Frische. Nichts Frühlingsfrisches und auch kein kaltes Wasser, aber durchaus eine edle aquatische Tendenz, die sich da breitmacht und den Duft dominiert. Frische Fruchtigkeit oder auch fruchtige Frische, untermalt von einer sanften Süße. Was sich furchtbar unspannend liest ist in diesem Falle ein wirklich rundum gelungener Männerduft: Ein typischer Creed in bester Himalaya– oder auch Erolfa-Manier. Lieber Robbie Williams, solltest Du mitlesen: Bedufte doch Dein nächstes Schälchen, dass Du zu verlieren gedenkst mit diesem Duft. Er ist es wert, zum Kassenschlager zu werden – und mit Himalaya hat das doch auch so wunderbar geklappt!

Miller et Bertaux, die tollen Franzosen mit den noch tolleren Klamotten, die, ich gestehe, zu meinen Lieblingen gehören – ihr Green, green, green zum Beispiel ist für mich DER grüne Duft überhaupt – bescheren uns auch mal wieder ein neues Düftchen: OM, ausgestattet gleich mit einer Empfehlung für den potentiellen Träger – Atmen Sie tief ein… Ok. Tue ich. Und ich rieche eine Harzoffenbarung: Die Ingredienzen sind alle ganz klar zu entdecken – weiche Harze, ein würziges Duo von Gewürznelke und Pfeffer, ausgestattet mit der ihnen genuinen Süße und einer leichten Schärfe, knisternde Hölzer, ein wenig Weihrauchräucherwerk und milde Vanille. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich den Duft vermutlich Herrn Villoresi zugeschrieben. An den erinnert mich nämlich die Handschrift. Überhaupt – für mich eine Menage à Trois zwischen Villoresis Piper Nigrum, Washington Tremletts Clove Absolute und Linaris Fuoco Infernale unter Verzicht auf die Minze. Für Harzfreunde sicher ein Fest. Und natürlich wohnt Om wieder genau jenes kontemplative Moment inne, für das ich Miller et Bertaux so liebe – ich hoffe, sie behalten das weiterhin bei und bescheren uns noch viele, viele schöne Düfte.

Einen schönen Tag wünscht Euch Eure Ulrike.

Bildquelle: Franz von Stuck (1920): Sisyphus via Wiki Commons, some rights reserved.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

2 Kommentare

  1. Jutta L.
    14. Dezember 2010
    Antworten

    Liebe Uli,

    Du hast mir sowohl mit dem einen als auch mit dem anderen Duft den Mund wässrig gemacht!
    Den OM möchte ich soo gerne testen, aber davon gibt es schon eine Weile keine Proben mehr. Bei unserem Treffen im November konnte ich noch am leeren Flakon schnuppern. Was schon sehr vielversprechend war, aber natürlich nicht ausreichend ;o).
    Also, ich gucke weiterhin täglich rein, ab wann wieder Proben geliefert werden können, ich brauche nämlich noch ein Weihnachtsgeschenk – für mich!

    Lieben Gruss
    Jutta L.

  2. Christiane
    14. Dezember 2010
    Antworten

    Liebe Uli,

    ja so stapelweise unerledigte Arbeit ist schon belastend. Daher mein völlig selbstloser Vorschlag hier: entsorge doch einen Teil in meine Richtung;-)

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