La Fée Verte

„Hochprozentig” und „Grün” sind zwei Stichworte, die mir zum heutigen Duftprotagonisten als erstes einfallen: Absinth oder die grüne Fee. Das Modegetränk des ausgehenden 19. Jahrhunderts schlechthin. Der alltägliche Begleiter und angebliche Inspirationsquelle vieler Künstler und Literaten der damaligen Zeit: Charles Baudelaire, Edgar Allen Poe, Oscar Wilde, Vincent van Gogh, alles, was heute (aus dem 19. Jahrhundert) Rang und Namen hat, war ganz versessen auf den grünen Kräuterschnaps.

Ende des 18. Jahrhunderts entstand die Rezeptur des hochprozentigen Getränks, das seinen Namen von der Ingredienz Wermut (Artemisia absinthium) erhielt. Ursprünglich als Heilmittel konzipiert, fand es als solches auch zunächst Verwendung. Wermut ist unter anderem ein sehr zuverlässiges Entwurmungsmittel und gilt, wie andere Bitterstoffe auch, als hilfreich bei Magen-Darm-Problemen (und findet daher auch Verwendung in Magenbitter & Co.). Militärärzte schenkten zu Beginn des 19. Jahrhunderts Absinth an Soldaten aus, um unter schlechten hygienischen Bedingungen die Ausbreitung von Seuchen zu vermeiden. Ob der Absinth mit den Soldaten den Weg vom Kriegsfeld in die Lokale der europäischen Metropolen nahm, lässt sich heute nicht mehr verifizieren. Nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges etablierte sich die grüne Stunde (la heure verte) zwischen 17 und 19 Uhr im Alltag der Bewohner der französischen Großstädte.

Absinth schon zur Nachmittagszeit war absolut en vogue; ja, selbst Frauen, die nicht der anrüchigen Halbwelt angehörten, durften sich am helllichten Tag in der Öffentlichkeit ein Gläschen genehmigen (bekannterweise mit Wasser verdünnt), was eine absolute Neuerung darstellte. Zudem war das hochprozentige Getränk sehr günstig, so dass sich nicht nur Besserverdienende große Mengen davon leisten konnten. Übermäßiger Absinthkonsum war durch die Bevölkerungsschichten hindurch gang und gäbe – mit nachhaltigen Folgen. Schwindel, Übererregbarkeit, Wahnvorstellungen, Krämpfe, Depressionen und Krämpfe bis hin zur Blindheit konnten bei den Konsumenten zur Hochphase der Absinthpopularität beobachtet werden (und wurden als Absinthismus bezeichnet). Als verantwortlich hierfür wurde der Wermutbestandteil Thujon gemacht, ein Nervengift, das zu eben diesen Symptomen führt.

Nun ja, wie jeder weiß, wurde der grüne Schnaps Anfang des 20. Jahrhunderts fast europaweit (und in den USA) aufgrund der schädigenden Wirkung des Nervengiftes Thujon verboten. Anfang der 1990er etablierte sich eine gemäßigte Variante des grünen Kräuterschnapses, deren Thujongehalt weitaus niedriger war, als im Absinth des 19. Jahrhunderts (aufgrund der toxischen Wirkung wurde im historischen Absinth ein bis zu 100fach höherer Thujongehalt angenommen), wodurch die Wermutspirituose trotz Verbot erlaubt war. Da Absinth den reizvollen Ruf des Verbotenen besaß, entwickelte sich der „legale“ Absinth schnell zum Modegetränk. Vom kanadischen Autor Taras Grescoe stammen diese, meiner Meinung nach äußerst zutreffenden Worte:

Hätte man Gin und Vermouth anstatt des Absinth verboten… dann würden Sammler heute ein Vermögen für alte, konische Gläser zahlen und ehrfurchtsvoll Dorothy Parker und Dashiell Hammett über die narkotischen Qualitäten des berüchtigten Martinis zitieren.

Eine Studie des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts in Karlsruhe aus dem Jahre 2008 besagt, dass der wirkliche Thujongehalt des historischen Absinths in etwa dem heutigen entspricht, also nicht um ein Vielfaches höher ist. Die toxischen Wirkungen des damaligen Absinths werden vielmehr dem Alkohol und dem chronischen Konsum zugeschrieben. Da das Getränk damals möglichst günstig produziert wurde, oft auch schwarz gebrannt, enthielt Absinth billigen Alkohol, Fuselöle und Methanol (welches allein schon zu schweren Vergiftungserscheinungen wie Erblindung und Krampfanfällen führen kann). Der maßlose und regelmäßige Konsum des hochprozentigen Getränks tat sein Übriges. Die Symptome des Absinthismus sind im Grunde identisch mit denen des chronischen Alkoholismus.

So ist die Fee entzaubert, auch wenn ihr der Ruf des Verbotenen noch immer innewohnt. Selbst in die Welt der Parfums hat der Absinth seinen Weg gefunden. Parfum d’Interdits lancierte im Jahre 2006 den Duft Absolument Absinthe, der nicht nur mit dem Reiz der grünen Fee spielt, sondern auch einen zweiten verbotenen Inhaltsstoff als Duftnote in sich trägt: Cannabis.

Absolument Absinthe wird als ein Parfum beschrieben, das je nach Hautchemie anders riecht; bei Frauen eher floral, bei Männern frisch-würzig. Mögen da wohl die Hormone eine Rolle spielen? Diese Mutmaßung stammt von mir. Diese generelle Aussage des Herstellers finde ich ein wenig gewagt; mich persönlich würde die Größe der Versuchsgruppe interessieren, deren Ergebnisse die Behauptung verifizieren. Aber da kommt wohl wieder die Laborratte in mir hoch. 😉 Einigen wir uns darauf, dass der Duft je nach Hautchemie des Trägers anders ausfällt.

Die Duftnoten: Schwarztee, Bergamotte, Cannabis, Absinth, Galbanum, Maiglöckchen, Lotosblüte, Jasmin, Ylang-Ylang, Muskatnuß, Kardamom, Sandelholz, Moschus.

Laut Hersteller:

Absolument Absinthe reveals the mythical essence of absinthe and cannabis plants. The daring fragrance at once fortifying and fresh, ist both subtle and sensual.

Zwei Dinge kann ich bestätigen, nämlich erstens: Teststreifen und Haut riechen deutlich unterschiedlich und zweitens: meine Haut riecht floral. Frisch aufgesprüht beginnt der Duft hier leicht zitrisch und mit einer krautig-weichen Note, bevor sich, sehr deutlich, das Maiglöckchen im Duftgeschehen breitmacht. Lotosblüte bringt wässrige Tendenzen hinzu. Aromatische Kräuterimpressionen, nicht explizit bestimmbar, würde ich Galbanum und Absinth zuschreiben, oder besser: dem Wermut, denn Absinth assoziiere ich immer mit einer starken Anisnuance, die hier aber völlig fehlt. Grün-aromatisch ist der Duft im weiteren Verlauf, begleitet von einer subtil floralen Note. Helle Hölzer und cremig-weicher Moschus begleiten die aromatische Kräutertinktur schließlich auf ein sanftes Lager.

Auf dem Teststreifen wirkt der Duft dagegen völlig anders. Ich traue es mich kaum zu sagen: er erinnert mich irgendwie an CK One. Da gefällt mir die Variante auf der Haut weitaus besser. Ein (auf meiner Haut) floral-aromatischer Duft, der mir sehr gut gefällt; recht transparent, harmonisch und schön ausbalanciert, den ich eher der wärmeren Jahreszeit zuordnen würde. Das Kokettieren mit den ach so verbotenen Substanzen hat er meiner Meinung nach nicht nötig, denn als gewagten Duft würde ich ihn nicht bezeichnen; nein, auf meiner Haut ist er absolut alltagstauglich. 🙂

Einen schönen Tag wünscht Euch,

Eure Stephanie.

Bildquelle: Absinthe Glass von Eric Litton und Absinthe Robette von Henri Privat-Livement – some rights reserved. Vielen lieben Dank!

Neueste Kommentare

Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

5 Kommentare

  1. Stefan
    8. November 2010
    Antworten

    Und kommt auch ein so toller Text zu Fou d’Absinth? Ein klasse kontemplativer Duft, wie ich finde. Und absolut toll für diese Jahreszeit…

    Happy Wochenstart,
    Stefan

  2. Margot
    8. November 2010
    Antworten

    Hallo Stephanie,

    vielen lieben Dank wieder einmal für Deinen schönen Artikel!
    Finde den Absolutment Absinth total reizvoll! Will ihn mir jedes Frühjahr kaufen, aber ….. irgendwie kommt immer ein anderer dazwischen 🙂
    Um meine Unterschiede bei den (mir bekannten) Absinth-Düften kurz und knackig darzulegen:
    der Absolutment Absinth ist der Party-Wiesen-Absinth, Fou d‘ Absinth der Spätsommer-Nachmittag-Bistro Absinth und Nasomatto’s Absinth ist für mich die Sushi-Bar mit „wichtigen“ Manager-Anzugträgern 🙂

    LG, Margot

  3. Steffi
    9. November 2010
    Antworten

    Lieber Stefan, liebe Margot,

    mein Testlistchen für nächsten Samstag wird ja immer länger 😉
    Fou d’Absinthe steht bei mir schon länger auf dem Must-Try-Listchen, auch weil meine vereehrte Frau Giacobetti (wenn wir grad dabei sind: Olivia, danke nochmal für das tolle Treibholz!) die kreative Kraft dahinter ist. Und kontemplative Düfte mag ich ja eh… da fällt mir ein, wo ist denn mein Dzongkha-Phiölchen?? 😉

    Ganz viele liebe Grüße,
    Stephanie

  4. Jennifer
    19. Januar 2011
    Antworten

    Habe gerade meine Absolument Absinthe Probe bekommen. Mein allererster Gedanke: CK One. Aber haargenau. Bin total enttäuscht. Dann doch lieber CK, ist um die Hälfte billiger.

  5. Ulrike
    21. Januar 2011
    Antworten

    Bei mir kommt der gute Absolument Absinthe keinesfalls wie CK One raus, bei mir blüht und grünt es eher als dass es frisch-aquatisch scheint… Eine Frage der Hautchemie, wahrscheinlich 😉

    LG, die Uli.

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