Was ward die Welt so welk!

Nun ist er da, der Herbst – kalendarisch wie meteorologisch. Grund genug, einen kleinen Ausflug in südliche Gefilde zu unternehmen. Genauer: an die italienische Amalfiküste. Dort, etwa 50km südöstlich von Neapel, liegt nämlich der kleine 4000-Seelen-Ort Positano. Der ein oder andere Parfumliebhaber mag jetzt schon wissen, worauf ich hinaus will. Ist in diesem kleinen Städtchen, das von engen steilen Gassen und vielen Treppen geprägt ist, doch das ebenso berühmte wie luxuriöse 5-Sterne-Hotel Le Sirenuse beheimatet. Gegründet wurde es im Jahre 1951 von vier Brüdern, die der alteingesessenen neapolitanischen Sersale-Familie entstammten. Das Hotel befindet sich in einem wunderschönen Palazzo aus dem 18. Jahrhundert und ist seit seiner Eröffnung ein Synonym für Luxus und italienischen Lifestyle. Ein Spross der Familie ist Marina Sersale, die nach Ihrem Studium als Dokumentarfilmerin und Produzentin arbeitete, bevor sie sich schließlich in Rom niederließ. Dort lernte sie den gebürtigen Argentinier Sebastián Alvarez Murena kennen, der einer südamerikanischen Schriftstellerfamilie entstammt.

Völlig neue Wege gingen die beiden, als sie zum 50-jährigen Jubiläum der Sersaleschen Luxusbleibe das Eau de Toilette Eau d’Italie kreierten, zu welchem sie nach und nach auch eine ganze Reihe an Körperpflegeprodukten lancierten. In Zusammenarbeit mit keinen Geringeren als Bertrand Duchaufour und Alberto Morillas entstanden in den nächsten Jahren noch diverse weitere Düftchen: Magnolia Romana, Paestum Rose, Bois d’Ombrie, Baume du Doge, Au Lac und der heutige Stargast Sienne l’Hiver. Abgesehen vom jüngsten Duft Au Lac, der auf das Konto von Morillas geht, stammen alle anderen italienischen Wässerchen vom Meister Duchaufour. Nachdem selbiger mich schon mit seinen L’Artisan-Reisedüften (im positiven Sinne) aus den Socken gehauen hat, bin ich mehr als gespannt auf seine heute rezensierte Kreation für das italienische Junglabel.

Sienne l’Hiver – Siena im Winter. Seit Ewigkeiten wollte ich immer mal in die Toskana fahren, um die Landschaft zu genießen und um die geschichts- und sehenswürdigkeitsträchtigen Städte Florenz, Pisa, Lucca und eben Siena zu besichtigen. Bisher habe ich es leider noch nicht geschafft. Im Augenblick bleibt mir somit nur die olfaktorische Reise nach Mittelitalien; mit Herrn Duchaufour als Reiseleiter kann da ja (hoffentlich) nichts schiefgehen.

Die Ingedienzien: Geraniumblätter, Veilchenblätter, Farn, Iris, Trüffel, Weihrauch, Heu, Labdanum (Zistrose), Guajakholz. Laut Hersteller haben wir es hier mir einem rauchigen Chypre zu tun, der für Männlein und Weiblein geschaffen wurde.

Sienne l’Hiver captures the refined world of the Renaissance city of Siena – a sophisticated and award-winning fragrance of subtle earthy nuances.

Klingt spannend, insbesondere in Hinblick auf die eher ungewöhnliche Duftkomposition. Also auf an’s Werk! Schon beim ersten Schnupperer fühle ich mich in eine herbstlich-melancholische Stimmung versetzt. Dunkelgrün-waldige Noten, flankiert von einer subtil pfeffrigen Schärfe. Nasses Laub auf feuchtem Waldboden; goldbraunes Blattwerk, das zu Humus wird, ehemals organische Substanz verwandelt in Erdboden. Rauchige Noten wehen herbei. Trüffel bringt pilzig-erdige, ja leicht modrige Aspekte hinzu. Harzige Koniferennuancen kommen hinzu, die ich dem Weihrauch zuschreiben würde. Iris unterstreicht die Komposition durch mehr ölige, denn buttrige Waldbodenakzente, die sich mit den holzig-balsamischen Rauchnoten vereinen.

Beeindruckt durchschreite ich diesen duftenden Wald in meiner Phantasie. Neblig-trüb ist es, leise plätschert der Regen auf das dichte Laub über meinem Kopf. Vielleicht ist da ein See, über dessen kaltem Wasser graue Wolkenschleier hängen. Erdtöne aller Nuancen vereinen sich mit Moosen, Pilzen und verrottendem Laub, ergeben einen dicht gewebten Duftteppich, der mich auf eine ruhig-kontemplative Art und Weise einhüllt. Spontan muss ich an die ersten beiden Strophen von Rilkes Herbstgedicht denken:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Ihr seht, meine Phantasie trägt mich an einen völlig anderen Ort als das winterliche Siena, vielleicht weil ich noch nie wirklich dort war, während ich schon so manchen verwunschenen Wald zur spätherbstlichen Zeit tatsächlich durchschritten habe. Auch entgehen mir die gourmandigen Röstkastanien- und Olivenassoziationen, die so manch anderer Blogschreiberling in Sienne l’Hiver zu erkennen vermeint. Die Phantasie trägt einen eben nicht immer an den gleichen Ort, der Individualität sei Dank. 😉

Herrn Duchaufour verzaubert mich einmal wieder. Die Stimmung dieses Duftes erinnert mich ein wenig an Dzonghka. Auch wenn das Sujet natürlich ein gänzlich anderes ist; unkonventioneller als der nepalesische Reiseduft, diesem aber bezüglich seiner Transparenz und Aussagekraft in nichts nachstehend.

So verbleibe ich verzaubert im herbstlichen Märchenwald und wünsche Euch einen schönen Tag,

Eure Stephanie.

Bildquelle: Herfst von Dick Mudde und Toter Baum am Seeufer von Richard Huber – some rights reserved. Vielen lieben Dank!

Neueste Kommentare

Julia Biró Verfasst von:

Bereits 2010 gingen so einige Blogbeiträge auf mein Konto. Dann war ich „kurz“ weg – sechs Jahre. Umso mehr freut es mich, dass ich nun wieder die Chance bekomme, mein Näschen im Dienste der Duftrezension schnuppern zu lassen und eifrig in die Tasten zu hauen. Was Nischendüfte angeht, habe ich damals übrigens schnell Feuer gefangen. Meine Ausbildung tat dazu ihr Übriges: Als diplomierte Biologin kenne ich mich nicht nur mit Fauna und Flora, sondern auch recht gut mit der Herstellung von Ölen und Extrakten aus, was den Reiz der Parfumwelt natürlich noch größer macht.

4 Kommentare

  1. Almut
    23. September 2010
    Antworten

    mmmmhhhh, wunderschöne bilder. ich liebe den herbst!

    mit eau d’italie ist es so eine sache. an den düften schnuppere ich wahnsinnig gerne, finde sie allesamt aussergewöhnlich und sehr speziell. doch tragen mag und kann ich sie nicht einen ganzen tag lang.

    lg, almut

  2. Steffi
    23. September 2010
    Antworten

    Hallo liebe Almut,

    ja, das mit der Alltagstauglichkeit ist auch bei mir so’ne Sache. Außergewöhnlich sind sie auf alle Fälle. Auch die authentische Herbstimpression von Sienne l’Hiver finde ich toll, aber den Tag lang den Duft eines Herbstwaldes um sich tragen…? Meines ist es auch nicht, aber das kann ja jeder für sich entscheiden. Da empfinde ich Dzongkha als tragbarere Duchaufour-Variante eines melancholisch-kontemplativen Duftes.

    Liebe Grüße,
    Steffi

  3. Martina Rosenberg
    23. September 2010
    Antworten

    Stephanie – wunderschöne Beschreibung und Bilder. Und hier mein ganz dickes JA für einen Besuch Sienas – egal wann. Pisa – kann man lassen. Florenz – ist schön. Aber Siena – das ist einfach eine wunderbare Stadt, und es gelingt einem selbst im allerkrassesten Bustouristengewimmel, diese lärmende Meute auszublenden, die Piazza del Campo mit dem inneren Auge leerzufegen und die Jahrhunderte Revue passieren zu lassen.
    Unbedingt hinfahren ! Ach…Fernweh …..
    LG, Martina

  4. Sabine
    24. September 2010
    Antworten

    So eine wunderschöne Beschreibung – genau solch einen Duft würde ich lieben! Aber bei mir entfaltet Sienne l’Hiver keine der beschriebenen Waldnuancen. Und trotzdem ist er einer meiner Lieblinge, wenn auch wegen ganz anderer Assoziationen: Für mich ist er ein Erinnerungsduft an die vielen im Pferdestall verbrachten Stunden meiner Jugend – so wie ganz frisches, zart süßes, trockenes Stroh, verteilt auf Steinboden, duftet ( ja duftet, nicht riecht! ) er auf meiner Haut. Im Hintergrund eine ganz dezente (Sattel)ledernote. Keine Oliven bei mir, zum Glück. Ein wirklich besonderer Duft, mit dem Potential an ganz unterschiedliche Orte zu (ent)führen!
    Liebe Grüße, Sabine

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