Die Tuberosenmanie …

… hat den Duftmarkt fest in ihrem Griff: Was die letzten Jahre Oud war, welches inflationär in etlichen Parfums auftauchte – sehr zu meiner Freude, wie ich gestehen muß – ist wohl in diesem Jahr die Tuberose. Prada lancierte Infusion de Tuberose, Histoires de Parfums ein ganzes Trio zum Thema und von Bertrand Duchaufour, dem Hausparfumeur von L’Artisan Parfumeur, kam der lang ersehnte neue Duft des Hauses, Nuit de Tubéreuse.

Viel bekannt ist nicht über die Tuberose, auch Nachthyazinthe: Sie stammt höchstwahrscheinlich aus Mexiko und wurde wohl im 17. Jahrhundert von dort aus nach Europa importiert, in Indien aber ebenfalls bereits schon (seit) Mitte des 17. Jahrhunderts kultiviert. Sie ist der Gattung nach eine Agave, der Unterfamilie der Agavengewächse entstammend und zeigt sich als einer Zwiebel entspringende fleischige Pflanze, die über einen ährenartigen Blütenstand verfügt. In wachsigem Weiß gehalten verströmt dieser einen intensiven Duft: Schwer und süß, annähernd honiggleich und vor allem eines – betörend, verführerisch.

Als typischer weißer Nachtblüher ähnelt sie – auch geruchstechnisch – dem Jasmin, welcher ebenfalls in Anbau, Ernte und Ertrag ein schwieriges Pflänzchen darstellt. Noch heute extrem teuer und kompliziert in der Handhabung faszinierte er bereits früher die Menschheit, so auch den gerade in Grasse angekommenen Grenouille in Patrick Süskinds Parfum:

„Ende Juli begann die Zeit des Jasmins, im August die der Nachthyazinthe. Beide Blumen waren von so exquisitem und zugleich fragilem Parfum, daß ihre Blüten nicht nur vor Sonnenaufgang gepflückt werden mußten, sondern auch die speziellste, zarteste Verarbeitung erheischten. Wärme verminderte ihren Duft, das plötzliche Bad im heißen Mazerationsfett hätte ihn völlig zerstört. Diese edelsten aller Blüten ließen sich ihre Seele nicht einfach entreißen, man mußte sie ihnen regelrecht abschmeicheln. In einem besonderen Beduftungsraum wurden sie auf mit kühlem Fett bestrichene Platten gestreut oder locker in ölgetränkte Tücher gehüllt und mußten sich langsam zu Tode schlafen. Erst nach drei oder vier Tagen waren sie verwelkt und hatten ihren Duft an das benachbarte Fett und Öl abgeatmet. Dann zupfte man sie vorsichtig ab und streute frische Blüten aus. Der Vorgang wurde wohl zehn, zwanzig Mal wiederholt, und bis sich die Pomade sattgesogen hatte und das duftende Öl aus den Tüchern abgepreßt werden konnte, war es September geworden. Die Ausbeute war noch um ein Wesentliches geringer als bei der Mazeration. Die Qualität aber einer solchen durch kalte Enfleurage gewonnenen Jasminpaste oder eines Huile Antique de Tubereuse übertraf die jedes anderen Produkts der parfümistischen Kunst an Feinheit und Originaltreue.“

Von Erotik ist hier ebenfalls ein paar Zeilen weiter die Rede, wie auch nicht, in Anbetracht einer solch narkotisierenden Blüte? Mein Verhältnis zu weißen Blüten ist normalerweise ein sehr zurückhaltendes. Tuberose allerdings liebe ich, auch wenn ich bisher nur exakt zwei Tuberosendüfte auf meine Haut ließ, selten – es sind Amoureuse von Delrae Roth und die Tubereuse Criminelle von Serge Lutens.

Letzterer Herr hat mich, ich werde es nicht müde zu erwähnen, auf die Tuberose gebracht – mit einem Interview vor einigen Jahren, in einem Printmedium. Ich hab es hier vorliegen, da ausgerissen, aber vergessen, eine Notiz zu machen – keine Ahnung mehr, aus was für einer Zeitschrift es stammt, leider. In besagtem Interview bekennt Lutens seine Leidenschaft zu der Poesie von Jean Genet, Rainer Maria Rilke, Gérard de Nerval und Charles Baudelaire, dem Poète Maudite, den er als seinen Lieblingsdichter bezeichnet:

„Ich liebe seine gesamte Poesie. Baudelaire verkörpert in seiner Dichtung die Liebenden, die Nacht, die Schönheit, den Tod, die Hässlichkeit. …“

Gefragt nach dem Warum antwortet Lutens folgendermaßen:

„Charles Baudelaire fängt das ein, was die Schönheit in ihrer Eigenart ausmacht – mit ihrer transzendenten und fleischlichen Seite. Er findet Schönheit in Ruhe, in Duft, in Schmuck in Geräuschen und auch in der Hässlichkeit. Seine Sicht der Erotik ist stark mit dem Tod verbunden. Baudelaire ist ein Romantiker, öffnet gleichzeitig die Tür zur Moderne.“

Für mich gibt es keine andere in der Parfumfabrikation verwendete Blüte, die jene Art von Ästhetik der Erotik oder besser: Erotik der Ästhetik besser darzustellen vermögen könnte als die Tuberose. Die Tuberose, diese höchst empfindliche Königin der Nacht in weißes Wachs gegossen, wunderschön, auf fast schon schmerzhafte Weise betörend süß und – vergänglich, ach so vergänglich. Und somit auch auf eine Art morbide anmutend.

Deshalb sollte für mich eine Tuberose auch erwachsen interpretiert werden – nicht unbedingt „nicht jugendfrei“, obgleich das natürlich auch eine Option ist, in jedem Falle aber nicht girliesk.

Ich werde Euch in den folgenden Tagen sowohl die drei Tuberosen von Histoires vorstellen als auch das neueste Werk von Bertrand Duchaufour. Und ich kann Euch bereits jetzt sagen: Es lohnt sich zu schnuppern… und natürlich weiterzulesen 😉

In diesem Sinne – hoffentlich bis morgen!

Viele liebe Grüße,

Eure Ulrike.

Bildquelle: Polianthes Tuberosa von Forest & Kim Starr via wikicommons – some rights reserved. Vielen lieben Dank!

Neueste Kommentare

Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

11 Kommentare

  1. Valeria
    11. Mai 2010
    Antworten

    Liebe Ulrike,

    herzlichen Dank für diesen wundervollen Beitrag zu einer meiner absoluten Lieblingsblüten.
    Freue mich schon auf deine Rezensionen.

    Liebe Grüße

  2. 11. Mai 2010
    Antworten

    … die drei Neuen hab ich schon gestern entdeckt und sie sind sofort auf die Wunschliste gewandert.

    Bisher hatte ich mit Tuberose nichts am Hut (Näschen), aber was nicht ist, kann ja noch werden, nicht wahr?
    Und vielleicht hab ich ja nur die falschen geschnuppert.

    liebe Grüße

  3. Petra
    11. Mai 2010
    Antworten

    Liebe Uli,

    auch ich habe mich ja schon ausgiebig mit den den 3 Histoires-Tuberosen befasst und bin begeistert von der Umsetztung. Alle 3 interpretieren die Tuberose auf eine Art, wie ich diese Blüte noch nie gerochen habe. Ich liebe ja Jasmin und daher mag ich natürlich auch die „Verwandtschaft“ Tuberose. Aber es gibt Tuberosen-Düfte von denen es einem regelrecht schlecht wird. Wer einmal an so einem Duft gerochen hat, wird tunlichst seine Finger von dieser Blüte lassen. Aber all denen – und auch den Anfängern in Sachen Tuberose – kann ich nur raten, die 3 Histoires zu testen. Sie werden sich in mindestens einen Duft aus der Reihe verlieben 😉

    Bei mir wars übrigens die Nr. 3

    lg, Petra

  4. Lestat
    11. Mai 2010
    Antworten

    Liebe Uli,

    schöner Beitrag zur Tuberose – die Königin der Nacht trifft es ziemlich genau!
    Ich bin sehr gespannt auf die Vorstellung der 3 Histoires…

    By the way habe ich mich in „Pure Oud von Kilian“ verliebt und was mich komplett in den Wahnsinn (positiven Ursprungs) getrieben hat ist „Oud 27 von LeLabo“! Vielen Dank dafür 🙂

    Schöne Grüße

  5. Margot
    11. Mai 2010
    Antworten

    Liebe Uli,

    vielen Dank für Deine Tuberosen-Exkursion. Inzwischen habe ich mir auch einige zu Gemüte/zur Nase geführt. Amoureuse von DelRea Roth war auch dabei und ich muss sagen, das wäre einer, den ich mir auch für mich vorstellen könnte. Von Tubereuse criminelle schwärmst Du immer, aber den kann ich hier ja nicht testen 🙁 Ist nicht so wirklich fair!

    Viele Grüsse,
    Margot

  6. Ulrike
    11. Mai 2010
    Antworten

    Hallo Ihr Lieben,

    ja das freut mich aber, sooo viel Feedback zu den Tuberosen! Und, ganz ehrlich – es folgen noch einige seeehr sehr nette diese Woche – wenn das keine Warnung ist? 😉 😉

    @ Valeria: Danke für die virtuellen Blumen 🙂

    @ Angelika: So ging es mir lange Zeit auch 😉

    Was die HdP-Tuberosen angeht, liebe Petra, muß ich mich Dir anschließen – ich denke auch, daß da für jeden etwas dabei sein müßte…

    Bezüglich der Tubereuse Criminelle liebe Margot: Ich bin nicht sicher, ob ich sie mögen würde, wenn ich nicht diese Baudelaire-Assoziation hätte. Sie ist schon eine jener gemeinen Tuberosen, eine narkotisierende und übersatte Verführerin, weißblütiger geht fast kaum… Kennst Du denn die Wachsproben, die man bei Lutens (umsonst) bestellen kann in Paris? Wenn man anruft und die Adresse durchgibt (geht auch auf English ;)) schicken sie einem ein Wachsprobenbuch mit allen Düften zu. Diese bescheren wenigstens einen ersten Eindruck derselben, auch wenn die Wachsproben die Düfte, wie ich meine, nicht in Gänze erfassen können.

    @ Lestat: Das allerdings habe ich mir schon gedacht daß Du Dich in „Nili“ verliebst 😉
    (So haben wir das Nilpferdgehege Oud 27 getauft)

    Liebe Grüße,

    Eure Ulrike.

  7. Margot
    11. Mai 2010
    Antworten

    Liebe Uli,

    wow, vielen Dank für den Lutens-Tipp!!! Und nein, von einem Wachsbuch habe ich noch nichts gehört. Aber da die Tubereuse criminelle ja nur für den Shiseido-Palast gemacht ist, was hat dann Lutens davon, das Wachsbuch zu versenden, wenn es keine Möglichkeit gibt, die Düfte zu erstehen, ausßer direkt im Shiseido-Palast? Soll damit die Reiselust gefördert werden? 🙂
    Ich habe ja schon lange eine Paris-Reise im Kopf … aber statt den Eifelturm würde ich den Shiseido-Palast, Guerlain, und so viel wie möglich andere „dufte“ Gebäude besuchen, natürlich auch die Kerzenmacher. Das bedarf jedoch ausgekügelter Planung und ein Budget, das einem 4Wochen-Urlaub in einer 5-Sterne-Location entspricht 🙂 Aber wer weiß … eines Tages …..

    LG, Margot

  8. Ulrike
    11. Mai 2010
    Antworten

    Hallo liebe Margot,

    … nach Paris darfst Du mich gerne mitnehmen 😉 Du hast natürlich vollkommen recht mit dem fiesen Budget 😀 *lach*
    Klar, Guerlain und Caron sowie der Palais Royal von Shiseido gehören da mit hinein sowie L’Artisan Parfumeur und einige andere nette Häuser, Colette, JAR, Cire Trudon usw.
    Ich habe das leider auch noch nicht geschafft – einzig, weil mir solch eine Reise nur mit dem dazugehörigen Budget Spaß machen würde, wie ich ehrlich gestehen muß.

    Was Lutens angeht gibt es aber einen Vorteil: Die parisexklusiven Düfte können ohne Probleme übers Internet bestellt werden – WENN, ja wenn Du in Europa wohnst. Das ist ja der Grund, der die Amis regelmäßig zum Heulen bringt und auf die Suche nach Privatshoppern in die Foren treibt – Lutens/Shiseido verschicken nur auf dem europäischen Kontinent.
    Ergo kannst Du Dir das Wachsbuch ruhig ordern – Du kannst von Deutschland aus via Internet alle Düfte bestellen 🙂

    Ich weiß jetzt nicht, ob das die Antwort war, die Du haben wolltest 😀 aber… 😉

    Liebe Grüße,

    die Uli.

  9. fredi
    11. Mai 2010
    Antworten

    Ich bin normalerweise nicht so der Tuberosenfan, und wenn, dann mag ich sie eher grün (Tubereuse Couture von PG, Prada Essences Tubereuse – nicht die neue Infusion!). Aber Du hast recht, bei den Neuerscheinungen dieses Frühjahrs findet jeder eine Interpretation, die ihm gefällt. Bei mir sind es die No. 2 von Histoires (virginale) und nach mehrfachem Testen auch die von L´Artisan/ Duchaufour. Man darf also zurecht auf die Rezensionen der nächsten Tage gespannt sein !!!

    LG, fredi

  10. Christiane
    11. Mai 2010
    Antworten

    Danke für den wie immer toll geschriebenen Artikel. Ich habe natürlich das Trio auch schon ausprobieren MüSSEN (jawohl, müssen). Und kann mich nicht entscheiden, ob ich Nr. 1 oder 2 schöner finde – beide sind sehr schön. Nur die Nr. 3 ging bei mir (Hautchemie?) gar nicht. Wie gut, dass doch jede Nase/Haut/Vorliebe seinen Duft hier finden kann.
    Viele Grüße Christiane

  11. Ulrike
    14. Mai 2010
    Antworten

    Jaja Fredi, der Duchaufour kommt heute als Rezension – und ist mein Tuberosenliebling überhaupt. Nonstop habe ich ihn getragen an den ersten, leider an zwei Händen abzuzählenden Frühlingstagen. Vor allem Abends ist er der Knaller finde ich 🙂

    Und, liebe Christiane – dann sind wir schon zu zweit, ich kann mich auch nicht entscheiden 😉 Aber im Gegensatz zu Dir gingen bei mir alle Düfte richtig gut auf der Haut, leider 😉

    Liebe Grüße, die Uli.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert