Wer heute hip sein möchte, muss schnell sein. Denn das temporär-wechselnde Erkennungszeichen des internationalen Beauty-Jet-Sets ist meistens schon innerhalb weniger Tage wieder ausverkauft.
In der Geschichte der Beauty gab es immer wieder Produkte, für die Kundinnen schon früh morgens Schlange standen, um einen der begehrten Tiegel, Töpfchen oder Flakons zu ergattern. Bestseller, die den allzu-oft bemühten Tatbestand des „Must-Haves“ tatsächlich erfüllen. 1971 gab es so einen Run auf die Kosmetik-Counter, als Jade Maybelline seine „Great Lash“ präsentierte. Oder 1992, als Yves Saint-Laurents „Touche Eclat“ Kundinnen weltweit den Kopf verdrehte und dann aufhübschte. Oder 1999, als Hollywoods umschwärmte „Creme de la Mer“ endlich den deutschen Markt stürmte. Wie gesagt: es gab immer Produkte, die einen unerklärlichen Reiz darstellten, die man unbedingt haben wollte und über die alle Welt sprach. Ich beobachte nur in letzter Zeit, dass sich dieses Stampede-ähnliche Kaufverhalten ändert. Denn waren es früher kleine Revolutionen, die zu anschließendem Kaufrausch führten – wie eine Wundercreme oder der erste High-Tech-Concealer mit integriertem Pinselchen – so sind die Must-Haves unserer Zeit deutlich simpler gestrickt: Einzelne Farben (!) führen zu einer kleinen Massenhysterie. Vor allem dreht sich dabei alles um Nagellack. Eine bestimmte Nuance, meist als sogenannter „One-Shot“ (also nur für eine Saison erhältlich) wird zum Renner.
Angefangen hat diesen Hype um eine Nagellack-Nuance Uma Thurman. Oder eigentlich Chanel. Wie rum auch immer: Als Uma Thurman Mitte der Neunziger in „Pulp Fiction“ einen Schicht tiefdunkle Kirsche auf den Nägeln trug, wurde die Farbe sozusagen über Nacht zum Kult… und ist es bis heute geblieben!
Aber tatsächlich erleben wir nun immer häufiger, dass eine Nagellack-Nuance auf den Markt kommt, von Celebrities in aller Öffentlichkeit getragen wird – und wumms – zum Bestseller wird. Mal ist es ein mintgrün, das allerwelts den Parfumerie-Verkäuferinnen aus den Händen gerissen wird, ganz aktuell ist es: Schwarz.
Nicht wirklich neu, denn so um das Erscheinen der „Twilight“-Triologie herum und zu Zeiten der „EMOs“ (diese schwarz-pink-karierte Jugendbewegung), war schwarzer Nagellack bereits das erste Mal in. Schuld war – schon wieder – Chanel. Denn das französische Haus setzte 2006 die Bench-Mark mit der Farbe „Nr. 219 Black Satin“. Wieder waren es Celebrities, die munter mit ihren Nägeln vor Kameras posierten und so den Trend massentauglich machten: Jessica Alba, Mena Suvari, Lindsay Lohan und wie sie alle heißen.
Fast scheint es, als wäre der Lack das, was früher die IT-Bag war oder die Non-Plus-Ultra-Louboutins. Der „Vernis“ (wie ihn Beauty-Junkies liebevoll nennen) ist heutzutage zum Statement geworden: Hey, schaut her, ich kenn mich aus in der Welt der schönen Dinge und bin trendy!“
Könnte dieser Wandel mit der Wirtschaftskrise zu tun haben?
Früher, als aufgeblähte Immobilien-Geschäfte und leicht zu habende Kredite unser Leben bestimmten, musste jede Frau dringend eine Kelly-Bag haben. Konnten sich aber nur wenige leisten, und selbst wer das Geld hat muss lange warten bis das Gute stück von Hand gefertigt wird – so schafft man Begehrlichkeiten! Nun, im Jahre 2010 sitzt das Geld weniger locker, wenn man heute auf der Straße fragen würde, wette ich, träumen nur noch halb so viele Frauen von einer Hermès-Handtasche wie vor zehn Jahren. Andere Dinge, andere Werte sind in den Mittelpunkt des Lebens gerückt. Man spart. Und leistet sich kleinere, erschwingliche Kostbarkeiten, eben einen IT-Lack!
So waren im letzten Jahr Yves Saint Laurents Grau-Ton „Stormy Grey“ und Chanels Wahnsinns-Grün „Jade“ absolute Topseller. Wollte man haben, musste man haben. Und konnte damit jede Kollegin im Vorbeigehen erblassen und neidisch auf dem Flur stehen lassen. Das Bizarre: auf Auktionsplattformen erzielten die begehrten Nuancen absurde Preise. Teilweise bis zum vielfachen des eigentlichen Verkaufswertes.
Beispiel: Chanels Jade.
Auf der Pariser Fashion Week 2009 präsentierte Design-Gott Lagerfeld seine Herbst- und Winterkollektion, und dekorierte die Topmodels mit Ringen und Ketten aus Jade. Passend dazu die Nägel in einem umwerfenden, zarten Grünton. Die Resonanz auf das von Make-up-Chef Peter Philips entwickelte Blassgrün verlief irgendwo zwischen überwältigend und absurd-euphorisch… Der Lack (ursprünglich ja extra für den Laufsteg entworfen) wurde zum Phänomen. Deshalb ging Chanel den logischen Weg, gab seinen „Jade“ in limitierte Produktion… und der war dann am Counter bereits nach zwei Tagen restlos ausverkauft! Ein Wahnsinn. Bei Ebay haben dann doch noch ein paar Glückliche (?) ein Fläschen ergattert. Für schlappe 150 Euro das Fläschchen!
Ähnlich verhielt es sich mit der Erstauflage des schwarzen „Black Satin“ von Chanel. Wieder ein One-Shot (wie gesagt: Begehrlichkeiten wecken!), wieder innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, so dass sogar Chanel die (pardon) Spucke weg blieb. Und wieder Höchstpreise bei Ebay und Co. Nur, dass sich alle, die damals für überteuerte Preise eine Lackflasche ersteigert haben, nun ärgern dürften: denn Chanel nimmt das legendäre Schwarz in die laufende Kollektion auf. Genügend Schwarz für alle!
Aber wie darf man sich die Entstehung so eines Hypes eigentlich vorstellen? Sitzen Damen der ersten Liga beim Kaffeeklatsch zusammen, sagen wir mal beispielsweise Frau Beckham und Frau Holmes, und flüstern sich heimlich den Namen der neuen IT-Farbe zu? So wie man sonst nur hinter vorgehaltener Hand über diesen waaaahnsinnig guten Schönheitschirurgen spricht, den die beste Freundin auch unbedingt mal kennenlernen sollte?
Nagellack ist nicht mehr bloß der stiefmütterliche Verwandte des Lippenstifts. So wie Gürtel sich von ihrer sklavischen Beziehung zu Schuhen gelöst haben (1990: „Schuh und Gürtel müssen identisch aussehen“), so durchlebt der Nagellack unserer Tage seine Emanzipation.
Fast, und einige Leser werden mich jetzt wohl am Liebsten mit Heugabeln und Fackeln aus dem Dorf treiben wollen, fast ist der Nagellack 2010 wichtiger als der Lippenstift.
Den Trend haben nun auch Firmen entdeckt, die bisher noch nicht so viel mit beauty zu tun hatten. War es früher noch so, dass jedes (hinterletzte) Label unbedingt ein eigenes Parfum kreieren musste, so hat sich auch hier der Nagellack als neue konstante Größe etabliert: Das Mode-Label „American Apparel“ etwa bringt jetzt keinen eigenen Duft, sondern eigene Nagellacke. Find ich klasse! Denn eine Kompetenz in Sachen Trend-Farben hat das Label auf jeden Fall. Wer wissen will, was gerade so angesagt ist, streift einmal in einer Boutique durch die engen Gänge und ist sowas von up-to-date! Was hier hängt, trifft den Zeitgeist.
Und jetzt also auch Nagellack. 18 Nuancen gibt es, viele davon in matt (ist ja auch grad so „in“), und ein paar tolle Knallfarben, etwa ein poppiges Gelb oder ein Eighties-Blue.
Aber natürlich gibt es auch die drei derzeit wichtigsten Farben, die bis vor kurzem so begehrt waren, dass sie morgen sicher schon wieder (Gähn) out sind: ein „Factory Grey“ in mausgrau, ein „Hassid“, nämlich tiefschwarz, und ein „Office“ – einen herrlich „Jade“-ähnlichen Mintton.
Und was lernen wir jetzt daraus?
Dass heute ohne auffälligen Lack nichts geht. Lieber ein paar Euro in einen stylishen Vernis investieren und damit aus einem mittelmäßigen Outfit einen Knaller machen, als eine Saison lang auf eine Handtasche hinzusparen – die man sich ja dann doch wieder nicht kauft, weil sie bis dahin schon wieder out ist. Gott, ist schick sein manchmal kompliziert?!
Und bitte schicken Sie mir jetzt keine Mails, ich wiederhole: Keine Mails!, um mich zu fragen, was der kommende Trend-Lack ist. Ich weiß es nämlich nicht. Pastell-Gelb? Knall-Koralle? Oder kommt Nude wieder? Keine Ahnung, wirklich. Wir werden uns alle überraschen lassen müssen, was sich Köpfe wie Karl Lagerfeld und seinesgleichen als nächstes einfallen lassen. Nur eines kann ich mit Sicherheit sagen: es wird auf jeden Fall NICHTS mit French Manicure zu tun haben. Denn das kann nun wirklich schon lange niemand mehr sehen. Das sollte nur mal jemand den ganzen 16-jährigen Mädchen sagen, die ich morgens immer in der U-Bahn sehe…
Eine schöne Restwoche wünscht Euch,
Euer Constantin Herrmann.
Die neue Nagellack-Kollektion von Deborah Lippman jetzt bei Aus Liebe zum Duft
Wie habe ich mich amüsiert! Aber am schlimmsten finde ich French-Toenails!! Igitt, sieht das hässlich aus.