Das Nichts – ein philosophisch folgenschwerer Begriff… Wer denkt, von nichts oder besser: Nichts kommt nichts, liegt somit – abseits des Umgangssprachlichen – vollkommen daneben. Es haben sich etliche Philosophen seit der Antike mit jenem bedeutungsschwangeren Begriff beschäftigt – und spätestens seit Heidegger wissen wir: „In der hellen Nacht des Nichts der Angst ersteht erst die ursprüngliche Offenheit des Seienden als eines solchen: dass es Seiendes ist – und nicht Nichts.“ Das Nichts also als Kontrast zum Sein und somit auch zum Dasein sowie dem Seienden. Und vielleicht einfacher schon bei Aristoteles: „Der Schatten des Nichts lässt das Seiende in seiner Seiendheit ausdrücklich erscheinen.“
By Willy Pragher – Landesarchiv Baden-Württenberg, CC BY-SA 3.0, Link
Das Nichts also ist es, das, banal heruntergebrochen, als Gegensatz zum Sein existiert und jenes erst wirklich bewusst werden lässt: Das Sein ist nicht Nichts, sondern: Es ist bestimmt, es existiert, es ist, es ist also Sein. Wer jetzt genau aufgepasst hat, dem wird aufgefallen sein: Nach dieser Rechnung ist auch das Nichts, es ist, nämlich: Nichts. Insofern gehört es ab ovo zum Sein dazu, ist untrennbar mit ihm verbunden.
Tjaja, alles klar, wird jetzt der eine oder andere von Euch denken. Aber – nicht nur, daß Heidegger eine interessante und lohnenswerte Lektüre darstellt, mein kleiner philosophischer Exkurs hier hat durchaus seinen Grund: Serge Lutens samt seinem Parfumeur Christopher Sheldrake sind auf Abwegen unterwegs und scheinen ebenfalls unter die Philosophen gegangen zu sein. Und unter die Revolutionäre.
Fühlte sich Lutens, wie er doch selbst bekundet, bei der Präsentation seines neuesten Duftes L’Eau Serge Lutens wie Saint-Just, dieser französische Revoluzzer. Denn: Das L’Eau ist nun gar nicht das, was man so von Lutens erwartet(e?): Ein Parfum, das „nicht wirklich ein Parfum ist“, eher ein „Eau der Sauberkeit“, „elegant und subtil“, so, „als ob man aus dem Bad kommt“, aber eben auch kein frisches Eau, sondern „man könnte sagen, dass es eine frische Brise zwischen den ganzen grässlichen Gerüchen ist. Dieses Eau ist… eine Tablette von Valda auf dem Mont Blanc.“ So Lutens in einigen Interviews – siehe unter anderem hier, hier und hier (Quelle der folgenden Zitate).
Das L’Eau ist also ein „Bruch“, wie Lutens selbst sagt. 16 Jahre Arbeit steckt in dem neuen Duft, der genuin naturaliter ein „Anti-Duft“ ist, wie Lutens bezeugt:
„Ich hatte die Idee, ein ,,Anti-Parfum“ zu kreieren, dessen Duftnoten und Sinnlichkeit den Träger mit einem nachhaltigen, „reinen“ Duft umgeben und nicht mit einem „Parfum“ im herkömmlichen Sinne. Keine Neuheit, die an die Stelle bestehender Düfte tritt, sondern etwas, das wieder Lust auf Duft macht. Es ist als Reaktion auf unsere überparfümierte Welt zu verstehen… in welcher der Ursprung, warum wir einen Duft tragen, die Verführung, in Vergessenheit geraten und zu einem gedankenlosen Ritual geworden ist. L`Eau Serge Lutens ist meine Antwort darauf: rein und klar, sich abgrenzend von diesen artifiziellen Düften, die uns umgeben. Es ist wie das Einatmen klarer, frischer Bergluft.“
Aha, es verbirgt sich hinter diesem angeblichen Nichts also doch ein Sein, vielmehr: Ein Seiendes. Was per definitionem als Parfum verkauft wird, das keines sein möchte, ist eben doch ein Statement, wie Lutens einräumt:
„Ich suchte etwas anderes: eine Note, die den Eindruck von Sauberkeit und Reinheit vermittelt. Dieser außergewöhnliche Duft von frisch gebügelter Wäsche, der Wohlbefinden und Schläfrigkeit auslöst. An den wir uns aus der Zeit erinnern, als wir noch klein waren.“
So kommt der Duft „dem Geruch von sauberer Wäsche sehr nahe“, was auch Lutens‘ Idee war: „Frische, Luft, gebügelte Wäsche, sauberer Dampf. Als ob man mit diesem Duft andere Gerüche abweisen könnte, die man nicht haben will. Es ist also eher so etwas wie ein mentaler Schutz als ein Parfüm: Man geht damit auf Abstand.“
Ein Platzhalter soll es also sein, dieses L’Eau. Ein distanzschaffender und dekonstruktivistischer Duft, auf das Wesentliche konzentriert, denn, so Lutens:
„Er kann dazu beitragen, mit seinem Innersten in Berührung zu kommen. Für Frauen ist es an der Zeit, mit alten Klischees aufzuräumen, wie Strapsen oder Lockenwicklern, all diesen Attributen einer überholten Neo-Erotik, zu der Frauen greifen, um Männern zu gefallen. Bei Männern: weniger Bodybuilding, weniger Aktenkoffer und andere Accessoires, die Frauen beeindrucken sollen. Es ist Zeit für Wohlbefinden, Einfachheit und frische Luft.“
Wie recht er doch hat… Und das L’Eau hält ebenfalls, was es verspricht: In den Kopfnoten offenbaren sich sanfte zitrische Noten mit diffus-fruchtigen Anklängen, die alsbald von einer zart-pudrigen Vanille begleitet werden, ehe sie in luzide und saubere Gefilde übergehen, in welchen einige subtile Blüten blühen. Das L’Eau umgibt einen tatsächlich wie ein unaufdringlicher (und trotzdem extrem haltbarer) Hauch. Weit davon entfernt, einer jener cleanen amerikanischen Wäschedüfte zu sein (welche ich nicht mag, was ihr spätestens hier festgestellt haben solltet), lässt es Platz für den Träger, die Trägerin, sowie deren Naturell und Persönlichkeit. Es ist also in der Tat, wie Lutens beschreibt, eine Art weißes Blatt: Tabula Rasa mit der Möglichkeit, die ureigene Geschichte des Trägers mit aufzunehmen und zu erzählen.
So ist das L’Eau Serge Lutens schlussendlich eben wie das Nichts – es ist mehr als nicht, denn es ist. Und Serge Lutens ist wie Heidegger ein Wortakrobat. Hier schließt sich der Kreis.
In diesem Sinne –
liebe Grüße,
Eure Ulrike, ebenfalls seiend.
P.S.: Hier der Videoclip zum Duft
Das ist doch alles nur Marketing-Gequatsche! Mal ganz ehrlich!
Ja, ist es. Das war es aber bei Serge Lutens immer, genauso wie bei vielen anderen auch.
Und was ist gegen Geschichten einzuwenden? Nichts, was verkauft werden kann und/oder sich verkauft, verkauft sich ohne – Geschichten, Impressionen, Bilder und den damit verbundenen und/oder dadurch hervorgerufenen Assoziationen und Gefühlen. Jedes Produkt, jede Marke lebt davon, von Bildwelten, die bestimmte Emotionen wecken, Zugehörigkeiten usw.
Im Falle dieses neuen Lutens ist die Idee aber geschickt und der Duft entspricht meines Erachtens nach den Vorgaben ziemlich genau. Ob er gefällt ist was anderes. Mir hat er gefallen 🙂
Hmmmm … ein Kontrapunkt zu artifiziellen Düften? etwa gar zu denen des Hauses Lutens selbst? Ehrlich gesagt, duftet gerade L´Eau für mich chemisch, künstlich. Eher wie „frisch“ aus der Reinigung als wie frische Bergluft. Langanhaltend, ja, das ist er 😉 mir gefällt er trotzdem nicht. Da lobe ich mir meinen Chergui, der genaus so wenig „Lockenwickler und Strapse“ ausstrahlt wie dieses Wässerchen „Wohlbefinden, Einfachheit und frische Luft“.
Liebe Grüsse, fredi
Das war ja auch die Intention – frische Wäsche 🙂
Wie Bergluft riecht er nicht, Lutens hat ja selbst eingeräumt, daß es die Wäsche war, die ihn inspirierte. Und yep, so riecht er auch. Sicher, damit riecht er „künstlicher“ wie manch anderer Duft und auch wie viele Lutens‘, aber nach meinem Empfinden trennen ihn, genauso wie z.B. Gendarmes Carrière, trotzdem Welten von Cleans Duftpalette oder ähnlichen amerikanischen Sauberdüften (die einfach nicht meines sind, sorry).
Liebe Grüße zurück, die Uli 🙂