Lady Gaga und der Burj-Tower in Dubai
Oder:
Die Zukunft wird teuer!
Wenn wir in 30 Jahren an 2009 denken, an was werden wir uns erinnern?
Wer zum Beispiel an die 1970’er Jahre denkt, hat doch sofort Hippies im Sinn, Flower Power, The Mamas & Papas. Oder die Achtziger: Madonna, Neon-Farben, Tüll. Jede Generation hat ihre Klischees, ihr Image. Aber was werden unsere Enkel einmal über unser Jetzt denken? Weltwirtschaftskrise, Klimawandel, AlQuaida, iPhone … und? Leben wir in einer Zeit, die kaum nachhaltige Eindrücke vermittelt? Ich glaube nicht. Vielmehr befinden wir uns in der Ära, in der die Zukunft beginnt. Glauben Sie nicht?
Dann lassen Sie mich Ihnen zwei Beispiele vorstellen:
Werfen wir doch mal – wie alle Nachrichtenstationen der Welt es gerade tun– einen Blick nach Dubai, in das Land der Superlative. Den meisten von uns ist der kleine Golfstaat ein Synonym für das Land der Milliardäre, sprudelndes Öl und endlose Möglichkeiten. Wo jeder Wüsten-Scheich eine ganze Flotte von Ferraris unterhält und mutige Aussteiger aus dem Westen ihr Glück finden können. Soweit die Klischees bisher. Die sind nämlich veraltet. 2010 ist Dubai das Land der unbegrenzten Schulden. Pleite. Weltwirtschaftskrise hoch Zehn. Denn Dubai steht mit rund 80 Milliarden Dollar in der Kreide und bat seine Gläubiger erst einmal um Zahlungs-Aufschub. Dabei investierte der schwächelnde Wüstenstaat in den letzten Jahren geschätzte 250 Milliarden Euro in den Bau gigantischer Wolkenkratzer, Shopping-Malls (inklusive künstlich beschneiter Skipisten) und Mega-Luxus-Hotels. Nur, die Rechnung ging nicht auf. Der erwartete Investor- und Tourismus-Boom blieb aus. Nur rund 41 Prozent der gebauten Büroflächen sind laut Schätzungen belegt, weitere Bau-Projekte im Wert von noch mal 200 Millionen Euro mussten nun vorerst gestoppt werden. Aber Schlagzeilen macht Dubai derzeit mit einer ganz anderen Meldung, nämlich mit der Eröffnung des megalomanen „Burj-Towers“. Das aktuell höchste Gebäude der Welt ragt über 800 Meter in den Himmel und wirkt ein bisschen wie ein Mahnmal der weltweiten Krise. Größenwahn statt Sparmaßnahmen.
Sieht so die Zukunft aus – Türme die bis in den Himmel reichen?
Liest man die technischen Eckdaten des Burj, wird einem Angst und Bang. Ein ähnliches Bauvorhaben hat es in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben. Superlative und Weltrekorde überschlagen sich in den internationalen Pressemitteilungen: Sechs Jahre dauerte der Bau des Wolkenkratzers, die Höhe des Kolosses beträgt irgendetwas zwischen 800 und 828 Metern (hier widersprechen sich die Meldungen), 160 Stockwerke, 87 Fahrstühle, die bis zu neun Metern pro Sekunde zurücklegen. Für den Entwurf hatten die Architekten nach eigener Aussage nur zwei Wochen gebraucht. Bis zu 14.000 Arbeiter aus aller Welt haben dann (in Zwölf-Stunden-Schichten bei extremen Temperaturen) angeblich phasenweise je ein Stockwerk in drei Tagen gebaut. Wegen des Wüstenklimas wurde der Beton mit Eis vermischt und vor allem nachts gegossen. 14 Milliarden Dollar soll das gesamte Burj-Projekt kosten, inklusive Tower und Umgebung, nebst Shopping-Mall, Riesen-Aquarium und einem Springbrunnen für schlappe 150 Millionen Euro. Und nun, wo der außerirdisch schöne Turm endlich steht, sollen die 55 Millionen Liter Kondenswasser, die die Klimaanlagen jährlich vermutlich produzieren werden, zur Bewässerung des umliegenden 11 Hektar großen Parks genutzt. 335.000 Quadratmeter Apartment- und Büroflächen sind entstanden. Sollte das Haus einmal komplett in Betrieb sein, könnten sich etwa 35.000 Menschen gleichzeitig im Haus befinden, das entspricht der Bevölkerungszahl von Liechtenstein. Drei Monate wird es etwa dauern, bis die Fensterputzer die 120.000 Quadratmeter Glasfassade einmal geschrubbt haben. Und eine bescheidene Drei-Zimmer-Wohnung im 63. Stockwerk soll etwa 1,8 Millionen Dollar kosten. Und apropos Protz und Luxus: Giorgio Armani ist schon jetzt Hauptmieter des futuristischen Megalithen und eröffnet im Turm ein Hotel mit 175 Zimmern und Suiten, einem Spa und fünf Restaurants. So, genug der Zahlen. Ist Ihnen auch ein bisschen schwindlig?
Der höchste Turm der Welt also, na gut. Aber für wie lange? Denn die nächst höheren Gebäude sind bereits in Planung, teilweise sogar schon im Bau. Lustigerweise zum Beispiel in direkter Nachbarschaft, wiederum in Dubai: der „Nakheel-Tower“ sollte nämlich den Buri-Tower noch einmal um Längen übertreffen – genauer gesagt sollte er über einen Kilometer (!) in den Himmel ragen. Geld ist gerade in Dubai aber keines mehr da, also wurde der Nakheel-Bau vorerst gestoppt. Und so dürfte der Burij-Tower seine Halbwertszeit als höchstes Gebäude der Welt ein wenig verlängern können, bis vielleicht die Chinesen wiederum nachlegen…
Kommen wir aber wieder zurück zum Anfang meiner Geschichte, der Zukunft, die bereits heute beginnt. Denn warum erzähle ich Ihnen das alles? Weil seit vielen Jahrzehnten unter Zukunftsforschern der Streit besteht, ob Hochhäuser nun die Gebäude der Zukunft sind, oder nicht. Wie hoch ist hoch genug? Und warum sollten Menschen lieber in Stahl-Beton-Glas-Riesen wohnen wollen, als auf dem Land? Die Antwort liefert eine simple Überlegung: Wenn, und davon gehen die meisten Forscher aus, der Rohstoff Öl sich in der Zukunft verknappen wird, wird er auch teurer. Dann werden Produkte aus Mineralöl unerschwinglich für einen Großteil der Menschheit. Last-Minute-Flüge rund um den Globus zum Spartarif? Wohl kaum. Kosmetika aus Erdöl? Nur noch den Superreichen vorbehalten. Mit dem Auto jeden Tag aus der Stadt hinaus auf’s Land pendeln? Ein kaum bezahlbarer Luxus. Und das Häuschen im Grünen mit Öl beheizen? Schon gar nicht mehr finanzierbar.
Das bedeutet, das Gros der Menschen wird in die Stadt ziehen müssen, wo Verkehrswege zwischen Wohnung und Arbeit kurz sind und Elektro-Autos die Mini-Distanzen spielend bewältigen. Der Wohnungsbau muss demnach zwangsläufig in Wolkenkratzern resultieren. Viele Menschen auf relativ wenig Grundfläche unterzubringen kann gar nicht anders funktionieren. Hierzu gibt es übrigens einen großartigen Roman von Andreas Eschbach: „Ausgebrannt“. Ein spannender Endzeit-Thriller, der auf mitreißende Weise viele Fakten rund um den Motor unserer Welt vermittelt, nämlich das Erdöl. Unser Lesetipp Nummer eins zum Thema Zukunft! Wetten, danach wird Ihnen jedes Mal eine Gänsehaut über den Rücken laufen, wenn Sie Ihr Auto volltanken…
Wer also jetzt staunend Bilder der New Yorker Skyline betrachtet, oder im Fernsehen mutmaßt, der Gipfel der Katharsis sei mit dem Burj Tower erreicht, der verkennt die Lage: wir müssen Häuser aus dem Boden stampfen, die nicht nur an den Wolken kratzen, sondern sie überragen. Hochhaus-Kulissen aus Science-Fiction-Filmen wie Star Wars und Co. sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern kommende Realität, die ihren Anfang jetzt gerade in Dubai gemacht hat. Und wer dabei an den Übermut und grotesken Wahnsinn des Turmbau zu Babels denkt, hat trotzdem recht. Sie wissen schon, die biblische Geschichte von dem riesigen Bauwerk als Symbol des menschlich Machbaren, eine Mischung aus Größenwahn und humaner Katastrophe. Denn all die vielen Arbeiter und Bewohner in Babels Turm sprechen in der Erzählung keine gemeinsame Sprache mehr, sondern leben in Isolation nebeneinander her. Knapp 3000 Jahre später vermuten Wissenschaftler, das es in den kommenden Mega-Cities genau zu dieser Vereinsamung des urbanen Menschen kommen könnte. Zu- und Einwanderer durchmischen sich auf unheilvolle Weise (kleine Notiz am Rande: Dubai verzeichnet schon heute einen Migrantenanteil von über 90 %). Der kulturelle Mix könnte durchaus nicht befruchtend, sondern beschränkend wirken. Der einzelne zieht sich zurück in die Isolation virtueller Welten, lebt eine zweite Cyber-Existenz (Second-Life und Co.) und trifft sich mit virtuellen Freunden, die er in Wirklichkeit gar nicht kennt. In der Geschichte des Turmes von Babel kommt dieses Problem bereits vor, als babylonische Sprachverwirrung. Die Menschen verstehen einander nicht mehr, verlieren den Kontakt zueinander, obwohl sie auf so engem Platz nebeneinander leben. Die Folge: unverständliches Gebrabbel, ein Stimmengewirr und der Verlust der Individualität. Der Turm als Allegorie der menschlichen Angst, die Interaktion mit seinen Mitmenschen zu verlernen. Kompletter Blödsinn oder doch schon bald Realität? Lassen Sie mich auf diese Frage mit einem Lied-Zitat antworten:
Rah-rah-ah-ah-ah, Roma, roma-ma, GaGa ooh la la
Die Zeile kommt Ihnen bekannt vor? Sollte sie auch, denn das ist der Soundtrack unserer Zeit. Lady Gagas Refrain ihres aktuellen Hits: „Bad Romance“. Was einige für sinnloses Gestammel halten mögen, verstehe ich als musikalischen Aufbruch in die Zukunft. Kaum eine Künstlerin ist so bedingungslos modern und allen Kollegen weit voraus wie Lady Gaga – und sie zementiert damit den Anspruch, das sich folgende Generationen an die Ära um 2009/2010 erinnern werden. Die musikalische Lautmalerei (die übrigens ein unglaublicher Ohrwurm ist), bringt das, was ich mit diesem Text sagen möchte, in einer Zeile zum Ausdruck: ethnische Herkunft, Rasse, Hautfarbe, Religion, Sprache – all das wird verblassen in einer Zukunft, in der wir uns aus dem jetztigen Leben ausklinken werden, in Skyscraper umsiedeln, den totalen kulturellen Mix erfahren und einen Großteil unseres Lebens im Internet verbringen werden.
Lady Gaga IST Zukunftsmusik.
Das wird spätestens klar, wenn man das Video zu ihrer besagten Single „Bad Romance“ sieht: Wir bewegen uns in einem weißen Cube, in dem Menschen aus Isolations-Tanks auftauchen, futuristisch bekleidet (plötzlich erscheint es durchaus plausibel, dass Lackartige „Sprüh-Kleidung“ aus der Dose in Zukunft ein ernsthafter Marktfaktor werden könnte). Das Video ist zugleich makaber und verstörend, dabei aber ungeheuer sexy und sinnlich. Und es enthält alles, was eine handfeste Zukunftsvision braucht: Piercings und Tatoos? Fehlanzeige. Stattdessen werden Metall-Applikationen zum Trend werden (orakel ich jetzt mal so vor mich hin). Glänzende Schmuckteile, die man sich auf Stirn, Kinn oder Wangen klebt, wie es Lady Gaga und ihre Tänzer schon heute zeigen. Isolations-Tanks, in denen man ein Gefühl von Schwerelosigkeit erlebt, während man auf virtuelle Abenteuer-Streifzüge geht. Eine gelangweilte Oberklasse, die auf der Suche nach immer neuen Reizen ist, um sich von der „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ abzulenken.
Die Tanks, denen die konturlosen Tänzerinnen entsteigen, stehen im Video in einem „Bath Haus of Gaga“, das sich folgerichtig auch in jedem fensterlosen Keller dieser Welt befinden könnte, tief unter einem Mega-Skyscraper irgendeiner Millionen-Metropole. Wem all das jetzt zuviel wird, der sich mit der Idee von virtuellen Abgründen und futuristischen Wohnwelten noch nicht anfreunden kann, für den habe ich noch einen Lesetipp, nahezu genauso schlagzeilenträchtig wie der Burj-Tower oder Lady Gaga: Frank Schätzings aktueller Bestseller „Limit“. Das Buch ist zwar –typisch Schätzing – recht maniriert und arrogant geschrieben (Sympathie mit dem Autor mag kaum aufkommen), dafür erzählt der Roman auf über 1300 Seiten aber detailreich von einer Welt im Jahre 2025, in der schlichtweg alles vereint wird, was Zukunfts- und Trendforscher für die nächsten Jahrzehnte vorraussagen: Mega-Städte mit riesigen Turmbauten, auch im finanziell bankrotten Dubai (Zitat aus dem Buch: „Das ultimative Exponat architektonischen Phalluswahns, der Nakheel-Tower, ragte denn auch halb fertig aus dem bankrotten Dubai wie zur Bestätigung der Binsenweisheit, dass noch lange nicht der Größte ist, wer den Längsten hat.“). Überall schummerige Gaststätten, in denen man auf Liegen und in Tanks im Cyberspace abtauchen kann, und wenn man mag, dort sein ganzes Leben verbringen kann. Fliegende Mottorräder, Sprühkleidung, Metall-Applikationen im Gesicht, Autopilot-Taxen ohne Taxifahrer und Slums als Geschwüre der Großstadt, die zwar über fließend Wasser und genug Nahrung verfügen, sich aber von den reichen Städten dadurch unterscheiden, dass sie nicht digital vernetzt sind. Der Roman ist anstrengend und nicht gerade nerven-zerfetzend spannend, liefert aber die eingehendste und realistischste Zukunfts-Beschreibung, die ich je gelesen habe. Öl wird in Schätzings Darstellung übrigens nicht unerschwinglich teuer, sondern schlicht und ergreifend unwichtig. Denn ein neuer Rohstoff auf dem Mond wird den aufwändig auszubeutenden Ölreserven den Rang ablaufen. Unser zweiter Lese-Tipp in Sachen Zukunft: Frank Schätzings „Limit“. Wetten, Sie werden nach dem Lesen durch die Straße gehen, in der Sie wohnen und sich fragen, wie es dort in 20 Jahren aussehen mag…
[Leider ist das Video mittlerweile nicht mehr verfügbar.]
Aber, gestatten Sie mir noch ein Wort zum Schluß: Auch wenn Lady Gaga und der Burj-Tower in Dubai ein faszinierendes Bild zeichnen, wohin sich unsere Welt in den nächsten Jahrzehnten entwickeln könnte – eines steht fest: Die Zukunft wird teuer. Und nicht jeder wird sie sich leisten können. So wie das nahezu bankrotte Dubai, dem nun das Nachbarland Abu Dhabi zur Hilfe eilen mußte und mit 10 Milliarden Dollar als Notkredit aushalf, um die dringendsten Gläubiger des Staates zu besänftigen. Zum Dank wurde der Burj-Tower dann auch in letzter Minute vor der Eröffnungsfeier noch umbenannt – in „Burj Khalifa“, zu Ehren des Scheichs von Abu Dhabi, Khalifa bin Said al-Nahjan. Und Lady Gaga? Ergeht es nicht viel besser. Ihre derzeitige „Monster Ball“-Tour durch Amerika ist zwar Halle für Halle, Abend für Abend ausgebucht, die englische „Sun“ berichtet aber, dass sie dennoch rote Zahlen schreibe. Schuld seien die immensen Kosten der Bühnenshow, die bisherigen Verluste der Show werden mit weit über zwei Millionen Euro angegeben. Nunja, wie gesagt: Die Zukunft ist teuer. Aber wer wird bei so visionären Dingen wie einem Wolkenkratzer in der Wüste oder der Tournee eines Popstars schon auf’s Geld schauen? Und vielleicht sollten wir alle schon mal ein bisschen sparen, damit wir uns die Zukunft auch wirklich leisten können.
Denn stellen Sie sich bitte mal vor, wie doof wäre denn das: die Zukunft beginnt jetzt, aber keiner kann sie bezahlen…
– Constantin Herrmann
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