Eine englische Matrjoschka – die Nouvelle Edition von Miller Harris.

Miller Harris ist wohl neben Jo Malone der bekannteste „neuere“ Britenexport was Parfums und Körperpflege angeht – sieht man mal von den alteingesessenen Manufakturen wie Floris, Penhaligon’s und Creed ab.

Deren Kreationen sind für mich das, was ich olfaktorisch betrachtet als typisch englisch bezeichnen würde. Vor allem Creed ist für mich Sinnbild dessen: Sehr gut komponierte, harmonische Düfte, immer sophisticated, Understatement-affin und wohltuend zurückhaltend. Echte Gentleman und -woman-Düfte ergo. Klassisch, zeitlos und zu fast allen (An)Gelegenheiten tragbar.

Ganz anders also als zum Beispiel französische oder auch italienische Parfums: In typisch englischen Düften wird man meist vergebens nach diesen kleinen, dreckigen Ecken suchen, diesen finsteren Winkeln, die dem Lichte niemals zugänglich waren, nach groben Kanten, die herausfordernd provozieren – von einigen Ausnahmen mal abgesehen (hier denke ich z.B. an Creeds Angelique Encens).

So sehr ich auch die Herausforderung liebe und deshalb ein großes, großes Herz für all die Düfte habe, die dunkle Geheimnisse in sich tragen, ob ihrer Ambivalenz anecken und/oder vor Kanten nur so wimmeln – genauso schätze ich auch jene andere Parfumerie, jene anderen Düfte, ausbalanciert, meist hellerer Natur und in sich rund.

Miller Harris und Jo Malone gehören wie bereits erwähnt zu den neueren englischen Firmen und erfreuten sich in den letzten Jahren einer außerordentlichen Beliebtheit. Im Gegensatz zu Jo Malone, in deren Sortiment aufgrund ihres Layerkonzeptes (die Düfte sind zum Kombinieren und übereinander Tragen gedacht) eher monothematische Düfte vorherrschen, sind die Düfte der Miller Harris Linie eher komplexerer Natur – jedoch sind sie allesamt eine gelungene Gratwanderung zwischen typisch englischer Parfumeurskunst und einer erfrischenden Prise Modernität.

Bekannt ist von Miller Harris primär die „normale“ Linie – viele Duftfreunde wußten bzw. wissen gar nicht, daß es auch eine Linie in der Linie gibt, die Nouvelle Edition. Gleich einer Matrjoschka – deshalb auch der Titel – offenbaren sich hier noch etliche weitere Düfte, die anfänglich nur den Direktkunden von Miller Harris vorbehalten waren, da man sie lediglich in deren Shops in England kaufen konnte.

Ein Verlust, den es zu beheben galt – so hat AusLiebezumDuft nun seit einiger Zeit auch die Nouvelle Edition im Angebot.

Grund genug für mich, die Kollektion nochmals unter die Lupe beziehungsweise Nase zu nehmen.

Beginnen möchte ich mit Le Petit Grain, der den CEW-Award 2009 gewann in der Nischensparte. Le Petit Grain ist eine Hommage an die großen Colognes, ein Tribut, wie Miller Harris verlauten läßt – und ja, diese Colognenähe vermag ich durchaus zu entdecken. Allerdings handelt es sich bei Le Petit Grain keinesfalls um eines dieser zahlreichen, zu recht vergessenen schnarchigen Eau de Cologne-Wässerchen, ganz im Gegenteil. Der Duft beginnt prickelnd zitrisch-herb und offenbart alsbald auch einen frisch-grünen Kräuterreigen, der für hintergründig-aromatische Würze sorgt, während sich zart-würzige Lavendelnoten dazugesellen. Im Duftverlauf beruhigen sich Hesperiden und Kräuterherbe zugunsten floraler Noten des ganzen Zitrusfrüchterepertoires: Neroli und Orangenblüte sind mit von der Partie, darüber hinaus dominiert nun Namensgeber Petitgrain, ein Öl aus den Blättern, Zweigen und (unreifen) Früchten der Pomeranze oder Bitterorange, das hier die ganze grüne Frucht samt Blättern zum Vorschein bringt. Die Basis ist weich abgerundet durch Moschus und Patchouliblätter.

Die Ingredienzen: Kopfnote: Orange, Angelika (Engelwurz), Orangenblüte, Bergamotte, Zitrone, Rosmarin, roter Thymian, Estragon, Lavendel; Herznote: Petitgrain, Neroli; Basisnote: Eichenmoos, Vetiver, Patchouli.

Was soll ich sagen – ich persönlich finde, daß Miller Harris ein Händchen für Hesperiden haben. Schon Tangerine Vert und Citron Citron aus der normalen Kollektion empfinde ich als sehr gelungen, nicht anders ist es mit Le Petit Grain. Mich erinnert der Duft von der Machart her ein bißchen an das noch komplexere und wunderschöne, aber leider vollkommen unterschätzte L’Eau Neuve von Lubin, das ich ebenfalls jedem nur ans Herz legen kann: Beide Düfte sind facettenreiche zeitlose Eau de Cologne-Interpretationen und insofern stilsichere Begleiter und Immergeher. Wobei gerade im Sommer für mich das Vorhandensein „vernünftiger“ Hesperidendüfte ein Muß ist – so könnte durchaus auch Le Petit Grain nächstes Frühjahr bei mir vielleicht noch Einzug halten.

jasmin1Jasmin Vert – eine Erinnerung an Grasse, wie bei Miller Harris zu lesen, und, „a riot in the marché aux fleurs“, ein Aufruhr im bewährten Blumenmarkt. Diese Formulierung hatte es mir angetan, mal schauen, dachte ich, was damit gemeint ist, was davon übrig bleibt… Und, durchaus, Jasmin Vert ist jetzt nicht unbedingt ein klassischer Jasminduft, mit denen ich ja, wie ich ehrlich gestehen muß, häufig meine Probleme habe. Der Auftakt präsentiert sich kurz fruchtig-zitrisch, um dann umgehend überzugehen zu seiner Hauptfigur, dem Jasmin. In seiner Ausprägung wenig indolisch (und insofern auch kein Kopfwehkandidat!) ist er cremig-weiß und süßfloral, des weiteren offenbart er Noten, die mich recht deutlich an den Duft guter Körperlotion oder vielmehr -creme erinnern. Der Duft riecht, auch im späteren Verlauf nach – prächtig eingecremter Haut. Diese Impression wird unterstützt durch Orangenblüten, weich abgefedert von einer Patchouli-Eichenmoos-Basis.

Die Ingredienzen: Kopfnote: Bergamotte, Bitterorange, Rosmarin, Muskatellersalbei; Herznote: Orangenblüte, türkische Rose, Florentiner Iris; Basisnote: Patchouli, Eichenmoos, Tannenbalsam.

Für mich ist Jasmin Vert ein schöner, sehr tragbarer Jasminduft, der im Gegensatz zu vielen anderen Vertretern seiner Gattung sehr wohl ganzjährig tragbar ist. Der Jasmin ist hier wohldosiert eingesetzt und entwickelt demgemäß nicht die im eigene indolische Facette, die in manchen Düften fast schon zuviel des Guten sein kann respektive annähernd fäkale Tendenzen entwickeln kann.

Morgen und übermorgen geht es weiter mit den restlichen Miller Harris Kandidaten der Nouvelle Edition – einen schönen Tag noch und liebe Grüße,

Ulrike.

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Ulrike Knöll Verfasst von:

Meine Liebe gilt seit jeher dem Ästhetischen: Mir geht das Herz auf bei jeglichen Dingen, die durch Form, Funktionalität, Design und Herzblut zu überzeugen wissen. Und wenn dann noch ein Quäntchen Historie dazu kommt, ist es meist ganz um mich geschehen … Ich bin der Nischenparfümerie mit Haut und Haaren verfallen und immer auf der Suche nach dem – oder vielmehr: einem – neuen heiligen Gral. Diese Suche sowie mein ganzes Interesse und meine Begeisterung möchte ich gerne mit Euch teilen!

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