Der ungebrochene Siegeszug des Nervengifts Botulinumtoxin treibt wundersame Blüten, die man gut finden kann oder auch nicht. Diskutiert mit uns!
Bars und Clubs locken gerne mit „Happy Hours“. Mehr Cocktails trinken, weniger zahlen. Finde ich klasse. Aber vor ein paar Wochen stand ich vor einem Solarium, das groß plakatiert mit seiner eigenen „Happy Hour“ warb. Cocktails im Bräunungsstudio? Falsch. Ich gebe zu, blöder Gedanke meinerseits – wer bitte würde schon Samstag abend ein paar Drinks im Solarium kippen..? Auf meine Nachfrage wurde mir aber erklärt, dass die Happy Hour sich auf die Benutzung der Sonnenliegen beziehe. In einer bestimmten Zeitspanne darf sich der Besucher zum gleichen Preis doppelt so lange bräunen. Aber, so die Verkäuferin mit dem heiteren Leder-Teint weiter, wenn ich Interesse hätte, gäbe es noch etwas ganz Neues: Die Sonnen-Flatrate. Ich müsste Mitglied für ein Jahr werden, dann könne ich jeden Tag kommen und auf dem Grill liegen. Der monatliche Mitgliedsbeitrag wäre da ganz schnell wieder „drin“, denn die meisten Mitglieder kämen jeden Tag und bezahlen umgerechnet so nur einen Euro für 30 Minuten Solarium. Jeden Tag! 30 Minuten!!! Vor Schreck wurde ich so blass, dass die Solarista (oder wie auch immer man diesen Job nennt) mich wahrscheinlich am Liebsten gleich auf ne Stunde in den Turbo-Bronzer 3000 verfrachtet hätte. Und bevor jemand fragt: Nein, ich bin natürlich kein Mitglied geworden. Solarien machen mir nämlich Angst. Und das zweifach. Einmal wegen der verheerenden Wirkung auf die Haut, und zweitens, weil ich noch nie jemanden gesehen habe, der regelmäßig ins Solarium geht und dabei gut aussieht. Den Teint gegerbt wie ein Broiler aus der Imbiß-Bude, das entspricht nicht gerade meinem Schönheitsideal. Folgerichtig habe ich die Flucht ergriffen.
Aber immer, wenn man denkt, schlimmer geht nimmer, kommt es doch noch knüppelhart. Denn ein paar Tage später flatterte mir diese Werbung ins Mail-Postfach (geschickt getarnt als Presse-Mitteilung):
„Nur 39 Euro im Monat – Dauerhaft Faltenfrei mit der ersten Botox-Flatrate“
Der Beauty-Redakteur in mir ist erstmal entsetzt. Auf den ersten Blick. Denn medizinische Leistungen sollten generell nicht zu Dumping-Preisen angeboten werden. Ich finde das unseriös. Aber ich gucke mir das Angebot natürlich näher an. Besagte Flatrate gibt es in mehreren Varianten. Die billigste für 39 Euro im Monat beinhaltet die Behandlung einer Gesichtsregion, zum Beispiel Zornesfalte, Krähenfüße oder Stirn, über ein Jahr, so oft man eben die Behandlung benötigt. Die teuerste Variante für 99 Euro pro Monat soll gleich alle Falten in den drei Regionen regelmäßig wegspritzen. Als ich das lesen musste, grub sich eine Zornesfalte in meine Stirn, die alles Botox der Welt nicht wegbekommen hätte. Wer macht denn so etwas?! Ich bin entsetzt. Natürlich ist mir bewusst, dass immer mehr Frauen begeistert sind von der Möglichkeit, sich Falten aus dem Gesicht wegzaubern zu lassen. Laut einer Studie des Herstellers Allergan spielen in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und England zusammen über 5 Millionen Frauen mit dem Gedanken, sich in Zukunft Botox spritzen zu lassen. Und die Männer haben die Aufholjagd bereits begonnen. Nichts destotrotz bin ich nun mal gegen Botox. Nicht wegen der bestehenden Gefahr, die das Nervengift mit sich bringt. Man hört ja immer wieder von Todesfällen und anderen drastischen Nebenwirkungen. In den USA nennt man Frauen, die unglücklicherweise dank Botox nicht mehr richtig lächeln können, oder denen Speichel aus den Mundwinkeln fließt hämisch „Botox-Babes“. Aber abgesehen davon finde ich Botox nun mal ganz persönlich nicht den besten Weg, seine Schönheit zu konservieren. Lassen sie mich das erklären: Ich hatte einmal eine Kollegin, die großer Fan von jeder Form der Unterspritzung und Botox-Therapie war. Regelmäßig war der Unterschied zu sehen zwischen „Frisch-Gespritzt“ und „Schon-wieder-Normal“. Kam sie vom Arzt, sah sie aus wie ein erschrecktes Hündchen, das in die Scheinwerfer eines herannahenden Lastzuges starrte. Die Augenbrauen waren wie eingefroren, die Mundpartie irgendwie unnatürlich aufgepolstert. Nach ein paar Wochen normalisierte sich der Gesichtsausdruck langsam wieder, aber prompt folgte natürlich die nächste Behandlung. Schön war das nicht, und der Unterschied so augenfällig, dass sich die Kollegen darüber lustig machten. Mit Würde hat das nichts zu tun. Zumal man an vielen Botox-Junkies sehen kann, wie unnatürlich ein Gesicht wirken kann, wenn es sich regelmäßig lahm legen lässt. Nunja, Suum Cuique, wie der Lateiner sagt. Jeder, wie er es mag. Hollywood-Regisseure sieben bei Castings jedenfalls bereits bei der Besetzung ihrer Filme solche maskenhaften Gesichter aus. Und nun stellen Sie sich einmal vor, wie viel Emotionen ein Gesicht noch ausdrücken kann, wenn es sich ein Jahr lang regelmäßig per Flatrate-Spritze lähmen lässt.
Kleine Geschichte des Botox: Dosis Facit Veneum – Die Dosis macht das Gift.
Botulinumtoxin A , wie es eigentlich heißt, ist ein Bakteriengift, das erst einmal Lebensmittel-Vergiftungen verursachen kann. 1817 wurde von einem schwäbischen Arzt diese Vergiftungserscheinung erstmals wissenschaftlich notiert. Der Name leitet sich vom lateinischen „botulus“ für Wurst ab. Denn die Erkrankungen in Zusammenhang mit dem Nervengift traten häufig in Verbindung mit Wurst- und Fleischkonserven auf. Das Bakterium, das die Vergiftung „Botulismus“ hervorruft, gedeiht nämlich hervorragend in nichtsaurem, sauerstoffarmem Milieu. Stichwort: Konservendose! Da Anfang des 19. Jahrhunderts Konserven immer beliebter wurden (ab 1810), die Sterilisierungsmöglichkeiten aber noch nicht besonders weit entwickelt waren, überlebten die Sporen des „Clotridum botulinum“ das Erhitzen der Blechdosen oft und führten dann beim Genuß der Wurst zu Übelkeit, Muskellähmung, Doppeltsehen (durch die Lähmung der Augenmuskulatur) und Halssteifigkeit. Im Extremfall stirbt man an Atemlähmung. Seit Mitte der 1980er Jahre wird das Bakteriengift aber auch erfolgreich im medizinischen Bereich gegen verschiedene Erkrankungen verabreicht, zum Beispiel gegen Lähmungen im Gesichts- und Halsbereich, gegen Muskel-Spastiken, gegen Migräne oder übermäßiges Schwitzen. Seit 2006 ist Botox in Deutschland offiziell zur kosmetischen Behandlung zugelassen, zur Glättung der ungeliebten Mimik-Falten, da Botox (das brauche ich wohl nicht mehr zu erklären) in der Lage ist, einen Muskel in seiner Bewegung einzuschränken, indem es die Ausschüttung des Neurotransmitters „Acetylcholin“ hemmt. Dadurch wird die Reizweiterleitung vom Nerv auf den Muskel sozusagen abgeschaltet. Simpel, aber effektiv. Ganz neu entdeckt ist übrigens die Möglichkeit, auch Haarausfall mit Botox zu behandeln. Denn Stress und die damit einhergehende Verspannung der Kopfhautmuskulatur soll zu einer lokalen Unterversorgung der Haarwurzeln mit Sauerstoff führen, und dadurch das Haar ausfallen. Botulinumtoxin könnte dann die Sauerstoffversorgung der Wurzeln wieder ermöglichen, der Haarausfall (sofern er denn überhaupt aus dem beschriebenen Problem resultiert) soll gestoppt werden können. Naja. Sie sehen, Botox kann einiges. Erstaunlich, welche Möglichkeiten in so einem kleinen Bakterium schlummern.
Das dachte sich übrigens auch die Omu Shinrikyo, oder besser bekannt als Aum-Sekte. Die japanisch-buddhistische Gruppierung, die 1995 durch den Giftgas-Anschlag in der Tokioter U-Bahn weltberüchtigt wurde, plante ihren Terrorakt nämlich ursprünglich ebenfalls mit Botox. Der Gedankengang ist einfach nachzuvollziehen: Da Botulinumtoxin eines der stärksten, bekannten Gifte ist, könnte man es in hoher Konzentration ja als Biokampfstoff einsetzen. Als Pulver über die Luft verbreitet, würde es viele Menschen das Leben kosten, aber da es an der Luft schnell zerfällt, nach ein paar Tagen restlos verschwunden sein. Aus diesem Grund unterliegt die Botox-Produktion auch dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Bei der Landung in der Normandie hatten die amerikanischen Truppen im zweiten Weltkrieg übrigens auch ein Botox-Gegengift geladen. Aber das sei nur erwähnt, um zu verdeutlichen, dass man es auch bei einer rein kosmetischen Behandlung mit einem der stärksten, bekannten Gifte der Welt zu tun hat.
Wieso bin ich nun aber gegen eine „Botox-Flatrate“?
Natürlich, kosmetische Eingriffe sind teuer. Rein praktisch ist also eine erschwingliche Flatrate, die es sozusagen „Jedermann“ ermöglicht, sich mit Botox zu behandeln erst einmal begrüßenswert. Schönheit sollte kein Privileg der Reichen sein, klar. Aber: Mein Verständnis von Schönheit beinhaltet nicht, sein Gesicht maskenhaft „einfrieren“ zu lassen. Natürlich gibt es Ärzte, die ihr Handwerk perfekt verstehen und mit Botox so umgehen können, dass man nicht unterscheiden kann, ob ein Gesicht behandelt wurde, oder nicht. Falten werden nicht ausradiert, sondern nur minimiert. Und wenn eine Patientin oder ein Patient nicht zu oft zum Nachspritzen geht, muss sie – oder er – auch nicht befürchten, dass ganze Muskelpartien dauerhaft erstarren. Wenn das kleine Wörtchen „Wenn“ nicht wäre. Denn genau hier liegt das Problem. Psychische Abhängigkeit. Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt, wie schnell und einfach Falten verschwinden können, möchte man diesen Effekt immer wieder erleben. Man beginnt einen hoffnungslosen Kampf gegen die natürliche Veränderung seines Gesichtes. Dabei finde ich ganz persönlich Lachfältchen um die Augen sehr charmant. Eine Nasolabialfalte, also die feine Linie zwischen Mundwinkel und Nase, gibt einem Gesicht oft erst das gewisse Etwas.
In der Psychologie gibt es ein Wort, vor dem ich mich grusele: „Dysmorphobie“. Menschen, die an dieser Erkrankung leiden, nehmen Ihren Körper anders war. Sie meinen, einen Defekt zu erkennen, wo andere vielleicht gar nichts Besonderes sehen können. In geringem Maße trifft das auch auf mich zu. Ich ärgere mich immer ein wenig über meine grobporige Haut und teste mit Begeisterung ständig alle neuen Cremes gegen große Poren. Aber im Grunde weiß ich, dass die Haut nun mal etwas Lebendiges ist, und nicht die makellose Oberfläche eines geschliffenen Marmorblocks haben kann. Und genauso verhält es sich mit Falten und Linien. Sie spiegeln den Charakter und die Erfahrungen eines Menschen wider und sehen oft einfach schön aus. Wer anfängt, sie als Defekt zu sehen, der mit allen Mitteln behoben werden muss, hat bereits den ersten Schritt zur Dysmorphobie getan. Er gewöhnt sich z.B. an eine glatte Stirn und will als nächstes eine geglättete Augenpartie. Und die Fältchen rund um den Mund müssen doch auch nicht sein. Gleichzeitig gewöhnt er sich an das reduzierte Muskelspiel in seinem Gesicht. Er sieht sich eben anders, als andere ihn betrachten. Beispiele wohin diese gestörte Selbstwahrnehmung führen kann, gibt es viele, von Schlauchbootlippen bis zu fast monströs aufgepolsterten Wangenpartien. Und im Grunde leiden auch viele Solariumgänger bereits an diesem Phänomen. Sie finden sich schön, wenn sie tiefgebräunt sind und meinen, mit regelmäßigen Bräunungs-Sitzungen einen gesunder Urlaubs-Teint zu erhalten, während ihre Mitmenschen sie auf Kilometer als Sonnenbank-süchtig erkennen können und mitleidig belächeln. Und ich finde nun mal all das nicht schön, sondern übertrieben. Eine vernünftige Anti-Aging-Creme, die der Haut Ausstrahlung schenkt und Fältchen bereits in der Entstehung minimiert, wirkt allemal gelassener und natürlicher, als der Weg zur Botox-Spritze. Ein schöner Lippenstift wirkt sinnlicher als unterspritzte Riesenlippen. Und ein Hauch echter Sonnenbräune nach dem Urlaub sieht strahlender und neiderregender aus als jeder Solarium-Tan. Aber das ist wie gesagt nur meine Meinung.
Mich interessiert aber, was Ihr denkt! Bitte nutzt die Kommentar-Funktion und diskutiert mit uns, was Ihr von der Botox-Flatrate haltet. Ich bin gespannt!
Euer Constantin Herrmann
(Quelle: Beitragsbild)
Das krankhafte Bedürfnis sich operieren zu lassen, oder eben seinen Körper zu ändern – sind Themen die oft ausgelassen werden in diesem Beauty-Kontext, weil sie sehr heikel sind. Ich kenne vermeinltich perfekte Frauen, dünn wie nix, die die Obsession haben sich die Cellulite Delle am Size 0 Popo wegzumassieren, bügeln, cremen… es wird alles versucht.
Davon abgesehen dass man Botox-Behandlungen bei einem Facharzt (Ich meine damit einen richtigen ARZT!!) machen sollte der sich auf Schönheitsbehandlungen spezialsiert hat, ist das immer noch ein Eingriff mit potentiellen Nebenwirkungen die nicht so witzig sind. Das wird einfach unterm Tisch fallen gelassen.
Schön sein ist harte Arbeit, aber auch Ausstrahlung – und die hat so ein gebügeltes Gesicht nun mal nicht.
…ach ja, die einzig sinnvolle Flatrate wäre die beim Friseur, und die bekommt man ja als treuer Kunde quasi unausgesprochen 😉
Ihre Arbeitskollegin ist wohl nicht beim einem wahren Könner der plastisch ästhetischen Chirurgie, wenn sie immer mit einem unbeweglichen, maskenhaften Gesicht aus der Behandlung kommt. Da übertreibt es der Arzt aber deutlich! Mit Botox wird ein schönes natürliches Ergebnis erzielt, wenn man nur wenig, dafür aber in kürzeren Zeitabständen unterspritzt. So kann man seine Mimik noch vollständig bewegen, wenn man dies will, aber die „unbewußten“ Falten (z.B. beim Zusammenkneifen der Augen in der Sonne) können nicht so tief werden. Ich weiß wovon ich spreche – ich habe nämlich selbst eine solche Flatrate gebucht, und meine Freundinnen haben bis heute nicht gemerkt, dass ich irgendetwas habe machen lassen. Nur jünger und erholter sehe ich aus. Bewegen kann ich alles! Also, nicht pauschal über einen Kamm scheren und vor allem nicht von Dingen reden, von denen man keine Ahnung hat!!!