Heute möchte ich Euch einen Gastbericht präsentieren, den wir von Dr. John King aus England bekommen haben. Dr. King ist, wie wir auch, passionierter Duftliebhaber und in etlichen Duftforen im Internet aktiv. Er kontaktierte uns vor einiger Zeit wegen des Gravel Colognes, das wir im Programm haben und das er gerne rezensieren wollte – diese Möglichkeit haben wir ihm gerne gegeben. Im Gegenzug dazu überließ er uns nicht nur sehr schöne, eigens angefertigte Fotos von ebenjenem Duft, sondern auch eine Rezension samt eines kleinen Abrisses seiner persönlichen Duftgeschichte. Der Text ist ein Vorgeschmack auf eine Reihe an Artikeln, die er im amerikanischen Sniffapalooza-Magazine veröffentlichen wird – ich habe ihn Euch hier (leicht gekürzt) übersetzt:
„Mein Interesse an Düften begann sehr früh, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich wuchs in einer typischen Eisenbahnerstadt auf, die zu der Zeit der Dampfeisenbahnen ein wunderbarer Ort voller typischer Gerüche war. So ist auch meine lebhafteste Erinnerung an meine Jugend jene an diesen Tag, an dem ich in einer riesigen Güterlokomotive neben dem Fahrer in dessen Kabine mitfahren durfte – ein ehrfürchtig-inspirierendes Erlebnis für mich – auch, was Gerüche anging. Der Fahrer erzählte mir, er könne genau sagen, wann die Lokomotive mit voller Kraft und maximalem Dampfdruck fahre – an dem Geruch, dieser ändere sich nämlich, er bekäme eine Art nussiges Aroma.
Das war ungefähr die Zeit, in der ich verrückt nach Düften wurde. Im Alter von 14 stellte ich bereits Aftershave für meine Freunde sowie Haarcreme für meine Lehrer her. Mit 18 Jahren dann begann ich ein Studium der Chemie an der Leeds University im Norden Englands. Auch wenn der Studiengang sehr akademisch gehalten war und Parfums deshalb kaum erwähnt wurden, fand man mich regelmäßig an den Wochenenden in der örtlichen technischen Bibliothek – eifrig vertieft ins Lesen der Dragoco Reporte. [Anmerkung: Dragoco war ein Aromastoffhersteller, der 2003 mit Haarmann & Reimer fusionierte und zu Symrise wurde – Ulrike.] In dieser Zeit wurden meine eigenen Studien sehr großzügig unterstützt von einigen großen Firmen, die mir Proben zusandten: Haarmann & Reimer war eine davon, mein Favorit, sowie Robertet aus Grasse.
Nach meinem Studienabschluß versuchte ich natürlich, einen Job in der Parfumindustrie zu bekommen – leider gänzlich erfolglos. So entschied ich mich zu einer Promotion, einfach um auf der sicheren Seite zu sein und einen angemessenen Job finden zu können. Aber ich setzte parallel dazu meine persönlichen Parfumstudien fort, zog nach London und erreichte einen Abschluß in diesem Bereich. Ich war mehr oder weniger ein Dauerstudent, das gab mir allerdings einen guten Hintergrund, eine gute fachliche Basis um Studien zur Thematik des therapeutischen Effekts von Düften durchzuführen, während ich für den British National Health Service arbeitete.
Obgleich ein Großteil meiner Arbeit die „herkömmliche“ Psychiatrie betraf, war die aromatherapeutische Seite die, die am meisten Spaß gemacht hat und auch das meiste Interesse bei anderen weckte – ich habe zahlreiche Radio- und Fernsehsendungen über die Vorteile von Düften gemacht, nachdem ich der Warwick University Research Group beigetreten bin. Diese behandelt den Nutzen von Düften im Zusammenhang mit deren beruhigenden Effekten sowie deren Fähigkeit, Erinnerungen zu wecken. Viele Firmen am Markt unterstützen dies nach wie vor sehr – bis heute bin ich John Ayres von Givaudan sehr dankbar und schulde im etwas dafür, daß er es mir ermöglichte, mich nach Genf in den Hauptsitz Givaudans zu schicken für ein persönliches Studienprogramm.
All das ist lange her – die 80er und 90er liegen nun schon etwas zurück – aber mein Interesse an Parfums ist nach wie vor ungebrochen. Wie andere „Fragrance Afficionados“, andere Duftverrückte bin ich lebenslang süchtig. Eine gute Nachricht ist deshalb, das die Duftforschung an der Warwick Unversity mittlerweile wieder Aufwind bekommen hat und sich einer Wiederbelebung erfreut, die diesbezügliche Reputation der Universität sowie die Bewertung ihrer Forschungsarbeit auch stetig besser geworden ist. In Zusammenarbeit mit einigen Kollegen habe ich gerade erst eine Studie erarbeitet, die sich um den therapeutischen Nutzen von Aromen dreht, welche wir demnächst beginnen werden.
In der Welt der Parfums tut sich so viel, daß man sehr gut organisiert sein muß um informiert zu bleiben. Ich halte mich auf dem Laufenden durch eine Mitgliedschaft in der British Society of Perfumers und ich lese ständig viele Webseiten rund ums Thema Duft, nur um auf den neuesten Stand zu kommen betreffs der ganzen Neuerscheinungen – ein fast unmögliches Unterfangen! In der Zeit, die mir ansonsten übrig bleibt, genieße ich es, meinen alten Citroën CX zu fahren (der auch einen sehr charakteristischen Geruch hat) und spiele Gitarre und Banjo, unter anderem auch in Pubs/Kneipen.
Ob ich gerne professioneller Parfumeur geworden wäre? Manchmal, obschon ich doch mehr Glück und mehr Erfolg als die meisten damit hatte, diese Leidenschaft als privates Hobby zu verfolgen. So ist die Parfumeurskunst für mich auch aktuell und spannend geblieben: Immer wenn ich für meinen Job zwischen verschiedenen Kliniken pendele, fliegen zahllose Duftstreifen in meinem Auto wild verteilt herum.
Allerdings gibt es auch einige Dinge, die ich bereue – eines davon ist, daß ich nie Deutsch gelernt habe. Ich habe mir während einiger Aufenthalte und Besuche in Deutschland zwar einige Worte und Phrasen angeeignet, fände es aber toll, wenn ich es besser sprechen könnte. Sollten demnächst auch in Deutschland Duftseminare organisiert und veranstaltet werden – ich bin der erste, der sich dafür anmelden wird.
Sniffapalooza und ich…
Vor einigen Jahren stieß ich auf Sniffapalooza, eine Gruppe von Parfumenthusiasten, die, ursprünglich aus den USA kommend, wo sie bereits über ein riesiges Netzwerk verfügen, mittlerweile auch Nachfolger in Europa haben. Ich wurde Mitglied. Nun hat Sniffapalooza auch ein Internetmagazine, sniffapaloozamagazine.com [siehe Blogroll – Ulrike.], zu dem ich jetzt eine sechs Artikel umfassende Serie namens „Perfumes of the Land and the Sea“ beisteuern werde.
In diesen Artikeln „verteidige“ ich eine kleine Anzahl rarer Schätze – Produkte, die auf eine Art obskur sind, nicht mehr erhältlich, nicht mehr in Mode sind oder drauf und dran, vom Markt zu verschwinden. Wahrscheinlich gehe ich damit nicht konform mit der Zeit und dem Zeitgeist, aber das stört mich nicht. Die Welt der Düfte ist ein Bereich der individuellen Präferenz, des eigenen Geschmacks und ebenjener ist nicht notwendigerweise deckungsgleich mit dem neuesten Duft, dem über die Maßen gehypten, den Celebrity-Düften oder auch den von den Konsumenten als Gewinner gewählten Düften irgendwelcher Wettbewerbe.
Das Rezensieren von Düften ist nie einfach da man sich immer vor Augen halten muß, daß die individuellen Eindrücke, die eigene Phantasie und Vorstellung nicht unbedingt von jedermann geteilt wird. Zum Beispiel Luca Turin (der Autor von „Perfumes – The Guide“), einer der ehrlichsten, eloquentesten und geistreichsten Duftkritiker – er ist wie ich Wissenschaftler, und ich schaue immer danach, was er über einen Duft zu sagen hat. Aber ich hoffe auch immer, daß ich nichts von ihm zu jenem Parfum finden werden, da ich normalerweise seine Ansichten überhaupt nicht teilen kann.
In der aktuellen Oktoberausgabe des Sniffapalooza-Magazins habe ich das italienische Männercologne Silvestre rezensiert, eine versteckte Perle aus den 50er Jahren, schwer zu finden, so wie es scheint nur noch über Ebay Deutschland.
Danach kommt das Gravel Cologne an die Reihe. Ebenfalls in den 50er Jahren kreiert, erinnert es mich an die Ära der Dampflokomotiven, ein nostalgischer Ausflug in eine verschwundene Zeit. „A Man’s Cologne“, „Der Duft eines Mannes“, wie das Label sagt – dem stimme ich vollkommen zu. Bravo, darauf stoße ich an, und werde mich nicht darum scheren, was das aktuelle Trendgeschwafel über Unisexparfums erzählt. Ja, klar, wir mögen in einer Unisex-Welt leben, in der Männer im Haushalt helfen und nach den Babys schauen. Aber manche Dinge, wie zum Beispiel das Fliegen eines Kampfjets oder das Schaufeln von Kohle in die Feuerkammer – die werden einfach immer Männerjobs bleiben.
Meine Gravel-Rezension ist sehr subjektiv. Wie viele andere Leute werden schon an Dampfzüge denken in diesem Zusammenhang? Ich habe keine Ahnung, denke aber, ich konnte auch einige Akzente alten Leders erkennen. Sind diese vielleicht einfach nur Halluzination gewesen? Ich hoffe nicht, es könnte sonst peinlich werden für einen Psychiater wie mich. So bitte lest meine Rezension im Sniffapalooza Magazin und beruhigt mich wegen des Leders oder teilt wenigstens meine Irrungen und Wirrungen. Ich hoffe nur, das ich nicht komplett daneben liege damit ;)“
Soviel zu Dr. King – an dieser Stelle nochmals ein dickes Dankeschön! – , dessen Texte in Englisch sehr viel vergnüglicher sind als meine dilettantischen Übersetzung(sversuche) 😉
Ich kann sie nur empfehlen, hier der Link zum ersten Artikel im letzten Sniffapalooza Magazin vom 1.10. und hier der Link zu seiner Gravel-Rezension im aktuellen Sniffapalooza-Magazin.
Einen guten Start in die Woche und viele liebe Grüße,
Ulrike.
Good „old“ John.Schön von ihm hier mal etwas zu lesen. Ich wollte ihn immer mal kontaktieren wegen des Parfumwochenendes in den Scottish Highlands. Er war im letzten Jahr Teilnehmer beim Sniffa in Florenz.Während der Woche erzählte er mit absoluter Begeisterung von eben diesem Parfumwochenende oder einer Parfumwoche die er, in Zusammenarbeit mit anderen Duftbegeisterten wenn ich mich recht erinnere plante, bzw. dessen Umsetzung er anstrebte. Dieses Jahr in London war er beim Sniffapalooza leider nicht mit dabei. Hatte mich sehr gewundert. Und ich fand es auch sehr schade.
Als ich Silvestre das erste Mal grad eben las war mein Gedanke gleich bei Pino Sylvestre. Blöd, ist doch die schreibweise eine Andere. Und Pino Sylvestre erschien meines Wissens auch erst später. Ich denke mal mein „brain“ hat mich da ein wenig fehlgeleitet da ich persönlich viele Erinnerungen mit Pino Sylvestre verbinde. Ich kann John’s Begeisterung für Silvestre gut nachvollziehen. Oftmals verbindet man ja Erinnerungen mit einem Duft. Oder er ruft gewisse Assoziation hervor. Besonders gut hat mir diese hier gefallen die ich bei basenotes zu Silvestre gefunden habe. Ich erlaube mir einfach mal diese Beschreibung hier einzukopieren:
What we have here is a big, woody scent – but a classy one. Pine and cedar notes, gratifyingly persistent, provide a very nice counterpoint to the rich musk and vetiver base. This is not floral at all, and projects a mature masculine austerity. It is a serious, deep fragrance; dark but not saturnine. This can be a powerhouse due to the incense and musk. If applied sparingly, it is an absolute winner in my opinion. So here’s my daydream as I wear it: I’m Marcello, dressed in a casually elegant suit. Having applied Silvestre, I drive my Bugatti to meet Sophia for lunch at a charming Roman cafe. There, we discuss our latest film project with Frederico. All that from a spritz of fragrance!
Zurück zum Thema, ich freu mich auch hier Geschriebenes von Dr. John zu lesen. Seine Reihe „Perfumes of The Land And The Sea“ die er für das Sniffapalooza Magazin geschrieben hat gefällt mir persönlich einfach sehr gut.
Seine Beschreibung und seine Assoziationen zu Gravel machen einfach auch nur Lust, diesen Duft (Herrenduft hin oder her) zu testen. Noch einer der auf die Liste kommt für den nächsten Besuch vor Ort in Bruchsal