„Schuster bleib bei Deinen Leisten“ – ein Sprichwort aus dem Volksmund, das fast jedem von uns geläufig sein müßte. Oft trifft es gerade im Parfumbereich zu, denkt man mal an viele der eher belanglosen Signaturedüfte mancher Schauspieler(innen).
Daß der Volksmund trotzdem nicht immer recht behält wissen wir auch alle. Nichtsdestotrotz wunderte ich mich bereits vor Jahren darüber, daß gerade einige renommierte Hersteller von Alkoholika derart schöne Düfte auf den Markt brachten, die zum Teil bereits zu Klassikern avancierten und ihresgleichen suchen.
Man denke dabei nur an das Weingut Ginestet und seine drei Düfte Sauvignonne, Le Boisé und Botrytis, von denen vor allem letzterer die Herzen vieler Parfumfreunde gewinnen konnte. Von satter Honigfarbe verspricht die Optik des Duftes nicht zuviel – an einen likörig-süßen Met erinnernd zeichnet Botrytis olfaktorisch einen Herbst in Frankreich in den sattesten Farben nach: Rot-gelbes Laub, endlose Landschaft, Weingüter, warme Herbstsonne, getrocknete Früchte und ein Glas goldener Honigwein – so schön kann das Leben und vor allem auch ein Duft sein 😉 Deshalb ist Botrytis, obgleich eigentlich kein für mich typischer Duft ein ständiger Begleiter, den ich vor allem im Herbst wahnsinnig gern trage und der mich nicht nur tagsüber sondern oft auch abends ins Bett begleiten darf.
Oder Courvoisier, französischer Traditionshersteller von Cognac und bereits vom Rapper Busta Rhymes in einem Song verewigt: Deren Signatureduft L’Édition Imperiale zählt für mich zu den vielen völlig verkannten Kleinoden im (Nischen)Duftbereich. Gerade bei diesem Duft frage ich mich immer wieder, weshalb er nicht mehr Freunde hat – oder zumindest keine Freunde, die ihn offensiv auf den üblichen verdächtigen Duftforen loben. Es scheint ihn fast keiner bei sich zu Hause stehen zu haben, dabei erfüllt er einige Kriterien und besitzt diverse Ingredienzen, die ihn für ein bestimmtes Duftklientel durchaus sehr habenswert machen müßten: Rauchiger Tee in Kombination mit Zeder, dezente florale Elemente und ein Hauch (Wild)Leder sowie (ge)würzige Noten von Koriander und Kardamom schaffen ein ausbalanciertes und edles Düftchen, das – nehmen wir mal den (Hoch)Sommer aus – ein sogenannter Immergeher sein müßte.
Aber genug von „den anderen“ geredet – eigentlich wollte ich auf Frapin heraus, neben Courvoisier ebenfalls ein renommierter Cognacfabrikant aus Frankreich.
Auch Frapin hat sich mit seinem ersten Duft namens 1270, welcher 2002 erstmalig lanciert und 2008 neu und in unveränderter Rezeptur wieder aufgelegt wurde, einen breiten Freundeskreis geschaffen. Getragen von der Intention, die Besonderheit des Cognacs einzufangen, an die Wurzeln des Familienunternehmens erinnernd und darüber hinaus eine Hommage an die Rebsorte Folle Blanche darstellend wird 1270 diesen Ansprüchen vollauf gerecht. Ein praller reichhaltiger Duft, der zwischen gourmandig-likörig-süßen Noten samt getrockneter Früchte und holzig-aromatischen sowie gewürzigen Noten oszilliert und somit Bilder heraufbeschwört: Dasjenige eines Glases besten Cognacs zum Beispiel, genossen vielleicht in einem dazu passenden Herrenzimmer inklusive samtener Vorhänge, einer großen Bibliothek, eines prasselnden Kamins und den obligatorischen, aus dickem englischem Leder gefertigten Chesterfieldsitzmöbeln , auf denen sich ebenjener Cognac hervorragend genießen läßt. Als genauso zeitlos und klassisch wie diese Vorstellung, empfinde ich 1270, der jedoch, genauso wie das eben nachgezeichnete kontemplative Moment, für jeden Tag ein bißchen zu schade und auch ein bißchen zu ausgefallen scheint.
Hier noch die Ingredienzen: Kopfnote: kandierte Orange, Nuss, Rosine, Backpflaume, Kakao, Tonkabohne, Kaffeebohne; Herznote: Weinblüte, Sand-Strohblume, Lindenblüte, Pfeffer, Gewürze; Basisnote: Hölzer, Guajakholz, Honig, Vanille
Das Haus Frapin beließ es allerdings nicht bei einem (Signature)Duft, bereits 2007 folgten vier weitere Parfums: Caravelle Epicée, Esprit de Fleurs, Passion Boisée und Terre de Sarment.
2009 nun endlich folgte ein weiterer (Herren)Duft mit dem schlichten aber dennoch aussagekräftigen und außergewöhnlichen Namen L’Humaniste – der Humanist.
Meine Erwartungen waren einigermaßen hoch – aus zweierlei Gründen: Erstens, das dürfte man bereits aus meinen obigen Beschreibungen herausgelesen haben – ich mag die Düfte von Frapin. Und zweitens, ein ganz irrationaler Grund: Mich erinnerte der Name des Humanisten an den von mir sehr geschätzten, aber leider nicht wirklich verbreiteten Anarchisten von Caron (2000).
Mit seinem Namen nun hat sich der Humanist ein ziemlich gewichtiges Erbe auf die Schultern gepackt ist der Duft doch, wie das Haus Frapin vermerkt, eine Hommage. Eine Hommage im speziellen an François Rabelais, der französische Prosa-Autor der Renaissance und Mitglied der Frapinschen Familie, sowie im generellen an den Humanismus an und für sich.
Der Humanismus als eine Weltanschauung entstand vornehmlich aus der Philosophie, genauer: der abendländischen Philosophie. In der Antike durchdacht, geprägt und vor allem auch: niedergeschrieben zieht sich dessen Geisteshaltung quer durch die Geschichte bis in unsere heutige Zeit, was nicht weiter verwunderlich ist. So propagiert der Humanismus, dessen Grundfragen sich mit der Beschaffenheit des Menschen befassen, doch Würde, Freiheit und die Interessen des einzelnen Menschen und zielt auf die Weiterentwicklung der Menschheit sowie das Glück des Einzelnen – ergo ein ziemlich aktueller Ansatz, auch und vor allem im Hinblick auf die humanistischen Grundprinzipien der Toleranz, der Gewaltfreiheit, der Güte, des Mitgefühls und der (Gewissens)Freiheit.
Aktuell und zeitgemäß soll nun auch der Humanist sein. Von Jeanne-Marie Faugier aus dem Hause Robertet kreiert steht er laut Frapin für den wahren Geist, die Essenz des Humanismus, eines modernen Humanismus und ist deshalb gedacht für einen Mann, der sich (diesen) Idealen und Werten verpflichtet sieht und ein Bewußtsein für Qualität besitzt.
Zutaten für ebendiesen Mann und/oder Duft sind: Gin, Wacholder, Zitrone, Bergamotte, Thymian, Tonkabohne.
Der Beginn spritzig-frisch zitronig und mit deutlichen Anleihen an einen klassischen Gin Tonic – womit, wie der aufmerksame Leser bemerken wird, wir mal wieder beim Thema Alkoholika wären 😉 Das darauffolgende Herz des Duftes ist aromatisch-grün mit würzig-krautigen Anleihen: Wacholder ist als Note deutlich wahrnehmbar, eine seltene aber doch so schöne Ingredienz. In der Basis wird der Duft von Tonkabohne aufgefangen, die hier allerdings keine übertrieben pudrige Konsistenz an den Tag legt sondern vielmehr würzig-vanillig das Herz des Duftes aufgreift, (er)wärmt und unterstreicht.
Meines Erachtens nach ist der Humanist beziehungsweise dessen Vorstellung sehr gut getroffen. L’Humaniste brilliert mit zwei sich perfekt ergänzenden Aspekten: Zum einen (s)einer frisch-spritzigen, ich nenne es mal salopp: GinTonic-Seite, die im Duftverlauf einen grün-aromatischen Anstrich erhält – hier kommt für mich der Aspekt des modernen Open-Minded-Freigeistes zum Tragen. Die andere Seite, die durch den Verlauf von Herz- zu Basisnote repräsentiert wird, zeigt sich aromatisch-vanillig und würzig-warm – für mich ein Synonym für Werte, Ideale und Traditionsbewußtsein sowie eine Portion Bodenhaftung.
In meinen Augen ein sehr schöner Understatement-Herren-Duft, der mich ein wenig von Idee, Machart und Verlauf an Royal Heroes 1805 von Washington Tremlett erinnert und meines Erachtens nach auch für Freunde des von mir immer hochgelobten Signaturedufts von Mark Birley einen Test wert sein dürfte.
Ach, und ganz nebenbei: Ich bin kein „Herr“ und schäme mich nicht, den Humanisten auch zu tragen 😉 Ich finde ihn für Frauen problemlos ebenfalls tragbar.
So – nachdem ich nun diesen Beitrag beendet habe, vielfältig duftende Arme mein eigen nenne möchte ich noch genau zwei Dinge loswerden: 1.) Vive la France! – liebe Hersteller von Luxusalkoholika, von mir aus dürft ihr gerne weitermachen mit den Düften und uns noch ganz viele neue davon bescheren, gesetzt den Fall, sie bleiben in derselben Qualität wie die oben angesprochenen und 2.) werde ich mir jetzt, wo ich schon die ganze Zeit über Alkohol philosophiert habe, einen GinTonic genehmigen – Prost!
Auf bald,
Eure Uli.
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