Jeden Tag landen dutzende von neuen Produkt-Präsentationen auf meinem Schreibtisch. Hier ein neues Super-Parfum, dort eine neue Anti-Aging-Wunderwaffe. Dass Parfümerien die Flut neuer Produkte überhaupt noch bändigen können, erscheint mir dabei das einzige Wunder. Aber es gibt auch die andere Seite: In einer Zeit, in der alle zwei Wochen ein neuer Mega-Curl-Mascara auf den Markt geworfen wird und bahnbrechende Für-immer-jung-Wirkstoffe mit immer geschickteren Marketing-Drehs versuchen, die Spitze des Beauty-Olymps zu erklimmen, gibt es doch eine handverlesene kleine Gruppe von Must-Haves, die jeden neuen Trend und jeden letzten Schrei locker überstehen. Oder anders gesagt, es gibt sie noch, die wahren Klassiker.
Schon das Wort „Klassiker“ umweht irgendwie ein Hauch des Ewigen; und tatsächlich stehen diese Bestseller seit Jahrzehnten in den Badezimmern rund um die Welt und verkaufen sich immer noch ganz prächtig, ohne besonders große, ausgefeilte Werbe-Maschinerie – Weil sie einfach gut sind.
Vor allem bei einigen neuen Düften, die auf den Markt drängen, bin ich fast geneigt, von einer Halbwertszeit von ein paar Monaten zu sprechen. Solange der Marketing-Etat feuert, was er hergibt, drückt man die Produkte mit aller Macht in das kollektive Konsumenten-Bewusstsein und irgendwie wandern die Produkte zu Abertausenden fast von alleine in die Einkaufskörbe unserer Republik. Aber kaum ein paar Produkteinführungen später wenden wir uns wieder ab wie ferngesteuerte Kauf-Roboter, widmen unsere Aufmerksamkeit einer neuen Lancierung, die uns wieder verspricht, alles bisher Dagewesene zu übertreffen. Wow! Höher, weiter, besser, schöner …
Aber wie unterscheiden sich davon diejenigen Produkte, die keineswegs neu sind und trotzdem so einen magischen Bann auf uns haben? Diejenigen Produkte, die seit Jahren konstant auf den Bestseller-Listen der Parfümerien zu finden sind, ebenso wie in den Badezimmern der Stars, Topmodels und Beauty-Profis. Was auffällt: Es sind die simplen Dinge, die ohne pompöse Versprechen, ohne Marketing-Tamtam daher kommen. Eine einfache, zitrusfrische Körpermilch zum Beispiel („Lait Corporel“ von Biotherm, kam 1972 schon auf den Markt und ist die meistverkaufte deutsche Körperpflege; im Schnitt geht sie alle 2,5 Minuten über den Tresen). Oder eine Mascara für ein paar Euro („Great Lash“ von Jade Maybelline, 1971 erfunden, verkauft sich weltweit alle 1,3 Sekunden), ein Concealer, der so schön macht wie ein Besuch im Kosmetikstudio (Yves Saint Laurents „Touche Èclat“, 1992 von Terry de Gunzberg geschaffen, verkauft sich heutzutage weltweit alle 20 Sekunden). Und natürlich ein paar der schönsten Düfte, die jemals entworfen wurden und heute noch die Herzen aller Parfum-Liebhaber höher schlagen lassen.
Kleine Liebeserklärung an die Klassiker der Parfumgeschichte
Im Grunde ist das Parfum eine 5.000 Jahre alte Erfindung, damals eher noch als Raumduft verwendet, allerdings aus religiösen Zwecken. Duftende Kräuter und Essenzen wurden verbrannt, um Kontakt zur Welt der Götter aufzunehmen. Die nächste Station auf dem Weg in die Moderne nahmen reiche Ägypterinnen, die sich mit duftenden Ölen und Salben einrieben, um sinnlicher zu werden. Die Duft-Essenz wurde zum Prestige-Objekt der Oberschicht.
Im 17. Jahrhundert begannen Parfumeure und Alchimisten (der Unterschied war damals wohl marginal), Essenzen und Blütenöle zu mischen, um eigene Signature-Parfums für den Adel zu kreieren. So wie das älteste der großen, französischen Parfumhäuser: Houbigant. 1775 eröffnete Jean-Francois Houbigant sein Geschäft „A la corbeille de Fleurs“ (im Blumenkorb) in Paris und belieferte alsbald viele Adelshäuser. Bekennende Fans waren Königin Marie-Antoinette und Kaiserin Joséphine. 1913 schuf das Pariser Parfum-Atelier Houbigant den großartigen Damenduft „Quelques Fleurs Royale“, den es heute noch gibt und der mit seiner spritzigen Heiterkeit damals wie heute Frauenherzen im sanften Sturm erobert.
Aber auch andere Parfumeure haben sich dem Weiterleben alter Duft-Traditionen erfolgreich verschrieben, wie der Pariser Gerald Ghislain. Er entwickelt ganz besondere, exquisite Düfte aus alten Rezepturen weiter, die an Orte, Persönlichkeiten und die Stimmung der damaligen Zeit erinnern: Histoires de Parfums. Ob „1740 – Marquis de Sade“, „1828 – Jules Verne“ oder „1876 – Mata Hari“ – seine Kreationen sind kostbare Düfte, die jeden packen, der sie schnuppert, und ihn nicht mehr loslassen. Olfaktorische Juwelen, mit denen ein Retorten-Duft aus dem Supermarkt einfach nicht mithalten kann, Image-Kampagne hin oder her.
Die nächste Revolution der Duftbranche kam Anfang des 19. Jahrhunderts, als neue Duftstoffe die Herstellung billiger und somit für einen größeren Markt zugänglich machten.
Und schon stolpern wir über einen weiteren Meilenstein der Klassiker: Coco Chanels legendäres „N°5„, 1921. Es war, wie wir alle wissen, das erste Parfum, das auch synthetische Duftstoffe enthielt. Es schlug ein wie eine Bombe, Frauen standen Schlange, um einen der begehrten Flakons zu ergattern, und bis heute hat diese Kreation nichts von ihrer Magie verloren. Gerüchten zufolge wandert immer noch alle 30 Sekunden eine Flasche N°5 irgendwo auf der Welt über den Tresen. Das heutige Beauty- und Mode-Imperium Chanel lieben wir übrigens für seinen bewussten Umgang mit der Tradition. Nicht schnelle Abverkäufe, sondern behutsame Qualität im Geiste der großen Coco liegen hier am Herzen. Das spürt man in kleinen Details und das riecht man in großen Parfums wie „Sycomore“, inspiriert von der bereits 1930 erschienenen gleichnamigen Komposition, wurde das neue-alte „Sycomore“ von Jacques Polge und Christopher Sheldrake, den Hausparfumeuren von Chanel, neu interpretiert.
Ein weiteres Beispiel für Düfte, die alle Trends, Zeitenwandel und Geschmäcker überlebt haben, sind die des Hauses Halston. Im Jahre 1953 eröffnete Roy Halston Frowick ein Hutgeschäft in Chicago. Zu seinen Kundinnen zählten bald die Schauspielerinnen Gloria Swanson und Deborah Kerr. Im Jahre 1958 zog er mit seinem Hutgeschäft in das berühmte New Yorker Kaufhaus Bergdorf Goodman. Bis Ende der 60er Jahre wurde er zum Darling der amerikanischen High-Society, inklusive bekennender Fans wie Jacqueline Kennedy, Bianca Jagger und Liza Minelli. Klar, dass dem engagierten Designer der Wunsch kam, „seine“ Frau von Kopf bis Fuß einzuhüllen, oder anders gesagt vom Hut bis zum Parfum. Seine Kreationen wie der prickelnde Chypre-Duft „Halston Couture“ von 1988 sind heute noch unvergessen und haben nichts von ihrer Faszination und ihrem Flair verloren.
Googeln Sie doch einmal „Halston“ und sie werden via youtube.com auf einen reizenden Weihnachts-Werbespot aus dem Jahr 1981 stoßen: sehr amerikanisch, aber stimmungsvoll-nostalgisch. Und wenn Sie schon dabei sind, vergleichen Sie doch einmal mit den anderen Parfum-Commercials vor Ort. Britney Spears eher merkwürdiger „Believe“-Spot, in dem sie mit leerem Gesichtsausdruck durch einen blumigen Wald läuft. Oder Sarah Jessica Parkers wenigstens noch witzige Idee, einen XXL-Flakon ihres eigenen „Covet“-Duftes zu klauen, inklusive Fensterscheiben-eintreten-mit-Louboutins und anschließendem in-Handschellen-abgeführt-werden. Aber sind das Düfte (und Werbespots), die das Zeug zum Klassiker haben? Das werden wir erst in ein paar Jahrzehnten wissen, wenn die Parfums sich über einen langen Zeitraum erfolgreich verkauft haben. Um ehrlich zu sein, ich bezweifele es. Oben an der Spitze ist die Luft dünn. Und neben Yves Saint Laurents „Opium“ (das seine Markteinführung 1977 im berüchtigten Studio 54 in Manhattan erlebte), Hermès „Caleche“ (1961), Chanels „N°5„, Houbigants „Quelques Fleurs Royale“ oder den noch jüngeren Klassikern Amouage (1983) und Lancômes Trésor (1990) haben es die neuen Mainstream-Parfums wohl schwer, sich zu behaupten. Und noch ein Argument fällt mir da ein, sich bewusst für einen Klassiker zu entscheiden und nicht für einen medial gepushten Kurzzeit-Erfolg: Sie werden viele Komplimente erhalten. Denn der gewisse Schuss Katharsis, der angesprochene Hauch des Ewigen und eine Prise Nostalgie machen diese Düfte unverwechselbar und einzigartig. Ideal für alle, die in der U-Bahn nicht ständig ihren Duft an einer Fremden wiederfinden möchten. Seien Sie einzigartig und begeistern Sie sich für einen Klassiker. Unser Herz schlägt schon längst für die Besten der Besten. Und so finden Sie keineswegs jeden neuesten Firlefanz bei Aus Liebe zum Duft, aber dafür viele der wahren Klassiker von Houbigant, Amouage, Histoires de Parfums und vielen anderen kleinen Marken, mit denen wir vor allem eines gemeinsam haben: die Liebe zum Duft.
… Artikel von 2009, aber immer noch so aktuell wie vor über 10 Jahren.
Danke für diese schöne Website!
Hallo liebe(r?) Finny,
herzlichen Dank für das liebe Kompliment, da freuen wir uns mächtig drüber!
Viele liebe Grüße
Ulrike, stellvertretend für das ganze Team 🙂