… und ich wünschte, ich wäre es auch… Was verbinden wir eigentlich mit Meer?
Weite und Grenzenlosigkeit, Ruhe, Freiheit und Unendlichkeit, Abenteuer, Intensität und Tiefe, aber auch wilde Unbezähmbarkeit, Haltlosigkeit, Vergänglichkeit. Baudelaire sah im Meer eine Allegorie auf des Menschen Naturell. So schrieb er in seinen Blumen des Bösen im Gedicht Der Mensch und das Meer: „Du freier Mensch, / Du liebst das Meer voll Kraft, /Dein Spiegel ist’s. / In seiner Wellen Mauer, / Die hoch sich türmt, /wogt Deiner Seele Schauer, / In Dir und ihm der gleiche Abgrund klafft. / Du liebst es, zu versinken in Dein Bild, / Mit Aug‘ und Armen willst Du es umfassen, / Der eignen Seele Sturm verrinnen lassen / In seinem Klageschrei, unzähmbar wild. / Ihr beide seid von heimlich finstrer Art. / Wer taucht, o Mensch, in Deine letzten Tiefen, / Wer kennt die Perlen, die verborgen schliefen, / Die Schätze, die das neidische Meer bewahrt?“
Das Meer also als Abbild des Menschen, als Abbild des Lebens – mit all seinen Sehnsüchten, seiner Ambivalenz, seinen Tiefen, seiner Emotionalität. Symbolisiert es für den einen einfach „nur“ Urlaub, Entspannung, Freizeit(vergnügen), stellt es für den anderen eine Art Spiegel dar, vielleicht auch einen Ort, an dem man zu sich kommen kann, einen Ort der Besinnlichkeit, dem ein kontemplatives Moment innewohnt.
Düfte sollen einen Moment des Glücks konservieren, wie einmal ein bekannter Parfumeur über seine Intention verriet – diese Funktion übernehmen sie sicherlich bei vielen Liebhabern auch: das Herstellen eines imaginären Augenblicks, passend zur momentanen (Lebens)Situation oder auch zur lediglich erträumten.
So reise auch ich in schöner Regelmäßigkeit und viel häufiger als in der Realität olfaktorisch ans Meer: wenn ich einen Moment der Stille genießen mag, ein wenig in mich gehen möchte, zur Ruhe finden will, um mich meinen Gedanken, meiner Reflexion hinzugeben. Und natürlich immer dann, wenn es mir warm ist, viel zu warm, und weder ein Baggersee noch der Pazifik in greifbarer Nähe ist 😉
Der ganz neu erschienene Sel Marin von Heeley macht seinem Namen alle Ehre: Schon in der Kopfnote kitzelt einen nebst deutlich wahrnehmbarer Hesperiden, vornehmlich Zitrone und Bergamotte, eine verhalten salzige Note in der Nase. Die Hesperiden treten bereits nach kurzer Zeit zugunsten krautig-kräuterigen Tönen etwas in den Hintergrund: Zart grasiger Vetiver trifft auf Spuren von Tang, welche sich mit holzigen Anklängen die Waage halten.
Sel Marin ist ein wohlbalancierter Duft voller subtiler Schönheit: In die Richtung von Different Companys Sel de Vetiver tendierend, erweist er sich um einiges dezenter, aber nicht weniger interessant. Wo Sel de Vetiver einem in seiner geradlinigen Entschlossenheit die Gezeiten, die ungezähmte Urgewalt des Meeres vor Augen führt agiert Sel Marin zurückhaltender und weckt so sentimentale Erinnerungen an einen rundum gelungenen Tag an einer Küste.
Christian Celles Duftlinie Calypso war ursprünglich als Ergänzung ihres Konzepts nur für ihre eigenen Kunden gedacht: die Französischstämmige, die mehrere Boutiquen mit ihrer fröhlich-femininen, ethnisch inspirierten Mode betreibt, konnte sich aber alsbald des Erfolgs ihrer Düfte nicht erwehren, was dazu führte, daß diese mittlerweile von einigen exklusiven Geschäften verkauft und somit einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurden.
Marine ist ein Duft dieser eher monothematisch orientierten Serie. Seine Ingredienzen: Kopfnote: Bergamotte, Rosmarin, Muskat, Bambus; Herznote: Patschouli, Lotus, Seedüfte; Basisnote: Sandelholz, Moschus, weißes Ambra;
Marine beginnt im Auftakt bereits transparent-floral mit einer leicht aquatischen Tendenz. Sanfte Kräuter sowie das dezent wahrnehmbare Muskat sorgen für Frische und zurückhaltende Würzigkeit, die auf Dauer in eine warme Basis aus Moschus übergehen.
Marine fängt genau den Augenblick ein, in welchem man sich, gut eingecremt mit Sonnenmilch, langsam in Angesicht einer großzügig scheinenden Sonne in die lockenden Fluten des kühlenden Nasses wagt.
Tirrenico ist ein Duft des relativ neuen, italienischen Labels Profumi del Forte. Aus der Toskana stammend, sind die Düfte des Labels ganz Ausdruck der Verbundenheit ihres Schöpfers Enzo Torre mit diesem Teil Italiens: Sie sind Ausdruck seiner Faszination und Hommage. Besonders bemerkenswert sind auch die wundervoll gestalteten, die Philosophie des Labels unterstreichenden, Flakons: In einer an einen Turm angelehnten Form handgeschliffen und graviert entstammen sie einer Manufaktur in Siena, während die dazugehörigen Marmorkappen in Versilia hergestellt werden, ganz in der Tradition der für ihr Handwerk bekannten toskanischen Region.
Tirrenico ist dem tyrrhenischen Meer, der tyrrhenischen Küste gewidmet, die ihren Namen von den Etruskern hat. Die Ingredienzen sind: Kopfnote: balsamische und marine Duftnoten, nasses Holz, Bitterorangen, Bergamotte; Herznote: Ägyptischer Jasmin, Elemi, Fenchel, Basilikum, frische Früchte; Basisnote: Eichenmoos, Sandelholz, weisser Moschus.
Im Beginn offenbaren sich zitrische Noten, die, einen ersten salzigen Eindruck vermittelnd, Raum freigeben für fruchtig-wässrige Anklänge. Diese bleiben ebenfalls bestehend und gewinnen durch Elemi und Fenchel an balsamisch-ätherischer Tiefe, welche durch warme holzige Noten getragen wird.
Tirrenico vermittelt mediterranes Lebensgefühl: Er fängt die Unbeschwertheit eines Gartens ein, welcher, üppig bewachsen mit Kräutern und landestypischen Obststräuchen und –bäumen, den Blick – und auch die Nase – freigibt auf das nahe Meer. Rein aquatische Noten findet man in diesem Duft nicht, vielmehr eine sehr innovative Mischung aus fruchtigen Noten in Kombination mit einem sehr einprägsamen, nach purem Wasser riechenden Herz.
Die letzen beiden Düfte sind eher dem Wind verpflichtet, allerdings: dem Wind am Wasser, dem Wind am Meer.
Mit Vento Canale von Gianni Campagna verweilen wir weiter in Italien. Der Edelschneider verwirklichte sich mit seiner Duftkollektion einen Kindheitstraum und huldigt, wie Torre auch, einer bestimmten Region Italiens, in seinem Falle: Sizilien, dem Ort seiner Kindheit.
Vento Canale ist der Straße von Messina gewidmet, einer Meerenge zwischen dem italienischen Festland und Sizilien, die das tyrrhenische Meer mit dem ionischen Meer verbindet – der Duft soll den Geruch des Windes einfangen, der über diese Meerenge weht, den Eindruck der Landschaft vermitteln, in der sie sich befindet.
Die Ingredienzen: Kopfnote: karibischer Rum, Muskatellersalbei, Karottensamen, Davana; Herznote: Zedernholz, Lilie; Basisnote: Currykraut, Amber, Tabak, Moschus, Honig, Himbeere, Vanille, Kakao, Pinienbalsam, Vetiver.
In Vento Canale macht ein furioses Feuerwerk der Noten den Anfang: Rum, Karottensamen, sowie Tabak und Honig becircen die geneigte Nase, ein durch und durch wohlwollend süßlicher Duft, der sich in der Basis auf feinen Kakaonoten und holzigen Nuancen zur Ruhe legt, garniert mit einer feinen, leicht rauchigen Prise Vetiver.
Vento Canale repräsentiert das flirrende mediterrane Leben: Der Wind ist warm, süß, über die Straße von Messina dahinziehend und deren verschiedenartigste Eindrücke einfangend: das Meer, die Fauna und Flora und die nahe Stadt, Urbanität, Menschen in ihrem Alltag, mitsamt ihrer Freude und Lebenslust.
Ebenfalls ein echter Italiener, noch weiter aus dem Süden stammend, ist Maestrale von Profumo del Pantelleria. Seinem Namen macht er alle Ehre, ist er doch benannt nach dem italienischen Wort für den kräftigen Nord-West-Wind, den Mistral. Die Ingredienzen: Kopfnote: Bergamotte, Lavendel, Rhabarber, weisser Südseerum; Herznote: Nelken, Iris, Kardamom, Koriander; Basisnote: Zedernholz, Vetiver, Ambrette;
Der Duft beginnt mit einer spritzigen Bergamotte, gepaart mit einem Klecks Lavendel, nicht zu dominant, und einer Ahnung Rhabarber. Eine dezente Süße durch den Rum ist bald wahrnehmbar, ist jedoch wunderbar austariert durch einen Touch von den Nelken stammender Schärfe – beides ergänzt durch den Koriander mit seinem warm-würzigen Charakter. Die Iris sorgt für erdige Noten im Hintergrund, während sich alsbald Kardamom und Zeder in den Vordergrund drängen und dort auch den Duft über bleiben.
Maestrale ist meines Erachtens nach ein typischer Italiener: Ein kräftiger, entschlossener, geradliniger Duft, jedoch mit Ecken und Kanten, wunderbar ausbalanciert. Mir gefällt die Assoziation, mit der der Duft verkauft wird, das Bild eines Naturphänomens, des Mistrals, seiner Macht und Stärke, der Ruhe davor und danach und dem angesichts dessen sprachlosen Menschen, der diesem beiwohnt, beeindruckt, andächtig, mit achtungsvollem Respekt.
Maestrale, finde ich, bedarf eigentlich nicht vieler Worte. Trotzdem möchte ich noch hinzufügen, daß ich bei mir auf der Haut eine entfernte Ähnlichkeit zu Clive Christians X for Men wahrnehme – der Kardamom ist relativ dominant.
… Wen das Thema Meer im übrigen ein wenig zum Sinnieren angeregt hat, dem sei noch dies hübsche Büchlein empfohlen: Wüstner, Andrea: Meeresrauschen – Gedichte und Geschichten, Reclam-Verlag.
Hier auch noch eine Vertonung des oben erwähnten Gedichtes…
Mit den heutigen Reviews möchte ich die Reihe der Meerdüfte erstmal abschließen, nicht ohne natürlich die neugierige Frage in den Raum zu stellen, welcher Kandidat oder welche Kandidaten denn Eure Favoriten ist bzw. sind? Nennt sie mir – ich bin gespannt!
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